Gelsenkirchen. Rudolf Schonhoff spielte kurz mit den Stars vom FC Schalke 04. Dann ging er jedoch seinen eigenen Weg und fasste einen ungewöhnlichen Entschluss.

Das Schwarzweißbild ist in die Jahre gekommen, man erkennt das nicht nur an den langen Haaren der abgebildeten Fußballer, sondern auch an einer zerknitterten Ecke unten rechts. Für Rudolf Schonhoff aber ist dieses Foto von unschätzbarem Wert. Denn es dokumentiert, dass der Gladbecker etwas erlebte, wovon viele Amateurfußballer träumen.

Das Foto zeigt die Mannschaft des FC Schalke 04 vom 16. August 1975 im Parkstadion vor dem Heimspiel gegen den MSV Duisburg. Lauter Legenden sind dort zu sehen, königsblaue Kultfußballer aus den Siebzigern: Klaus Fischer, Erwin Kremers, Helmut Kremers, Norbert Nigbur, Hannes Bongartz, Klaus Fichtel, Norbert Nigbur, auch der junge Norbert Elgert, von dem damals noch keiner wissen konnte, dass er mal der beste Nachwuchstrainer der Republik werden würde. Aber einer fehlt: Rolf Rüssmann, der großartige Vorstopper jener Jahre. Stattdessen steht da neben Torwart Nigbur: Rudolf Schonhoff.

Wie er dort hinkam? Das hat er in einer Biografie beschrieben, Rudolf Schonhoff gab ihr den Titel „Ein anderer Weg“. Überzeugt sagt der heute 70-Jährige: „Dieser andere Weg war für mich der richtige.“

Schonhoff hatte keine großen Ambitionen

Rudolf Schonhoff gehörte seit 1972 zur Schalker Amateurmannschaft. Auch er hatte es sich als Jugendlicher gewünscht, eines Tages groß herauszukommen, er spielte ja schon seit der Knaben-Mannschaft, heute D-Jugend, für Schalke 04, und spätestens in der A-Jugend stellt sich unweigerlich die Frage, ob man es schaffen kann. Rudolf Schonhoff hatte diese Frage für sich bereits beantwortet, er hatte keine höheren Ambitionen mehr, als er plötzlich doch noch in die andere Welt eintauchen sollte. Fußball bedeutete ihm vieles, aber nicht alles, gesunde Selbsteinschätzung half ihm durchs Leben. „Die hatten und haben viele nicht“, sagt er und erklärt: „Ich wollte spielen, und bei den Profis hätte ich nicht oft gespielt.“

Umso ungewöhnlicher, was er dann in jenen Augusttagen 1975 erlebte. „Ich bekam einen Anruf von Geschäftsführer Hans Hörstermann. Der sagte: ,Die Profis sind im Trainingslager in Warendorf, da sind ein paar Leute ausgefallen. Kannst Du da heute Abend nachkommen?’ Das war vor dem Saisonstart.“ Immobilien-Kaufmann Rudolf Schonhoff machte es irgendwie möglich. Als er ankam, entdeckte er in einer Ecke des Hotels das Schalke-Idol Stan Libuda. Rudolf Schonhoff hörte, wie der sensible Ex-Kapitän sagte: „Ich schaffe das alles nicht mehr.“ Es waren schwierige Zeiten auf Schalke, einige Spieler hatten noch mit den Folgen des Bundesliga-Skandals von 1971 zu kämpfen, besonders Libuda, der nicht mehr der Alte war und aufgab.

Rudolf Schonhoff Anfang Dezember an der Glückauf-Kampfbahn.
Rudolf Schonhoff Anfang Dezember an der Glückauf-Kampfbahn. © Bernd Thissen

Neuer Trainer auf Schalke war Max Merkel, der extrovertierte, auch zynische Österreicher. Er lud den Amateur zum Saison-Eröffnungsspiel gegen Slavia Prag ein.

Der Eingang zum Spielertrakt aber wurde Rudolf Schonhoff verwehrt. „Da stand ein Ordner, der sagte: ,Nee, nee, ich kenne alle, die hier spielen.’“ Zum Glück kam Co-Trainer Friedel Rausch vorbei und nahm den Verzweifelten mit. „Ich dachte, ich schau mir mal ein schönes Spiel aus anderer Perspektive an“, erzählt Rudolf Schonhoff. „Aber schon ab der 18. Minute musste ich aushelfen.“ 4:4, es lief ganz ordentlich. Der Neuling dachte: Das war es dann mit dem Ausflug nach oben. Er spielte wieder bei den Amateuren und für die Betriebssportgemeinschaft. „Als die Profis das erste Saisonspiel in Hamburg hatten, lag ich mit meiner heutigen Frau im Grugabad in Essen.“

Gegen Krankl in Wien

Schalke verlor 1:4, montags kam wieder ein Anruf. Ob er Zeit hätte für einen Trip nach Wien, zum Freundschaftsspiel gegen Rapid. Diesmal sollte er von Beginn an spielen. „Ich hörte, wie der Stadionsprecher rief: Mit der Nummer 9 – Hans Krankl. Da nahm mich Max Merkel in den Arm und sagte: Gegen den spielst Du.“ Rudolf Schonhoff blamierte sich nicht beim Duell mit Österreichs Starstürmer. 2:2, auch das war okay.

Auf dem Rückflug erzählte Betreuer Ede Lichterfeld Rudolf Schonhoff, er habe mit Präsident Günter Siebert telefoniert: „Du bekommst einen Vertrag.“ Die Reaktion überraschte: „Ich habe einen Beruf, das muss ich mir erst mal überlegen.“ Es folgte die erste Nominierung für ein Bundesligaspiel. Die Bild-Zeitung titelte: „Blutiger Anfänger muss Schalke 04 retten“.

5:1 gegen den MSV Duisburg

Im Hotel in Flaesheim am Tag vor dem Spiel wunderte sich der Neue. Keine Spielersitzung, keine Einweisung, nichts. Merkel gab ihm nur einen Tipp: „Ich kann hier den Rehrücken mit Preiselbeeren empfehlen.“ Am Spieltag wusste er beim Umziehen immer noch nicht, dass die Nummer 4 für ihn reserviert war.

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5:1 gegen Duisburg, welch ein Debüt. „Das war herrlich.“ Aber eine Woche später war Rolf Rüssmann wieder fit – und Rudolf Schonhoff draußen. Am 25. Spieltag, beim 1:4 in Braunschweig, durfte er noch mal für 25 Minuten aushelfen, und das war es dann tatsächlich.

Einmal Bundesliga und zurück – Rudolf Schonhoff hatte es so gewollt, das Vertragsangebot hatte er abgelehnt. „Ich hatte im Sommer ‘75 die Zusage, die Außenstelle Düsseldorf unseres Immobilien-Unternehmens übernehmen zu können. Und meine Frau, die damals noch meine Freundin war, studierte in Düsseldorf Medizin. Ich wollte mit ihr leben, als Profi hätte ich auch mal wechseln müssen.“

Auch wenn das damals noch nicht absehbar war: In der Firma machte er Karriere. Und für Schalke spielte er insgesamt 17 Jahre. Heute ist er Dauerkartenbesitzer, er dachte mal: „Sonst kommst du ja auch nicht rein, wenn die gegen Barcelona spielen.“ Aber dann kamen irgendwann Kiel und Sandhausen. Rudolf Schonhoff litt mit beim Schalker Abstieg, und er genoss den Wiederaufstieg. „Ist zwar nur ein Spruch“, sagt er, „aber es ist doch so: Einmal Schalker, immer Schalker.“