Bochum. Eine Umfrage belegt: Die große Mehrheit der Amateurfußballer nimmt Schmerzmittel. Bochumer Fußballer bestätigen das – und die Probleme damit.
Sonntagmorgen, das Derby steht in wenigen Stunden an, aber der Fuß macht beim Auftreten immer noch Probleme. Viele Fußballer greifen in solchen Situationen auf Schmerztabletten zurück. Der Gebrauch von Schmerzmitteln ist im Amateurfußball alltäglich. Das hat eine deutschlandweite Befragung des gemeinnützigen Recherchezentrums „Correctiv“ und der ARD-Dopingredaktion ergeben.
Bochumer Sportler bestätigen die Ergebnisse.
Mehr als ein Fünftel nimmt öfter als einmal im Monat Schmerzmittel
1142 Spielerinnen und Spieler beteiligten sich online an der Umfrage. Das Ergebnis: Fast 80 Prozent hatten mit dem Thema Berührungspunkte. Etwa die Hälfte der Teilnehmer nehmen mehrmals pro Saison Schmerzmittel, 21 Prozent sogar einmal pro Monat oder öfter.
Als Grund gaben sie längst nicht nur die Bekämpfung von akuten Schmerzen an, sondern auch, um die Belastbarkeit zu erhöhen und sich sicherer zu fühlen oder (seltener) Leistungssteigerung oder schlicht Routine. Mit den möglichen Nebenwirkungen setzt sich nur jeder dritte Teilnehmer der Befragung auseinander.
Wattenscheid-Torwart: „Keiner will wegen einer Verletzung aussetzen“
„Die Zahlen sind absolut realistisch. Vielleicht sind es sogar noch mehr, die Schmerzmittel nehmen. Viele machen das verdeckt, weil es als Zeichen der Schwäche gewertet werden könnte. Im Fußball hat wohl jeder schon mal Kontakt mit dem Thema gehabt“, berichtet Bruno Staudt.
Der 22-Jährige hat in der Jugend beim VfL Bochum gespielt, später bei Westfalenligist Concordia Wiemelhausen. Gerade ist der Torhüter von der TSG Sprockhövel zur SG Wattenscheid 09 gewechselt.
„Desto höher du zockst, desto mehr kommt es darauf an, dass du immer spielst und deine Leistung abrufst. Keiner will wegen einer Verletzung aussetzen und seinen Stammplatz verlieren. Und wenn das Topspiel ansteht oder dein Vertrag endet, wird die Situation noch mal spezieller“, sagt Staudt, der selbst damit Erfahrungen gemacht hat: „Ich hatte mal Probleme am Ellenbogen und am Fuß gleichzeitig. Da habe ich rund zwei Monate lang regelmäßig Schmerzmittel genommen. Es ging zu diesem Zeitpunkt nicht anders.“
Wenn man sich an Schmerzmittel gewöhnt hat, wird es schwer sie abzusetzen
Staudt hat in seiner Laufbahn die Erfahrung gemacht, dass Schmerzmittel im Fußball dazugehören. Die regelmäßige Einnahme hat er jedoch abgestellt. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, mein Körper ist mir einfach wichtiger. Es war damals auch gar nicht so leicht, die Schmerzmittel wieder abzusetzen. Das ist dann Kopfsache, weil du daran gewöhnt bist und denkst, dass es nur mit den Tabletten gut klappt.“
Auch Ingo Freitag, Spielertrainer bei Kreisligist Teutonia Ehrenfeld und lange Jahre Kapitän bei Wiemelhausen, hat Erfahrungen mit dem Thema gemacht. „Es gibt in jeder Mannschaft runter bis in die Kreisliga mindestens einen, der regelmäßig Schmerzmittel dabei hat. Es gibt auch Situationen, in denen die Tabletten dann in der Kabine rumgehen“, sagt der 34-Jährige: „Das Problem ist, dass sich viele keine Gedanken über die Konsequenzen machen.“
Magen, Herz und Nieren: Ehrenfelder Ingo Freitag weiß über Nebenwirkungen Bescheid
Freitag ist beruflich Physiotherapeut und weiß über Nebenwirkungen von Schmerzmitteln Bescheid. „Bei regelmäßiger Einnahme wird vor allem der Magen geschädigt. Wenn man dann gleichzeitig ein Mittel gegen Magenprobleme nimmt, macht es das auch nicht besser. Dazu kommt die Gefahr einer Abhängigkeit und langfristig die Belastung für Herz und Nieren“, sagt er: „Doch es ist ja alles im legalen Bereich. Du bekommst Schmerzmittel ohne Verschreibung in der Apotheke.“
Es gibt allerdings auch Mittel, mit denen Spieler schnell die Dopinggrenze überschreiten können.
Viele Mittel stehen auf der Dopingliste – Spieler wissen kaum etwas darüber
Dazu zählt unter anderem Aspirin Complex oder manches Nasenspray, das genutzt wird, um besser Luft zu bekommen. Der Grund ist das enthaltene Ephedrin, das auf der NADA-Liste der verbotenen Substanzen steht. „Ich könnte mir vorstellen, dass rund die Hälfte der Spieler in den Kreisligen durch einen Dopingtest durchfallen würde“, so Freitag. Ein Dopingproblem will er damit aber nicht andeuten.
„Es hat zum größten Teil damit zu tun, dass die Spieler nicht Bescheid wissen, was auf der Dopingliste steht. Und im Amateurbereich wird ja sowieso nicht getestet. Ich glaube auch nicht, dass man mit Schmerztabletten oder Nasenspray einen echten Dopingeffekt erzielen kann“, findet Freitag: „Es sind viele andere Faktoren, die dazu führen, dass Schmerzmittel im Fußball alltäglich geworden sind.“
Am Ende ist im Fußball oft der kurzfristige Erfolg am wichtigsten
Freitag kennt das Gefühl, als Spieler unbedingt auf dem Rasen stehen zu wollen, jetzt hat er als Trainer eine zusätzliche Perspektive gewonnen.
„Ich versuche, es langfristig zu sehen und den Spielern lieber eine Pause zu gönnen. Aber ganz ehrlich: Wenn es ein wichtiger Mann ist und dazu das Ende der Saison naht, dann wollen in den meisten Fällen sowohl der Spieler als auch der Trainer alles möglich machen, damit der Spieler auflaufen kann“, berichtet Freitag.
Schmerzmittel scheinen im Amateurfußball dazuzugehören. Bleibt die Frage, ob es ein Problem ist? „Ich denke, in der Sportwelt ist es völlig normal. Und jeder muss das für sich selbst verantworten“, meint Staudt. Freitag sieht es mit einer Einschränkung ähnlich: „Wer unbedingt spielen will, wird alles dafür tun. Das ist legitim. Auf der anderen Seite ist es schon ein Problem, dass viele Spieler mit den Tabletten zu leichtfertig umgehen.“
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Über diese Recherche
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von CORRECTIV und der ARD-Dopingredaktion. Die Redaktionen haben über Monate zum Schmerzmittelmissbrauch im Amateur- und Profifußball recherchiert. Alle Ergebnisse finden Sie auf pillenkick.de unter anderem mit einer ARD-Dokumentation, die am 9. Juni 22:45 Uhr ausgestrahlt wird, sowie eine interaktive Übersicht mit Hinweisen zu Ibuprofen, Aspirin und anderen Schmerzmitteln. Das unabhängige Recherchezentrum CORRECTIV arbeitet gemeinnützig und finanziert sich über Spenden.
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