Gelsenkirchen. Im zweiten Teil des WAZ-Interviews fordert Gerd Hemforth Nachhaltigkeit und Michael Zurhausen Veranstaltungen auf Top-Niveau in Gelsenkirchen.

Nach dem ersten Teil unseres Weihnachtsinterviews mit den Gelsenkirchener Sport-Haudegen Gerd Hemforth (68), dem Trainer der Oberliga-Volleyballerinnen des TC Gelsenkirchen, und Michael Zurhausen (72), dem Macher der City-Nacht von Schaffrath, gibt es heute den zweiten Teil. Der eine fordert eine intensivere Zusammenarbeit der Vereine und Schulen, der anderen Sport-Veranstaltungen in Gelsenkirchen, die sich auf Top-Niveau bewegen.

Lassen Sie uns noch mal auf den Sport in Gelsenkirchen im Allgemeinen schauen.

Michael Zurhausen: Was ich schlimm finde, ist, dass der Zusammenhalt unter den Gelsenkirchener Vereinen in den vergangenen 20 Jahren so nachgelassen hat. Man kennt sich nicht mehr.

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Wie kommt das? Ist das Desinteresse?

Zurhausen: Man hat keine Möglichkeiten mehr, sich zu treffen. Früher gab’s die Sportlerehrung, da waren alle Vereine im Hans-Sachs-Haus. Da kannst du alle alten Seppels fragen: Die waren alle begeistert, da gab’s ein schönes Show-Programm.

Gerd Hemforth: Da stimme ich Michael zu. Mit dieser Veranstaltung könnte die Stadt Gelsenkirchen den verdienten und engagierten Amateursportlern ihre Wertschätzung aussprechen. Wir müssen auch mal sehen, worüber wir reden.

Am Spielfeldrand: Gerd Hemforth.
Am Spielfeldrand: Gerd Hemforth. © Michael Korte

Worüber?

Hemforth: Wir müssen im Prinzip nur über Breitensport reden. Leistungssport bekommen wir hier nicht mehr etabliert. Die klassischen Disziplinen gibt es in Gelsenkirchen nicht mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir den Hochleistungssport hier nur noch im Fußball sehen werden. Selbst wenn ein Sponsor 100.000 Euro gäbe: Was willst du damit machen? Bis da wieder ein Pflänzchen wächst, das dauert ewig und drei Tage. Du musst ja nicht nur diese eine Mannschaft haben, die kannst du dir für ein Jahr zusammenkaufen. Aber ist das was Nachhaltiges? Du musst auch die ganzen Strukturen darunter haben.

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Zurhausen: Wie eine populäre Sportart kaputtgemacht wurde, haben wir auch bei den Schalker Haien gesehen. Ich war damals ein riesiger Eishockey-Fan, die wollten mich sogar zum Geschäftsführer machen. Die Haie sind von der Stadt so blockiert worden, weil sie durch die Eis-Disco im Sportparadies keine Trainingszeiten bekommen haben.

Hemforth: Oder die Schalker Basketballer. Die haben in der 2. Bundesliga Pro A gespielt. In Oberhausen.

Zurhausen: Da geht doch kein Gelsenkirchener hin.

Hemforth: Wir haben in Gelsenkirchen so vieles kaputtgemacht. Es gibt aber auch keinen Unterbau mehr. Wenn ich keine Basis habe, auf der ich mir was heranziehe, und das dauert zehn Jahre, dann nutzt es mir nichts, wenn ich mir oben eine teure Mannschaft zusammenkaufe. Wenn der Sponsor dann sagt „Schluss, Aus, ich stelle die Zahlung ein!“, ist alles kaputt. Das haben wir schon x-mal erlebt. Aus der jüngsten Vergangenheit kommt der FC Schalke 04 ins Spiel, der alle Zuschüsse für seine Leistungsabteilungen außer Fußball eingestellt hat. Damit sind Handball, Basketball und Leichtathletik mit einem Schlag aus dem Leistungsbereich verschwunden.

