Bochum. Der VfL Bochum hat die Saison sensationell auf Rang 14 abgeschlossen - dank der Fans und Trainer Letsch. Die Ansprüche steigen. Ein Kommentar

Die Fans fluteten den Rasen im Ruhrstadion, als der 3:0-Sieg gegen Leverkusen und der Klassenerhalt perfekt war. Und alle – Spieler, Trainer, Klubführung – widmeten den zweiten Liga-Erhalt in Folge in einer rauschenden Party-Nacht vor allem auch den Anhängerinnen und Anhängern. Zu Recht.

„Wir bleiben drin!“: So feierte der VfL im Bermudadreieck

Es hat sich eine Gemeinschaft entwickelt in Bochum, bei diesem immer noch und absehbar auch in den nächsten Jahrzehnten vergleichsweise kleinen Verein zwischen Schalke und Dortmund. Es ist ja gar nicht so lange her, als man Corona nur als Marke eines alkoholischen Getränks kannte. Thomas Reis, Anthony Losilla, Manuel Riemann wurden von den Fans kräftig beschimpft und beleidigt am Zaun, als der VfL Bochum in der 2. Liga in Kiel verloren hatte und Richtung Drittklassigkeit spielte.

Es kam die Pandemie namens Corona. Es kam der Klassenerhalt. Der Aufstieg. Der Bundesliga-Klassenerhalt mit einem 4:3 in Dortmund. Und jetzt Rang 14 nach dem denkwürdigen letzten Spieltag, an dem Bochum ja noch hätte absteigen können.

Eine unfassbar starke Leistung. Von Trainer Thomas Letsch, seinem Team und den Fans.

Dieser Klassenerhalt ist noch höher zu bewerten als im Vorjahr

Der zweite Klassenerhalt in Folge ist noch höher zu bewerten als die Rettung im Vorjahr. Da gab es die Absteiger Fürth und Bielefeld, Vereine, die maximal auf Augenhöhe waren. Es gab die Bundesliga-Euphorie nach elf Jahren Zweitklassigkeit, irgendwann das Ende von Corona-Maßnahmen. In dieser Saison prägten den Start Misserfolge und Theater um Ex-Sport-Geschäftsführer Sebastian Schindzielorz und vor allem Trainer Thomas Reis, von dem sich der Klub nach sechs Spielen ohne Punkt trennte. Hinzu kam eine Kampf-Abstimmung um die ehrenamtliche Vereinsführung, die intern für viel Wirbel sorgte.

Anthony Losilla, Kapitän des VfL Bochum, jubelt beim Sieg gegen Leverkusen.
Anthony Losilla, Kapitän des VfL Bochum, jubelt beim Sieg gegen Leverkusen. © firo

Hans-Peter Villis, seit 2012 der VfL-Boss, setzte sich mit seinem Team auf der Mitgliederversammlung gegen Mannschaftsarzt und Klinikchef Karl-Heinz Bauer und sein Team durch. Zudem erkrankte nach der Winterpause Sport-Geschäftsführer Patrick Fabian. Marc Lettau, 37 Jahre jung und gerade erst angekommen, übernahm die Kaderplanung und alles Sportliche auf höchster Ebene, andere übernahmen weiteren Fabian-Aufgaben. Bochum beruhigte sich. Nach außen drang kein Zoff. Ein Klub, ein Team. So kam es an - nicht selbstverständlich im aufgeregten, medial oft überzogen aufgebauschten Profifußball-Geschäft.

Thomas Letsch strahlte stets viel Ruhe aus

Für Reis übernahm Thomas Letsch. Wer? Das fragten sich viele. Ein Bundesliga-Neuling im vergleichsweise hohen Alter (54), losgeeist von Vitesse Arnheim. Und der Start ging richtig schief in Leipzig – 0:4 mit neuer Taktik, neuem Personal. Der Glaube an die Rettung sank auf Kühlschrank-Temperatur. Nicht zum letzten Mal. Auch nach dem 0:2 gegen Schalke oder dem 2:3 gegen Stuttgart schien Bochum gefühlt doch abgestiegen zu sein.

Die Fans aber, von emotionalen Missklängen vor allem nach der bitteren Derby-Pleite gegen Schalke und einem Einzelfall, als nach dem 2:3 gegen Stuttgart zwei Anhänger auf Manuel Riemann losgingen, abgesehen, blieben ihrem Team komplett treu. Volle Unterstützung bis zum Anschlag. Die Fans trugen auswärts und vor allem in den Heimspielen die Mannschaft zu unverhofften Siegen. Auf die Spitze trieben sie es gegen Bayer Leverkusen. Im positiven Sinne. Das Stadion, die Stadt, alles und alle explodierten. Das Team fightete sich auf Rang 14, wie so oft auch dank etwas Matchglück.

