Mülheim. Viele Amateurfußballer greifen regelmäßig zu Tabletten, zeigt eine Umfrage. Auch in Mülheim – über Nebenwirkungen wird aber oft geschwiegen.

Sonntagnachmittag, wenige Minuten vor dem Anpfiff. Gerade hat der Trainer die letzten Anweisungen für das anstehende Fußballspiel gegeben. Beinahe unbemerkt hält sich einer der Spieler den jüngst verletzten Knöchel. „Hast du noch Schmerzen?“, fragt ihn der Nebenmann. „Dann wirf doch einfach eine Ibu ein.“

Der Umgang mit Schmerzmitteln ist im Fußball beinahe alltäglich geworden – und das in sämtlichen Spielklassen. Das bekräftigt nun eine deutschlandweite Umfrage des Recherchenetzwerks „Correctiv“ und der ARD-Dopingredaktion.

Schmerzmittel: Ein Fünftel nimmt mindestens einmal im Monat Ibuprofen & Co.

Unter 1142 online befragten Fußballerinnen und Fußballern gaben 80 Prozent an, schon einmal Schmerzmittel genommen zu haben. Noch viel spannender ist allerdings die Tatsache, dass ein Fünftel der Befragten eine Einnahme mindestens einmal im Monat zugab.

Meistens, um akute Schmerzen zu bekämpfen, aber auch um sich sicher zu fühlen oder Schmerzen vorzubeugen.

Von der Kreisliga bis zur Oberliga: Schmerzmittel werden wie Smarties gegessen

„Den Eindruck kann ich vollumfänglich bestätigen“, sagt Oliver Röder, der frühere Trainer des VfB Speldorf. „Schmerzmittel werden oft gegessen wie Smarties. Das ist selbstverständlich geworden und geht von der Kreis- bis zur Oberliga“, weiß der langjährige Spieler und Trainer.

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Und er ist längst nicht der einzige. Von einem Dutzend Mülheimer Fußballern und Übungsleitern, mit denen diese Redaktion intensiver über das Thema gesprochen hat, gab nur ein einziger an, noch nie mit dem Thema in Kontakt gekommen zu sein. Alle anderen schon.

„Es stimmt schon, dass einige Spieler Schmerzmittel auch jeden Tag einnehmen, für das Training und die Spiele“, sagt etwa der Speldorfer Kapitän Esad Morina. Er gesteht: „In meiner Jugend habe ich Schmerzmittel genommen, da ich nie ausfallen und immer spielen wollte.“

Wehwehchen mit Tabletten bekämpft – das Ergebnis waren Magenkrämpfe

Auch sein früherer Mitspieler Deniz Hotoglu hat diesen Umgang auf all seinen Stationen erlebt. „Teilweise sogar dann, wenn man es eigentlich gar nicht nötig hätte“, sagt der 30-Jährige, der mittlerweile bei RuWa Dellwig spielt.

„Ich hatte auch das Problem, über Wochen mehrere Wehwehchen zu haben, und habe dann auch solche Mittel eingenommen. Das habe ich dann aber sein gelassen, da ich nach den Belastungen extreme Magenkrämpfe hatte. Und natürlich hat meine Frau, die Kinderkrankenschwester ist, mich daraufhin aufgeklärt, wie gefährlich es sein kann“, berichtet Hotoglu.

Probleme mit dem Magen sind das eine, Olaf Rehmann geht aber noch einen Schritt weiter: „Da sich das Blut verdünnt, können bei Zusammenstößen innere Blutungen zu einem unkalkulierbaren Risiko werden.“ Der Trainer, bis Februar beim VfB Speldorf an der Seitenlinie, habe daher den Einsatz von Schmerzmitteln unmittelbar vor dem Spiel abgelehnt.

Wehwehchen mit Tabletten bekämpft – das Ergebnis waren Magenkrämpfe

„Viele Spieler machen es aber im Geheimen, wo ich als Trainer noch nicht einmal etwas von weiß“, sagt sein Nachfolger Dirk Roenz. Rehmann hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Die Problematik beginnt schon im Amateursport, da viele Spieler mehr Geld bekommen, wenn sie tatsächlich spielen. Entsprechend hoch ist die Bereitschaft, schnell wieder fit zu werden.“

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„Am Ende zahlt man dafür immer drauf“, meint Oliver Röder, einer von Rehmanns Vorgängern. „Durch neue Nach-Verletzungen dauert es am Ende immer länger, als wenn man noch die notwendige Pause eingelegt hätte.“

Der 51-Jährige glaubt aber auch, dass Sportler eine gewisse Schmerzresistenz entwickeln und den Schmerzpunkt verschieben können. Fälle von langfristigen Folgen seien ihm nicht bekannt. „Aber natürlich ist die Gefahr durchaus da. Es wird schließlich etwas unterdrückt, wo der Körper eigentlich Signale aussendet. Das kann ja nicht gesund sein“, so Röder.

Röder erzählt: Was heute Ibuprofen ist, war früher Aktivanad

Seiner Meinung nach ist das Thema kein Phänomen der heutigen Zeit. „Früher waren die Arzneien nur nicht ganz so ausgereift“, weiß er – und erzählt eine Anekdote: „In meiner Remscheider Zeit haben wir Aktivanad wie Cola getrunken. Die Flasche ging in der Kabine einmal herum.“

Und was waren die Folgen? „Das Zeug erweckt Tote zum Leben“, schmunzelt Röder heute. „Mir ist das Herz bis zum Hals geschlagen. Ich habe noch nachts im Bett gelegen und gedacht: Wann hört die Pumpe endlich wieder auf zu schlagen?“

Oliver Röder (li.) war lange als Spieler und Trainer für den VfB Speldorf im EInsatz.
Oliver Röder (li.) war lange als Spieler und Trainer für den VfB Speldorf im EInsatz. © Thorsten Tillmann

Zu den Maßnahmen, um den Gebrauch der Schmerzmittel zu reduzieren, kann nur eine bessere Aufklärung über die Folgen gehören. Die müsste dann aber schon bei den Übungsleitern beginnen. „Leider verfügen viele Trainer nicht über dieses Wissen und entsprechend können sie dann auch nicht eingreifen“, bedauert Olaf Rehmann.

Solange sich das nicht ändert, wird es in den Kabinen weiterhin zum normalen Ton gehören, wenn mal wieder jemand fragt: „Haste mal ‘ne Ibu?“

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Über diese Recherche

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von CORRECTIV und der ARD-Dopingredaktion. Die Redaktionen haben über Monate zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball recherchiert. Alle Ergebnisse finden Sie auf pillenkick.de unter anderem mit einer ARD-Dokumentation, die am 9. Juni 22:45 Uhr ausgestrahlt wird, sowie eine interaktive Übersicht mit Hinweisen zu Ibuprofen, Aspirin und anderen Schmerzmitteln. Das unabhängige Recherchezentrum CORRECTIV arbeitet gemeinnützig und finanziert sich über Spenden.

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