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Vergessen wir also den Leistungssport. Hat der Breitensport in Gelsenkirchen eine Chance?

Hemforth: Aber ja, ich bleibe dabei: Das größte Potenzial liegt in unseren Schulen. Wenn ich dort geeignete Ansprechpartner habe, habe ich auch als Verein die Chance, etwas zu machen. Wir haben zwei oder vielleicht drei Schulen, von denen ich weiß, dass sie sich engagieren: einmal die Gesamtschule Berger Feld – nicht nur, weil sie Schule des Leistungssports ist, sondern auch, weil sie viele Kooperationen hat. Es wird dort sehr viel getan. Dann ist da noch die Gesamtschule Horst, die eine Kooperation mit dem SV Horst 08 hat und sich bemüht, den Kindern ein umfangreiches und interessantes Sportangebot zu machen. Dann hört es auch schon auf. Und: Der vereinsungebundene Sport hat zugenommen. Aber die Vereine sind nicht in der Lage, das zu koordinieren und in ihren eigenen Strukturen auch zuzulassen. Da muss sich eine Symbiose entwickeln, da muss man zusammenarbeiten.

Am Streckenrand: Michael Zurhausen.
Am Streckenrand: Michael Zurhausen. © Kerstin Bögeholz

Täuscht der Eindruck, dass Leistung auch immer seltener gefordert wird?

Hemforth: Das ist häufig so. Kinder können teilweise auch mit Kritik nicht umgehen, weil sie das von den Eltern nicht kennen. Aber noch einmal zur Frage: Was sollte anders gemacht werden, damit der Sport in Gelsenkirchen mal wieder etwas nach vorne kommt, und zwar der Amateursport? Es wäre gut, wenn Gelsensport als Vertreter der Vereine fragen würde: „Wie kann ich euch helfen?“ Gelsenkirchen bekommt vom Landessportbund Budgets, mit denen kurzfristige Projekte bedient werden, die aus meiner Sicht aber nicht nachhaltig sind und den Vereinen wenig weiterhelfen. Außerdem erhalten die Übungsleiter dort einen guten Stundenlohn, den die Vereine ihren Trainern nicht annähernd zahlen können.

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Zurhausen: Das ist ja heute das große Problem, dass die erste Frage immer ist: „Was bekomme ich dafür?“ Ich habe als Ehrenamtler noch nie einen Pfennig bekommen. Wir zahlen doch nur drauf.

Gelsenkirchen hat aber auch ein weiteres Problem: Viele Sportanlagen sind sehr unattraktiv.

Hemforth: Das stimmt so nicht. Die Freigelände inklusive Parkanlagen werden gut gepflegt und können von jedem kostenfrei genutzt werden. Bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel die Halle am Wildenbruchplatz, sind die Hallen auch in einem brauchbaren Zustand. Außerdem ist Gelsenkirchen eine der wenigen Städte, die den Vereinen die Hallennutzung kostenlos zur Verfügung stellt. Es gibt aber auch ein anderes Problem. Die neue Sporthalle an der Ebersteinstraße steht nur den Grundschulen zur Verfügung, weil die Stadt einen entsprechenden Vertrag geschlossen hat.

Die Halle steht nachmittags und an den Wochenenden leer? Das sind genau die Zeiten, die die Vereine gebrauchen könnten.

Hemforth: Aber da muss ich Gelsensport zur Seite stehen. Die Zeiten waren alle verplant, dann wird kurz vor Schluss gesagt, dass die Stadt mit der Gelsenkirchener Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, die ja Bauträger war, einen entsprechenden Vertrag geschlossen habe. Das Gleiche ist bei der Evangelischen Gesamtschule in Bismarck, die eine wunderschöne Dreifach-Halle hat, mit Kraftraum, mit Sozialräumen. Die Schule gehört der Kirche. Da frage ich mich: Wie viel Prozent der Baukosten hat die Kirche übernommen? Das ist, behaupte ich einfach mal, überwiegend von Steuergeldern gebaut worden. Aber die Kirche hat den Schlüssel in der Hand, und eine Nutzung wurde in der Vergangenheit verwehrt.