Bochum warf alles rein. Das zeichnete den VfL aus in dieser Saison: Immer wieder aufzustehen, obwohl es spielerisch hier und dort hakte, auch gegen Leverkusen. Trainer Letsch, innerlich sicherlich nicht so cool wie er nach außen wirkt, haute nie drauf aufs Team, sondern richtete es stets auf. Blieb immer positiv, strahlte viel Ruhe aus. In der Außendarstellung war er ein hervorragender Repräsentant des Klubs: familiär, bodenständig, sympathisch. Im Klub war und ist er unumstritten – aber im gleichen Klub, mit Spielern und Bossen, redet er auch Tacheles.

Führungsspieler in der zweiten Reihe: Dennoch funktionierte Bochum als Team

Letztlich hat es Letsch geschafft, eine keineswegs immer homogene Truppe als Einheit zusammenzuhalten, trotz Härtefällen: Danilo Soares, Cristian Gamboa etwa durften zuletzt nicht spielen, langjährige Leistungsträger, Führungsspieler, Fan-Idole. Auch Simon Zoller ist nur noch Edeljoker. Dennoch zeigte sich gerade in den letzten Spielen, dass jeder wichtige Mann im Team des VfL das Credo des Trainers angenommen, es mitgelebt hat. Nur zusammen können wir es schaffen. Als Mannschaft, ob im Spiel, im Training, in der Kabine – und mit den Fans.

Letsch ist ein Top-Kandidat auf den Trainer des Jahres. Als er kam, hatte Bochum einen Punkt nach sieben Spielen. Das 3:0 gegen Frankfurt im ersten Heimspiel unter Letsch läutete die Wende ein. Es war der Schlüsselsieg. Gerade zuhause war Bochum eine Macht, verlor unter Letsch nur vier Heimspiele, holte im Ruhrstadion 26 seiner 34 Punkte, Platz neun in der Heimtabelle. Es gab heftige Rückschläge, die viele immer wieder zweifeln ließen. Der VfL schließt die Saison mit 72 Gegentoren ab, so viele kassierte Bochum noch nie in der Bundesliga.

Aber Bochum stand immer wieder auf. Das 3:2 gegen Augsburg am drittletzten Spieltag war nach dem 3:0 gegen Frankfurt und neben dem 2:0 in Köln der wichtigste Erfolg in dieser Saison, wichtiger noch als das 3:0 gegen Bayer 04.

Der Etat des VfL Bochum steigt immens, die Ansprüche steigen auch

Und doch brachte Letsch selbst in den Minuten des Triumphes auf den Punkt, was im Fußball zählt heutzutage: Ganz selten das Gestern, fast immer nur das Morgen. Die Voraussetzungen im dritten Bundesliga-Jahr sind deutlich besser als im ersten und vor allem im zweiten Jahr seit dem Aufstieg. Bochum hatte in dieser Spielzeit den kleinsten Etat, galt lange als Abstiegskandidat Nummer eins. Rang 14, das darf man sensationell nennen.

In der kommenden Saison sind die Aufsteiger definitiv hinter Bochum platziert, auch finanziell. Bochum hat mit Hans-Peter Villis und Ilja Kaenzig, dem Sprecher der Geschäftsführung, an der Spitze klug gewirtschaftet, die Coronakrise überwunden, er ist gesund und arbeitet Schritt für Schritt am Wachstum. Der Klassenerhalt beschert einen kräftigen Schub. Bis zu 45 Millionen Euro hat der Klub für das dritte Bundesliga-Jahr in Folge im Etat veranschlagt, der VfL holt gegenüber Köln oder Bremen mächtig auf.

Ist Rang 16 dann nicht mehr gut genug? Ist der auf gemeinschaftliches Verteidigen, auf schnelles Umschaltspiel, auf viele lange, hohe Bälle ausgerichtete Spielstil nicht mehr gut genug?

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Die Ansprüche werden steigen im nächsten Jahr, obwohl erneut nur der Klassenerhalt das große Ziel sein kann. Um höher zu denken, benötigt Bochum noch weitere Jahre in der Beletage. Trainer Letsch will auf Dreierkette umstellen, will mehr Flexibilität im Spiel mit Ball sehen. Der Kader der kommenden Saison ist vor allem auch sein Kader, anders als dieses Jahr. Eine Weiterentwicklung, auch spielerisch, ist lobenswert. Sie darf aber nicht dazu führen, dass der VfL Bochum seine Basics vernachlässigt. Nur gemeinschaftlich mit den Fans sowie als Team bei der Arbeit gegen den Ball kann Bochum auch kommende Saison am Ende eine große Party starten.