Santo André/Rio de Janeiro. Am Sonntag will Deutschland im Finale gegen Argentinien nach 24 Jahren endlich wieder den WM-Titel holen. Es wäre die Krönung der Generation Maracanã. Viele Nationalspieler wurden 2009 gemeinsam U21-Europameister. Auch die “Sommermärchen“-Fraktion will endlich triumphieren.

Es gibt Redebedarf innerhalb der deutschen Mannschaft. Eine ernste Sache. Deutliche Worte sind gefragt. Kein herumschwafeln, kein um den heißen Brei herum reden. Es geht um alles. Nur wer das Wort ergreifen soll, ist noch offen.

Löw lässt Spieler das Wort ergreifen

Joachim Löw hat sich noch nicht entschieden. Vor jedem Spiel überlässt der Bundestrainer in den Minuten vor dem Anpfiff das Wort einem der Spieler. Kapitän Philipp Lahm und Fußball-Opa Miroslav Klose hatten schon die Ehre.

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Vor dem Viertelfinale gegen Frankreich war es Per Mertesacker, der am Abend zuvor erfahren hatte, dass er nicht spielen sollte und der dann trotzdem zur Mannschaft sprach. Der Abwehrmann erinnerte seine Kollegen in einer hochemotionalen Kurzrede daran, dass es um mehr als um einen Startelfplatz gehe. Es gehe um ein gemeinsames Ziel, um einen großen Traum. Und wer sich auch immer am Sonntag in der Kabine des legendären Maracanã zu Wort melden wird, der dürfte ähnlich pathetische Sätze gebrauchen.

Man muss auch gar nicht lange darum herumreden: Deutschland gegen Argentinien, das Finale. Es ist der Höhepunkt dieser 20. Fußball-Weltmeisterschaft. Der ganze Planet wird zuschauen. Und für mindestens elf deutsche Fußballer ist es nicht mehr und nicht weniger als das Spiel ihres Lebens.

„WM-Finale ist das größte Spiel“

„Ein WM-Finale ist das größte Spiel, das man als Fußballer erleben kann. Es gibt nur alle vier Jahre eine Weltmeisterschaft – und die ist von der Bedeutung her mit nichts anderem zu vergleichen“, sagte Torjäger Thomas Müller wenige Stunden bevor die Mission Maracanã so richtig gestartet wurde.

Um Viertel vor sieben verließ der Nationalmannschaftstross am Freitagabend in Begleitung einer Polizeieskorte ein letztes Mal das Campo Bahia. Zum Abschied hatte die Belegschaft eine deutsche Fahne am Eingang aufgehängt: „Wir sind stolz auf euch!“, stand darauf geschrieben. Gut 100 Minuten später ging es mit dem Charterflieger von Porto Seguro aus direkt nach Rio de Janeiro, wo die Spieler aus dem Flugzeugfenster das hellerleuchtete Endspielstadion bewundern konnten.

Doch zunächst war nicht das Maracanã, sondern das 18 Kilometer entfernte Sheraton Rio Hotel & Resort im edlen Strandviertel Leblon das Ziel. Abendessen um 23 Uhr, Nachtruhe ab Mitternacht. „Von uns aus kann jetzt losgehen“, sagte Lahm angriffslustig.

Sechs DFB-Kicker wurden 2009 U21-Europameister

Vier Turniere in Folge war Deutschland ganz nah dran, Fußballgeschichte zu schreiben. 2006 wurde die Generation Sommermärchen WM-Dritter, 2008 verloren Ballack und Co das EM-Finale gegen Spanien. 2010 wusste man nicht so genau, ob man sich über den erneuten dritten Platz bei der insgesamt herausragenden WM in Südafrika freuen sollte oder nicht. Und 2012 war klar: das Halbfinalaus bei der EM gegen Italien war eine Enttäuschung.