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Es wäre also viel mehr möglich!

Hemforth: Ja. Unsere Trampolin-Turner, die recht gut sind, müssen mit ihren Geräten aus der Halle an der Franz-Bielefeld-Straße. Sie wissen nicht, wohin mit ihren Großgeräten. Die Schule sagt, den Geräteraum für eigene Zwecke zu brauchen. Und dann schauen Sie sich den Wildenbruch an. Das ist nicht mehr zumutbar. Da sind seit Jahren draußen auf dem Parkplatz die Dusch-Container und Toiletten. In einer Dreifach-Halle von 1983. Der Boden ist eine Katastrophe, die Prallschutzwände sind eine Katastrophe, und die Tribüne: halb abgerissene Teppichfliesen. Aber dafür ist Gelsensport nicht zuständig, sondern das Hochbauamt. Gelsensport hat nur zwei Sporthallen: Schürenkamp und Oststraße. Es hapert daran, dass Sportstätten zu wenig kontrolliert werden. Es nutzt nichts, eine nagelneue Halle mit nagelneuen Gerätschaften hinzustellen, und niemand kümmert sich.

Ein Problem für die Vereine ist aber sicherlich doch auch, mit den Folgen der Corona-Pandemie klarzukommen?

Hemforth: Es liegt aber nicht nur an der Pandemie. Der TC Gelsenkirchen hatte mal 1400 Mitglieder, jetzt haben wir rund 800.

Zurhausen: In den meisten Vereinen ist es doch so, dass die, die in der Verantwortung sind, immer älter werden. Das könnte schon in naher Zukunft ein riesiges Problem werden. Wenn du einen Vorstand hast, der Geld besorgen kann und gute Sponsoren hat, dann läuft es. Die meisten haben aber, selbst wenn sie früher selbst in diesem Klub Sport getrieben haben, auf ehrenamtliche Vereinsarbeit keinen Bock und gehen lieber ins Fitness-Studio.

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Hemforth: Das Problem ist, dass viele keine vernünftige, gemeinschaftliche, umfassende Vereinsarbeit mehr erlebt haben.

Zurhausen: Früher war jeden Monat eine Versammlung, von 80 waren 60 da, und die haben eine Currywurst gegessen und sich gefreut. Da war noch ein Zusammenhalt. Wenn du heute eine Versammlung machst, hast du da vielleicht 20 Mann sitzen, und es ist auch unheimlich schwierig geworden, die Gemeinschaft zu fördern – bei Jugendlichen sowieso, die wollen nur Hully Gully haben, und die Älteren wollen Wanderurlaub in Winterberg machen. Mit einem reinen Sportverein wie früher hat das nichts mehr zu tun, aber das ist auch ein gesellschaftliches Problem. Die wollen mit nix was zu tun haben. Der Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.

Gerd Hemforth, der Trainer der Oberliga-Volleyballerinnen des TC Gelsenkirchen (links), und Michael Zurhausen, der Macher der City-Nacht von Schaffrath.
Gerd Hemforth, der Trainer der Oberliga-Volleyballerinnen des TC Gelsenkirchen (links), und Michael Zurhausen, der Macher der City-Nacht von Schaffrath. © Oliver Mengedoht

Was wäre denn, wenn Sie sagten, jetzt aufzuhören?

Hemforth: Dann wäre es mit Volleyball beim TCG vorbei.

Zurhausen: Dann gäb’s keine City-Nacht mehr.

Hemforth: Aber wir können jetzt nicht nur Missstände aufdecken. Wir sind ja noch keinen Schritt weiter. Wir wollen auch was anbieten, wie es besser werden könnte.

Und?

Hemforth: Man müsste wieder, was ich ja gemacht habe, mit Schulen zusammenarbeiten. Es müssten mehr Kooperationen zwischen Vereinen und Schulen geschlossen werden, bei denen der Verein dann die Möglichkeit hat, Übungsleiter und Trainer in die Schulen zu schicken. Idealerweise sollte an der Schule ein Kollege sein, der als Verbindungslehrer da ist und im besten Fall auch Trainer im Verein ist.

