Bochum. Anthony Losilla ist Musterprofi, offen für Fans. Ein Gespräch mit dem VfL-Bochum-Kapitän über Familie, Heimat, Werte, Mentalität, faule Spieler.
Anthony „Toto“ Losilla ist daheim in Frankreich. Am Donnerstag hat er mit seiner Frau Lauriane seine Kinder Giulian (10) und Haylie (6) von der Schule abgeholt, ist in sein Heimatland gefahren, um mit seiner Familie Weihnachten zu feiern. Erst in Nizza, bei der Familie seiner Frau, dann in Saint Etienne mit seinen Eltern.
Der 36-jährige Kapitän des VfL Bochum nahm sich vorher noch die Zeit für ein vorweihnachtliches Gespräch über Familie, Werte, Mentalität, Gier im Profigeschäft, fleißige und undisziplinierte Spieler, eine neue Spielergeneration und seine Zukunft in seiner „neuen“ Heimat.
Herr Losilla, was bedeutet Ihnen Weihnachten?
Anthony Losilla: Ich freue mich unheimlich darauf, Zeit mit der ganzen Familie zu verbringen, zumal wir uns ja nicht so oft sehen können. Und es gibt nichts Schöneres, als die leuchtenden Kinderaugen zu sehen, wenn sie ihre Geschenke entdecken.
Wie läuft Heiligabend konkret ab?
Heiligabend treffen wir uns alle bei den Eltern meiner Frau, auch meine ältere Tochter Lyna kommt, dazu Cousinen und Cousins und einige mehr, wir sind eine große Familie. Wir treffen uns relativ früh, bei uns Franzosen dauert das Essen ja immer lange, bestimmt fünf Stunden. Meine Schwiegermutter ist die Chefköchin. Traditionell gibt es fünf Gänge, auf jeden Fall Foie Gras (Stopfleber, die Red.) als eine Vorspeise, meistens auch Weinbergschnecken.
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Weihnachten gönnen Sie sich, der auf sportlich ausbalancierte Ernährung bekanntermaßen viel Wert legt, also auch mal ein bisschen mehr vom Guten?
Ja, auf jeden Fall. Es gibt auch guten Rotwein, vielleicht Champagner. Es wird spät.
Müssen die Kleinen auch fünf Stunden am Ess-Tisch sitzen?
(lacht) Nein, sie dürfen ihre Geschenke eher auspacken, zwischen den Gängen sozusagen.
Am Tannenbaum?
Natürlich haben wir einen Tannenbaum. Übrigens auch hier zuhause in Bochum. Wir holen den Baum als Familie immer schon Anfang Dezember, meine Frau und die Kinder schmücken ihn.
Mit VfL-Kugeln?
(lacht) Die Farben müssen zueinander passen, da achtet Lauriane schon drauf. In diesem Jahr sind die Kernfarben grün und rot.
Losilla über Ernährung und Einsatz im Training
Ihre Frau, das haben Sie schon öfter verraten in Ihren bald neun Jahren beim VfL, ist auch eine ausgezeichnete Köchin. Ein Erfolgsrezept dafür, dass Sie fast nie verletzt sind und mit 36 Jahren der Spieler der Bundesliga sind, der die drittmeisten Kilometer abgespult hat in dieser Saison nach Joshua Kimmich vom FC Bayern und Ellyes Skhiri vom 1. FC Köln?
Skhiri ist auch eine Maschine, ganz ehrlich, Kimmich ist auch nicht so schlecht. Aber ja, gesunde Ernährung ist sehr wichtig, und meine Frau macht viele tolle, verschiedene Gerichte. Das hilft mir sehr.
„Nur“ mit gesunder Ernährung kann man es kaum schaffen, Jahr für Jahr Stammspieler zu sein in der 2. Liga und seit 2021 in der Bundesliga. Sie waren allein beim VfL unter äußerst verschiedenen Trainertypen immer gesetzt, unter Peter Neururer, Gertjan Verbeek, Robin Dutt, Thomas Reis, jetzt Thomas Letsch. Wie also schafft man das?