Aber all das ist nun Vergangenheit. Im Hier und Jetzt scheint sich eine ganze Nation gewiss zu sein: 24 Jahre nach dem Triumpf von Rom wird das DFB-Team erneut Argentinien schlagen und endlich diesen Titel holen, von dem jeder der Helden in kurzen Hose seit Kindestagen träumt. Ganz Deutschland will nur noch eines: Weltmeister werden.

„Wir wollen diesen Pokal endlich zurück nach Deutschland bringen“

„Wir wollen diesen Pokal endlich zurück nach Deutschland bringen“, sagte Lahm, der bereits vor dem ersten WM-Qualifikationsspiel in Hannover gegen die Färöer im September 2012 mutig angekündigt hatte, unbedingt Weltmeister werden zu wollen. Doch obwohl den deutschen Spielern in den vergangenen Jahren immer dieser berühmte letzte Tick bis zum großen Glück gefehlt hatte, ist Löws Startelf gleichzeitig voll von Spielern, die genau wissen, wie man das Endspiel eines großen Turniers gewinnt.

Mit Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Jerome Boateng, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil sind gleich sechs Nationalspieler dabei, die 2009 U21-Europameister wurden. Mit 4:0 hatte Deutschlands Fußballnachwuchs Englands U21 im Swedbank Stadion von Malmö überrollt. Und fünf Jahre später soll nun gemeinsam mit den verbliebenen 2006ern (Lahm, Schweinsteiger und Klose, dazu noch auf der Bank Mertesacker und Podolski) die vielleicht beste Fußball-Generation Deutschlands vergoldet werden.

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„Wir haben eine Generation von Spielern, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat“, sagte Lahm, „die Mannschaft ist gereift.“ Denn natürlich würden auch alle Nicht-U21-Europameister genau wissen, wie man einen Titel holt. „Diese Erfahrung ist wichtig“, sagte Lahm, „man kann unseren gesamten Kader durchgehen, da hat jeder Spieler die Erfahrung, schon mal ein großes Spiel gespielt zu haben.“ Tatsächlich hat jeder Spieler aus der Startelf, die im Vergleich zum fußballhistorischen 7:1-Halbfinalsieg gegen Brasilien nicht verändert werden soll, bereits Titel noch und nöcher gesammelt. Nur der wichtigste Pott im Weltfußball, dieser 6,2 Kilogramm schwere und 36,8 Zentimeter große WM-Pokal, der fehlt eben noch.

"Jede Mannschaft hat ihre Geschichte"

„Jede Mannschaft hat ihre Geschichte“, sagte DFB-Manager Oliver Bierhoff. Die Geschichte der Generation Maracanã wird am Sonntag geschrieben. Um 16 Uhr Ortszeit (21 Uhr, deutsche Zeit, live in der ARD). 90 Minuten lang. Möglicherweise 120 Minuten. Und vielleicht sogar noch mehr. „Ich habe die Entschlossenheit unserer Mannschaft vom ersten Tag an in Brasilien gespürt“, sagte Bierhoff, der bei der Finalniederlage 2002 sogar noch als Spieler dabei war. „Damals haben wir uns ein wenig durch das Turnier gewurschtelt“, so Bierhoff, „diesmal ist es anders.“ Denn diesmal soll auch dieser letzte Schritt noch gegangen werden.

Es dürfte nicht schwer sein, die passenden Worte unmittelbar vor dem Anpfiff des Spiels der Spiele zu finden. Vielleicht reicht es auch, sich an Franz Beckenbauer zu orientieren. Da ist man meistens auf der sicheren Seite. Der frühere Teamchef, so wird es jedenfalls erzählt, soll seine Fußballer vor dem letzten Weltmeisterschaftstitel 1990 auf den Rasen des Römer Olympiastadion mit der weisesten aller Fußball-Weisheiten geschickt haben. Der Kaiser brauchte nur fünf Worte: „Geht’s raus und spielt’s Fußball!“