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Zurhausen: Meine Philosophie zu dieser Geschichte ist: Wenn wir einen Schnellschuss haben wollen, dann müssen wir hier Sportveranstaltungen von internationaler Klasse nach Gelsenkirchen holen. Das kostet Geld. Es heißt doch: Gelsenkirchen ist eine Sportstadt. Waren wir doch früher auch. Also müssen wir auch mal die Firmen ansprechen und denen klarmachen, dass es hier nicht nur Schalke gibt. Wenn wir hier Top-Sportveranstaltungen haben – ich kann mich an ein Basketball-Länderspiel in Erle an der Oststraße erinnern, als die Halle voll war…

Hemforth: …das war aber noch zu Zeiten, als der FC Schalke 04 dort hochklassig gespielt hat und das Publikum an exzellenten Basketball-Sport gewöhnt gewesen ist. Auch ein Spiel der Schalker Oberliga-Handballer gegen die Füchse Berlin aus der Bundesliga hat keinen Handball-Boom entfacht.

Zurhausen: Aber wenn ich wirklich Weltklasse- oder guten Sport hier hätte: Dann müssten die Vereine auch mal mitziehen und nicht nur Amateursport anbieten. Die großen Veranstaltungen fehlen in Gelsenkirchen, in jeder Sportart. Nur wenn ich Spitzenklasse anbiete, bekomme ich auch Geld.

Aber dann muss man auch erst einmal Geld reinstecken.

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Zurhausen: Du musst eine Ware, eine Sportart haben, mit der du sagen kannst: Ich hole zum Beispiel den Deutschen Meister hierhin. Es gibt schon Firmen, bei denen man etwas machen kann. Die Kriterien bei denen sind ganz einfach: absolute Spitze, Top-Werbung dabei, der Verein muss dahinterstehen und vernünftige Pressekonferenzen. Du musst immer wieder die Medien füttern, damit die Leute auch sehen: Da ist etwas Tolles, da gehe ich mal hin. Es bringt ja nichts, wenn ich ein Basketball-Länderspiel gegen Po­len oder die USA mache und das drei Tage vorher ankündige. Das muss ich ein halbes Jahr vorher machen, und dann wird das auch interessant.

Hemforth: Aber wenn man als Verein nicht annähernd eine hohe Leistungsklasse bieten kann. Wer soll als Sponsor daran Interesse haben?

Zurhausen: Mein Verein hat keinen einzigen Radrennfahrer. Die Qualität der Veranstaltung – dass wir sagen können, wir haben Weltmeister dabei – ist entscheidend.

Hemforth: Aber Du willst doch Leute zum Training haben. Du vielleicht nicht, aber die Vereine.

Zurhausen: Wir müssen von der Realität ausgehen. Der Gelsenkirchener Sport ist schwach. Das kann ich nicht innerhalb von ein, zwei Jahren ändern. Jetzt muss ich erst mal versuchen, Publikum und Sponsoren zu kriegen. Ohne Sponsoren läuft es nicht. Und die bekommen wir nur mit Top-Veranstaltungen. Ich kann da aus 25-jähriger Erfahrung sprechen.

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Hemforth: Ich sehe das anders. Eine Nachhaltigkeit entsteht aus meiner Sicht nur dann, wenn ich selbst etwas bieten kann. Ich mache ein Highlight, habe aber dann nichts, wo sich die Kinder wiederfinden können. Wenn ich als Bundesligist oder als Zweitligist ein Länderspiel anböte, wäre das etwas ganz anderes. Deshalb boomen auch die Bundesliga-Städte in ihren jeweiligen Sportarten, aber wir haben so etwas nur im Fußball. Wir müssten uns auch fragen: Welche Sportart hätte eine Zukunft auf Spitzenniveau? Alle ließen sich sicherlich nicht halten.