Bochum. Der VfL kehrt nach elf Jahren des Wartens in die Bundesliga zurück. Eine Mannschaft mit Mentalität, ein Trainer mit Haltung. Die Analyse.
Als auf den Bochumer Straßen die Corona-Schutzdämme brachen und sich die Fans zu Tausenden versammelten, da gab es auch im Stadion kein Halten mehr. Die Pressekonferenz nach dem 3:1 (1:0)-Sieg gegen den SV Sandhausen wurde kurzerhand von den VfL-Spielern gekapert. Da Journalisten wegen der Pandemie nicht live daran teilnehmen können, wird hinterher eine Audio-Spur mit den Antworten der Trainer verschickt.
Zu hören war am Sonntag: das unverkennbare Klappern von Stollenschuhen, dann das Grölen und Singen einer Fußball-Mannschaft. Und Bierflaschen. Am Ende sagte noch einer „Tschuldigung, Trainer“, dann herrschte wieder Ruhe, und Thomas Reis durfte fortfahren – mit seinem Dank an das Team, an Frauen und Familien der Spieler, an die Fans. Sie alle hatten möglich gemacht, wovon nicht nur Reis geträumt hatte: den Aufstieg in die Bundesliga. „Es war immer mein Ziel, dass ich hier als Trainer in diesem Stadion aufsteigen möchte“, sagte der frühere Spieler des VfL Bochum. Wie hat er, wie hat der Klub das geschafft? Die Gründe heißen: B-O-C-H-U-M.
B wie belastbar. Das finale Spiel gegen Sandhausen war für Reis ein Sinnbild der Saison. Nach dem 1:0 durch Milos Pantovic (29.) glich Kevin Behrens aus (60.). Die Anspannung war in den nachfolgenden Minuten auf dem Höhepunkt. Sandhausen, das um den Klassenerhalt bangte, spielte aggressiv nach vorne. Momente, in denen alles kippen konnte. Aber nicht kippte. Der VfL hielt Kurs, Kapitän Anthony Losilla brachte das Aufstiegsboot in den Hafen (78.), und Robert Zulj warf per Freistoß-Traumtor den Anker (87.). Neunmal fuhr der VfL in dieser Spielzeit nach einer Niederlage einen Sieg ein, mehrmals drehte er Spiele nach Rückstand. Aus einer Mannschaft, die im Januar 2020 gegen den Abstieg kämpfte, formte Reis ein Gewinner-Team, das an sich glaubt. Auch Ausfälle und Sperren konnten die Mannschaft auf der Schlussgeraden nicht stoppen. Ausgerechnet in der Corona-Krise wurde der VfL krisenfest.
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O wie Offensive. Nach dem Wendepunkt der Saison, dem 0:2 gegen Fürth, traf Reis zwei folgenreiche Entscheidungen: Er setzte in der Defensive fortan auf Armel Bella-Kotchap (19) neben dem nur drei Jahre älteren Maxim Leitsch. Und er vertraute Simon Zoller die Sturmspitze an. Der 29 Jahre alte Ex-Kölner legte die beste Saison seiner Karriere hin. Mit Spielgestalter Robert Zulj ging er eine perfekte Symbiose ein. Jeweils 15 Tore haben beide auf dem Konto, dazu zusammen 25 Assists. Auf der Außenbahn setzte Reis auf den schnellsten Spieler der Liga: Gerrit Holtmann machte zum Schluss nicht nur Tempo, sondern auch Tore.
C wie Corona-Disziplin. Es war der am wenigsten berechenbare Faktor dieser Saison. Auf dem Weg zum Aufstieg erwischte es Holstein Kiel. Die Norddeutschen hatten einen Lauf -- und plötzlich mehrere Corona-Fälle. Der VfL Bochum kam schadlos durch die Saison. Das Team wurde nicht aus dem Rhythmus gebracht, weder durch Corona-Sorgen, noch durch Schlagzeilen. Auch wirtschaftlich kam der VfL durch die Pandemie, angeschlagen, aber nicht angeknackst. Die Verantwortlichen rechnen für diese Saison mit einem Minus von 7,5 Millionen Euro. Der Vertrag mit Hauptsponsor Tricorp läuft aus. Dank des Aufstiegs kann der VfL aber mit einem größeren Etat planen. Er soll sich auf 22 Millionen Euro fast verdoppeln. Auch der Einstieg von Investoren ist denkbar. „Es gibt viele Interessenten“, sagte der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis dieser Redaktion. Aber es müsse passen. Der Klub will sich nicht unter Wert verkaufen.
In VfL-Trainer Thomas Reis verbirgt sich ein harter Kern
H wie Haltung. Thomas Reis ist keiner, der sich leicht aus der Ruhe bringen lässt. Auch die obligatorische Bierdusche nahm er gelassen. In dem gelassenen 47-Jährigen verbirgt sich aber ein harter Kern. Robert Zulj verbannte er nach schlechten Trainingsleistungen ebenso auf die Bank wie Danilo Soares. Reis fühlt bei seinen Entscheidungen in die Mannschaft rein, aber er trägt die Verantwortung. Ein Mann mit einem klaren Ziel – und einer Haltung.
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U wie unabsteigbar? Der Bochumer Abstiegskampf machte Spieler wie Ata Lameck und Hermann Gerland zu Helden. Oft ging es ums Überleben, oft überlebte der VfL. Bis er 2010 in die Zweite Liga ging und elf Jahre lang nicht wieder hochkam. Über die Zukunft wollte sich Trainer Reis erst mal keine Gedanken machen: „Ich möchte jetzt nicht Fragen dazu beantworten, was nächste Saison ist.“ Der Kader hatte die Qualität, den Aufstieg zu schaffen – aber hat er auch die Qualität, dem Dauer-Druck im Oberhaus standzuhalten?
M wie Meister. Im leeren Stadion übergab der frühere Bochumer Finanzvorstand Ansgar Schwenken im Namen der DFL die Meisterschale. Sie wird wegen ihrer Form auch als Meisterfelge bezeichnet. Aber egal, wie die Umstände sind: Dieser Titel ist immens wichtig für Bochum und die Region. Nach dem Abstieg von Schalke bleibt das fußballverrückte Ruhrgebiet mit zwei Klubs in der Bundesliga vertreten. Noch wichtiger ist jedoch die Trophäe für die VfL-Fans. Viel haben sie ausgehalten in dem vergangenen Jahrzehnt, noch mehr im vergangenen Jahr in der Corona-Pandemie. Ihre Mannschaft sahen sie nur am Bildschirm, und trotzdem dürfen sie nun wieder stolz sein.