Ein bisschen Glück gehört sicherlich auch dazu, dass der Körper das mitmacht. Wichtig ist aber auch, dass man sein Privatleben danach ausrichtet. Ich gehe nicht samstags auf die Rolle, ich bin meistens relativ früh im Bett, achte auf genug Schlaf und Regeneration. Und es kommt sehr darauf an, wie man trainiert. Wenn man nur 50 Prozent gibt, gewöhnt sich der Körper nicht an die 100-Prozent-Belastung. Ich gebe immer 100 Prozent.
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Muss es in einem Anthony Losilla nicht brodeln, wenn er Spieler sieht, die nicht (immer) alles geben?
Ja, das nervt. Ich habe schon so viele Spieler kennengelernt, viele geben auch alles, aber nicht alle. Ich denke, es wird dahingehend auch immer schwieriger. Es gibt eine neue Spielergeneration. Dabei kann man aber nicht alle über einen Kamm scheren. Wir hatten jetzt drei Jungs aus der U19 dabei (Mats Pannewig, Jean-Philippe Njike Nana, Florian Berisha, die Red.), die ihre Sache richtig gut machen. Aber ich habe das Gefühl, dass es immer mehr junge Spieler gibt, die zu früh alles haben oder das zumindest meinen. Die nicht genug kämpfen, um das Bestmögliche zu erreichen. Ich habe mich zum Beispiel häufiger über Armel Bella Kotchap aufgeregt. Er hat so ein Riesentalent, vielleicht wurde ihm das zu früh so vermittelt. Sein Wechsel tat ihm sicherlich gut, doch er hätte schon eher noch besser sein können. Ich freue mich jetzt aber für ihn, dass er offenbar den nächsten Schritt geschafft hat (Bella Kotchap ist 20, er wechselte im Sommer zum FC Southampton und zählte zum WM-Kader von Deutschland, die Redaktion)
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Mentalität? Losilla denkt zuerst an die Mannschaft
Reden Sie mit Spielern, die nicht genug investieren? Sie sind ja auch Kapitän seit 2019.
Ich bin mehr ein Kapitän, der auf dem Platz vorangehen will und nicht mit Reden. Aber, natürlich, hin und wieder spreche ich die Jungs auch an. Ich rede zum Beispiel jetzt viel mit Mats, Johnny (Njike Nana, die Red.) oder Flo. Sie wollen dazu lernen, dabei helfe ich ihnen gerne. Das macht mir mehr Spaß und es macht mehr Sinn als mit Spielern zu reden, die vielleicht gar nicht zuhören wollen, was ich sage.
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Eine Frage der vielzitierten Mentalität. Was bedeutet für Sie Mentalität?
Zuerst bedeutet Mentalität für mich, nicht nur an sich zu denken, sondern an die Mannschaft. Es bedeutet auch, immer alles zu geben, nie aufzugeben, egal, was passiert. Es gilt, immer weiter an das Team und an sich zu glauben. Ich kann Spieler nicht verstehen, die schon vor einer Übung sagen, darauf hätten sie keinen Bock. Oder hinterher meinen, wir hätten zu viel gemacht. Wir müssen als Spieler tun, was uns der Trainer vorgibt. Natürlich kann man mit den Trainern sprechen. Jetzt ist Thomas Letsch unser Trainer, und er redet viel und gerne mit uns. Aber letztlich gibt er die Aufgaben vor, wir Spieler müssen unseren Job erledigen. Und wir haben einen fantastischen Job. Dieser Job darf auch mal wehtun. Nach den ersten kleinen Schmerzen darf man nicht gleich aufhören zu trainieren.
Losilla über Geld und Gier im Profigeschäft
Der Job des Profifußballers wird zwiespältig betrachtet. Zum einen werden die Spieler verehrt und gefeiert, zum anderen mehrt sich auch die Kritik. Es fließen Millionen in Gehälter und Berater-Kassen, die WM in Katar gilt als Musterbeispiel für das verdorbene Geschäft ohne Rücksicht auf Verluste, auf Menschenrechte oder Klimaschutz. Hat der Profifußball seine soziale Haltung nicht längst verloren?
