Rio de Janeiro . Statt Lionel Messi steht vor allem Javier Mascherano für Argentiniens Stil vor dem WM-Finale gegen Deutschland – der 30-Jährige entspricht dem Spielerideal des Taktikers Alejandro Sabella, er ordnet das Gefüge, damit Einzelkönner wie Lionel Messi glänzen können.

Diego Maradona kann man vieles vorwerfen, aber kaum, dass er sich nicht auf große Worte und noch mehr Pathos versteht.

Manchmal sind sogar Einlassungen dabei gewesen, die im Nachhinein geradezu fachmännisch weise erscheinen. Von der WM 2010 in Südafrika ist so ein Satz überliefert, als sich Maradona als Nationaltrainer Argentiniens versuchen durfte. Und gesagt hatte er damals, dass seine Mannschaft aus „Mascherano plus zehn weiteren Spielern“ bestünde. Das war zwar typisch überhöht und zugleich unscharf reduziert. Aber Maradona hatte den Wert von Javier Alejandro Mascherano für Argentiniens Spiel ganz offenbar früh erfasst.

Am Sonntag zieht dieser 30-Jährige nun ins WM-Finale gegen die deutsche Auswahl, und wenn es gut läuft aus Sicht der gut 40 Millionen Landsleute Maradonas, wird Mascherano neben Lionel Messi in der Heimat als neues Fußballidol in die Geschichte eingehen. Längst erkannt worden ist sein Stellenwert ja auch vom Publikum. Das vergöttert zwar die vergangenen und aktuellen Künste von Maradona und Messi. Aber dem kampfstarken Strategen Mascherano fühlt es sich näher. Sein Stil ist nachvollziehbar, nicht zuweilen unwirklich phänomenal wie bei den gefeierten Artisten der Nation. Und er steht nun tatsächlich vor allem für diese Albiceleste, die Weißhimmelblaue, die sich nicht hübsch, aber sachlich und geschickt ins Endspiel gegen Deutschland taktiert hat.

Mascherano gibt der Mannschaft ein Gesicht

Messi ist Argentiniens sonderbegabter Einzelkönner, der Genius in seinem eigenen Orbit. Aber Mascherano gibt der Mannschaft von Trainer Alejandro Sabella das Gesicht. Er verkörpert den Stil, die Basis, auf der sich Messi in einzelnen Momenten austoben darf. Mascherano ordnet das Spiel, er tritt im defensiven Mittelfeld auf als Herz und Hirn, an dem sich alles orientiert. Und er hat sich früh vorgenommen, das bei dieser WM bis zum letzten Auftritt durchzuziehen – in einem Tonfall, der seinen kämpferischen wie beharrlichen Stil genauso spiegelt wie den der Mannschaft hinter dem Solisten Messi. Seine Ansage an die Kollegen, der Überlieferung nach vor dem Viertelfinale gegen Belgien in der Kabine: „Ich habe es satt, die Arschkarte zu ziehen und die Schnauze voll zu verlieren. Ich will diese WM gewinnen.“

2006 und 2010 war Mascherano bereits dabei, als es jeweils im Viertelfinale gegen Deutschland eine Niederlage setzte. Unter Maradonas Trainerregie gar ein 0:4, vielleicht auch, weil der Fußballheilige zwar durchaus einen Blick für die Fähigkeiten Einzelner hat, dies aber nicht in ein Coaching und aufs große Ganze übertragen konnte. Der clevere Sabella kann das ganz offensichtlich, und er hat sein Spielerideal in Mascherano gefunden. Der gegenüber dem Trainer schon mal kritische Messi darf symbolisch die Kapitänsbinde tragen, sein Stellvertreter Mascherano aber soll das Team lenken. Selbst die Ämtervergabe scheint taktisch geprägt bei Sabella. Nach dem Finaleinzug aber gab er die wahre Hierarchie preis. Mascherano sei „das Bollwerk in unserer Mannschaft, unser Wahrzeichen“, sagte der 59-Jährige, „ein Vorbild auf und neben dem Platz.“

„Ein römischer Gladiator sieht neben Mascherano aus wie ein Teletubbie“

In seiner Heimat ist der langjährige Profi des FC Barcelona bereits heroisiert worden. „Ein römischer Gladiator sieht neben Mascherano aus wie ein Teletubbie“, hieß es in den Medien sogar. Ein bisschen kurz kamen in diesem Vergleich jene Elemente, die Mascherano neben der Einsatzfreude besonders wichtig sind. Immer wieder hat er das im Turnierverlauf betont. „Wir spielen mit unserem Herzen und unserer Seele, aber auch mit viel taktischer Intelligenz“, sagte Mascherano, „wenn du in den taktischen Dingen nicht klug bist, kommst du nicht weit.“

Nebenbei weist ihn die Statistik nicht nur mit einer der besten Passquoten aus, nicht allein bei Argentinien, sondern von allen WM-Spielern. Das trug einen wesentlichen Teil bei zu den bisherigen Erfolgen. Carlos Bilardo, eine der großen Trainerikonen Argentiniens, durfte auch deshalb hoffnungsvoll schwärmen: „Wir haben im ganzen Turnier nur drei Gegentore bekommen, in der ganzen K.o.-Runde gar keines. Deutschland muss uns erst mal knacken.“

Um das zu verhindern, wird Mascherano versuchen, das Gefüge noch einmal kühn zu lenken. Und hoffen, dass Messi diese Basis irgendwann nutzt, um in seinen eigenen Orbit auszubüxen. Maradona, der Held des bisher letzten WM-Titels von 1986, hat sich dem neuen Stil Argentiniens übrigens schon beinahe angepasst. Seine geradezu sachliche Einschätzung: „Deutschland ist nicht unschlagbar.“