Gelsenkirchen. Viele Fußballer nehmen regelmäßig Tabletten. Ein Therapeut und ein Spieler aus Gelsenkirchen sprechen offen über die Tablette für 90 Minuten.
Sonntagmorgen, das Derby steht in wenigen Stunden an, aber der Fuß macht beim Auftreten immer noch Probleme. Viele Fußballer greifen in solchen Situationen auf Schmerztabletten zurück. Der Gebrauch von Schmerzmitteln ist im Amateurfußball alltäglich. Das hat eine deutschlandweite Befragung des gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“ und der ARD-Dopingredaktion ergeben. Doch wie sieht die Situation in Gelsenkirchen aus?
Wir haben bei einem Spieler und einem Physiotherapeuten nachgehört.
Schmerzmittel: Nur ein Fünftel kommt ganz ohne Tabletten aus
1142 Spielerinnen und Spieler beteiligten sich online an der Umfrage. Das Ergebnis: Fast 80 Prozent hatten mit dem Thema Berührungspunkte. Etwa die Hälfte der Teilnehmer nehmen mehrmals pro Saison Schmerzmittel, 21 Prozent sogar einmal pro Monat oder öfter.
Als Grund gaben sie längst nicht nur die Bekämpfung von akuten Schmerzen an, sondern auch, um die Belastbarkeit zu erhöhen und sich sicherer zu fühlen oder (seltener) Leistungssteigerung oder schlicht Routine. Mit den möglichen Nebenwirkungen setzt sich nur jeder dritte Teilnehmer der Befragung auseinander.
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Schmerztabletten gehörten auch bei Marc Mensing in den Monaten vor der Corona-Zwangspause zur Grundausstattung seiner Sporttasche.
Beim Spieler der Reserve von Viktoria Resse wurde vor zwei Jahren Arthrose in der Hüfte festgestellt. Nachdem der 32-Jährige zunächst noch ohne größere Probleme weiterspielen konnte, verschlechterte sich die Lage nach der vergangenen Winterpause immens.
„Ich musste vor dem Spiel immer eine Schmerztablette nehmen, um die 90 Minuten zu überstehen“, erzählt er. Bis dahin hatte Mensing seine Hüftprobleme anderweitig kompensieren können. „Ich habe mich zum Beispiel separat warmgemacht. Mein Orthopäde hatte mir mal empfohlen, dass ich mich lange dehnen soll. Ich habe deshalb immer erst spezielle Dehnübungen gemacht, bevor es ans Warmlaufen ging“, berichtet er.
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Der einzige Schmerzmittel-Konsument sei er anschließend aber nicht gewesen: „Es gab einige, die regelmäßig solche Tabletten genommen haben“, sagt Mensing und ergänzt: „Meistens waren das die älteren Kollegen.“ Woran das liegen könnte, kann Mensing aus eigener Erfahrung vermuten: „Ich glaube, das liegt am Verschleiß“, meint er.
Großes Problem bei den Amateuren – sogar mehr als bei den Profis
„Ich spiele seit 22 Jahren Fußball und habe die härtesten Ascheplätze in Gelsenkirchen erlebt. Ich bin keiner, der Zweikämpfen aus dem Weg geht. So geht es vielen in meinem Alter.“ Während früher die Sportsalbe die gewünschte Linderung gebracht habe, könnten später Tabletten notwendig sein.
Auch Ayhan Karaca hat Erfahrungen mit dem Thema gemacht. Der 46-Jährige ist Physiotherapeut der Traditionsmannschaft des FC Schalke 04 und betreut in seiner Praxis in Gelsenkirchen-Horst viele Amateurfußballer, darunter auch Kicker von Westfalenligist YEG Hassel. „Das Problem ist im Amateurbereich sogar noch größer als bei den Profis“, sagt er.
„Viele Amateurfußballer haben keine Geduld und brennen darauf, spielen zu können. Sie setzen vielleicht ein paar Wochen aus, wollen dann aber wieder voll einsteigen und nehmen Schmerztabletten zu sich. Sie kennen ihren Körper eben nicht so gut wie Profis, die in ihren Vereinen sogar von eigenen Therapeuten betreut werden.“
Eine Entscheidung, die fatale Folgen haben kann, wie Karaca erklärt: „Wenn du immer wieder Schmerztabletten nimmst, gewöhnt sich der Körper irgendwann daran.“
Das könne dazu führen, dass die Schmerzen stärker als vorher sind, sobald die Wirkung des Mittels nachlässt. „Zudem kann das Gewebe dadurch geschwächt werden und für eine allgemeine Instabilität sorgen. Dies muss dann mit deutlich langfristigeren Maßnahmen behandelt werden.“
Schmerzen können wichtig sein, erklärt der Physiotherapeut
Den Ehrgeiz der Amateurfußballer kann Karaca allerdings nachvollziehen. Einst spielte er selbst für die U19 des FC Schalke 04, für die U23 der Königsblauen stand er in der Saison 1994/95 sogar in der ersten DFB-Pokalrunde gegen den VfL Wolfsburg (0:2) auf dem Platz.
Später trug Karaca unter anderem auch das Trikot der SSV Buer, des SC Hassel und Erler SV 08.
An seinen Methoden ändert dies aber nichts: „Viele kommen wegen kurzfristiger Schmerzen zu mir und hoffen, dass diese schnell wieder nachlassen. Das funktioniert aber nicht. Ich muss sie erstmal komplett aus dem Sport herausnehmen und nach einiger Zeit langsam damit anfangen, den Körper zu stabilisieren und die Muskulatur zu stärken“, betont er.
Einige Patienten würden ihn vor der Behandlung sogar um Schmerzmittel bitten. Ein kontraproduktiver Wunsch. „Ich als Physiotherapeut muss sehen, wie der Patient auf Schmerzen reagiert, und meine Methoden dementsprechend anpassen“, erläutert Karaca. „Wenn der Patient keine Schmerzen spürt, kann ich ihm nicht helfen.“
Warum in der Vorbereitung die Hochsaison für Schmerzmittel ist
Gerade in der Phase der Saisonvorbereitung herrsche diesbezüglich Hochbetrieb. „Wenn du eine gewisse Zeit raus bist und dann wieder voll einsteigst, treten immer wieder solche Verletzungen auf“, erzählt Karaca.
Die nächste Vorbereitung wird Marc Mensing nicht mehr mitmachen. Der 32-Jährige hat in der Corona-Zeit den Entschluss gefasst, die Fußballschuhe nach 22 Jahren bei Viktoria Resse an den Nagel zu hängen.
„Mir ist das zu hart geworden, vor jedem Spiel Schmerztabletten nehmen zu müssen. Das lohnt sich einfach nicht“, sagt er. „Die Gesundheit geht nun mal vor.“
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Über diese Recherche
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von CORRECTIV und der ARD-Dopingredaktion. Die Redaktionen haben über Monate zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball recherchiert. Alle Ergebnisse finden Sie auf pillenkick.de unter anderem mit einer ARD-Dokumentation, die am 9. Juni 22:45 Uhr ausgestrahlt wird, sowie eine interaktive Übersicht mit Hinweisen zu Ibuprofen, Aspirin und anderen Schmerzmitteln. Das unabhängige Recherchezentrum CORRECTIV arbeitet gemeinnützig und finanziert sich über Spenden.
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