Es ist kompliziert. Fußball hat gesellschaftlich eine hohe Bedeutung, Millionen Menschen in der ganzen Welt sehen zu. Im Fußball fließt sicher insgesamt viel Geld, womöglich zu viel Geld. Ich verstehe die Menschen, die das kritisieren. Es spielen viele Faktoren eine Rolle. Auch wir Spieler nehmen das Geld gerne mit, das muss man ehrlich sagen. Ich glaube nicht, dass bald weniger Geld im Spiel sein wird. Eher im Gegenteil.
Was oder wer kann da noch gegensteuern?
Am ehesten die Fifa mit besseren Entscheidungen, vielleicht mit Regularien zu Gehaltsobergrenzen oder so. Die Fifa hat die Macht dazu. Aber das ist politisch schwierig und wohl nicht realistisch. Als Spieler kann ich nur sagen, dass man demütig bleiben muss. Mir ist sehr bewusst, dass wir auf der schönen Seite des Lebens stehen, dass es leider sehr viele Menschen gibt, die auf der anderen Seite stehen. Ich weiß meinen Beruf zu schätzen, das muss einem immer bewusst sein. Ich selbst versuche, über Spenden zu helfen und mit Besuchen ärmeren oder kranken Menschen Freude zu machen. Wir als Mannschaft führen häufiger Spendenaktionen durch, zum Beispiel für ein Kinderhospiz.
Losilla über Werte: offen sein und bodenständig bleiben
Welche Werte sind Ihnen am wichtigsten?
Offen zu sein für alle Menschen und bodenständig zu bleiben. Das versuchen meine Frau und ich auch unseren Kindern zu vermitteln. Materielle Dinge wie teure Autos sind nicht wichtig. Ich verdiene gut, aber ich weiß auch, wo ich herkomme. Ich wollte noch nie einen Ferrari fahren.
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Offen zu sein für Fans, das zeichnet Sie seit Jahren auch aus.
Wir Spieler sind für viele auch Vorbilder. Die Fans zeigen ihren Respekt, und den verdienen sie umgekehrt genauso. Es ist selbstverständlich, diesen Fans ein Autogramm zu geben, für ein Foto stehenzubleiben, auch in der Privatzeit. Sonst würde man diese Menschen doch sehr enttäuschen.
Losillas Zukunft liegt in Bochum - Einstieg ins Talentwerk als Trainer ist geplant
Zum Abschluss doch einmal zu den immer wiederkehrenden Fußball-Geschäft-Fragen. Ihr Vertrag läuft im Sommer 2023 aus. In der Vorsaison haben Sie Anfang Januar verlängert…
Ich habe ja schon gesagt, dass ich mit noch gut und fit fühle. Ich habe in dieser Saison jedes Spiel gemacht. Ehrlich gesagt, das hätte ich vor dieser Saison nicht gedacht. Aber es ist so. Ich habe weiter Spaß am Fußball und würde gerne noch ein Jahr weitermachen, wenn der Verein das auch will. Wir haben aber noch genug Zeit, darüber zu reden. Auch die Zeit nach meiner aktiven Karriere ist ein Thema.
Sie streben an, auch nach Ihrer Profikarriere beim VfL zu bleiben.
Ich fühle mich beim VfL Bochum sehr wohl, meine Familie fühlt sich in Bochum sehr wohl. Meine Kinder sind zwar in Frankreich geboren worden, aber hier aufgewachsen, sie gehen hier zur Schule, mein Sohn spielt hier Fußball. Ich wüsste nicht, warum wir nach Frankreich ziehen sollten. Ich könnte mir etwa eine Aufgabe im Jugendbereich beim VfL sehr gut vorstellen. Ich habe auch schon mit Heiko (Butscher, U19-Trainer und Nachwuchschef beim VfL, die Red.) gesprochen. Vielleicht kann ich ab Januar einmal pro Woche beim Training der U19 oder U17 hospitieren und mitmachen. Aber das Wichtigste ist natürlich, dass wir den Klassenerhalt in der Bundesliga erreichen. Dafür werde ich 100 Prozent geben.