Gelsenkirchen. Am Samstag absolvierte Schalke-Profi Dennis Aogo sein erstes Bundesligaspiel seit neun Monaten. Wir haben uns mit dem bemerkenswerten Typen getroffen und über seine Verletzungspause, seine Rolle bei den Königsblauen - und über die Weltmeister unterhalten.
Dennis Aogo sagt, dass er „unglaublich heiß“ auf dieses Spiel gewesen sei – so sehr, dass die Team-Kollegen schon fast über ihn gelacht hätten. Doch wer wollte Aogo (27) die Freude verdenken? Beim 1:1 gegen Bayern absolvierte der Schalker Defensivspieler sein erstes Bundesliga-Spiel seit mehr als neun Monaten. Erst war’s ein Kreuzbandriss, der ihn zum Zuschauen zwang, dann eine Muskelverletzung – doch nun ist ein bemerkenswerter Typ wieder da.
Dennis Aogo, wie geht es Ihnen ein paar Tage nach Ihrem Comeback gegen die Bayern?
Dennis Aogo: Ich hoffe und denke, dass ich die muskuläre Verletzung auskuriert habe. Ansonsten fühle ich mich natürlich super. Für mich war es ein unglaublicher Moment, wieder als Spieler in die Arena einzulaufen und dann auch zu spielen, selbst wenn es zunächst ‚nur’ 15 Minuten waren. Ich war schon vor dem Spiel unglaublich heiß, meine Mitspieler auf der Bank haben teilweise schon darüber gelacht. Vor dem Anpfiff habe ich auf dem Rasen mit Marco Höger gesprochen, wie lange wir darauf gewartet haben, hier wieder spielen zu dürfen.
Wie hat sich Ihr ‚heiß sein’ denn ausgedrückt, mit einer besonderen Nervosität oder besonderen Ritualen?
Aogo: Es war einfach eine Geilheit darauf, endlich los legen zu wollen. Wenn ich von Anfang an gespielt hätte, hätte es sogar gut sein können, dass ich überdreht hätte. Als Jan (Kirchhoff, die Red.) nach einer halben Stunde ausgewechselt werden musste, war ich so heiß, dass ich unbedingt rein wollte. Dann hat der Trainer Roman (Neustädter, die Red.) gerufen, was im Nachhinein völlig richtig war. Aber natürlich wäre ich schon in dem Moment gerne derjenige gewesen, der ins Spiel darf. Da ich zuvor aber nur zweimal trainiert hatte, konnte ich ja auch keine Ansprüche stellen.
Im Endeffekt war es doch egal, ob Sie 90 Minute oder eine Minute gespielt hätten – das Gefühl, wieder mitten in der Mannschaft zu sein, ist doch das wichtigste, oder?
Aogo: Naja, eine Minute wäre schon ein bisschen wenig gewesen (lacht). Für die Umgebung, das Spiel und die einzelne Spielsituation braucht man schon ein paar mehr Minuten. Da haben die gut 15 Minuten schon geholfen. Ich glaube, dass ich jetzt in der Situation bin, in der mir jedes Spiel helfen wird, wieder in den Rhythmus zu finden, auch das am Donnerstag.
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Was ist Ihnen denn durch den Kopf gegangen, als Sie fast die gesamte Vorbereitung ohne Probleme absolvieren konnten und vor dem Comeback standen, dann aber wegen einer Zerrung erneut ausgebremst wurden?
Aogo: Das war wirklich ärgerlich. Vor dem ersten Saisonspiel in Hannover habe ich ja schon wieder voll mittrainiert, aber dann erneut Probleme im Oberschenkel gespürt. Da hätte ich mehr Geduld haben müssen, aber ich bin froh, dass es jetzt – hoffentlich – ausgestanden ist.
Der Kreuzbandriss Ende November letzten Jahres war die schwerste Verletzung, die Sie in Ihrer Karriere erlitten hatten. Wie haben Sie die Monate von der Diagnose über die quälende Zeit in der Reha bis hin zur Vorbereitung auf die neue Saison verbracht, körperlich und mental?
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Aogo: Im Nachhinein bin ich sehr gut mit der Geschichte umgegangen. Es gab nur einen Tag, an dem es mir wirklich miserabel ging, das war der Tag der Verletzung. Den Tag brauchte ich, um zu trauern. Aber mit dem nächsten Morgen und dann der Operation ging mein Fokus wirklich nur nach vorne. Ich habe die Verletzung relativ schnell akzeptiert und versucht, das Beste daraus zu machen. Natürlich gab es gerade in der Reha immer wieder Phasen, in denen man voller Euphorie und Hoffnung ist, dass es schnell vorwärts geht, doch dann folgten auch Rückschläge, bei denen man wirklich zweifelt, ob das je wieder was wird.
Haben Sie in der Zeit auch mal ans Aufgeben gedacht?
Aogo: Nein, das nicht! Es waren natürlich Tage dabei, an denen ich keine Lust hatte, mich zu quälen und an meine Grenzen zu gehen, obwohl auf den ersten Blick keine Fortschritte zu erkennen sind. Da ist Geduld gefragt, denn solch eine Verletzung braucht nun einmal seine Zeit. Ich habe in diesen Monaten auch viel Schönes erlebt und nette Menschen kennen gelernt, zum Beispiel Holger Just, der mit mir die meiste Zeit im Medicos-Center gearbeitet hat. Deshalb bleibe ich bei meiner These, dass alles im Leben einen Sinn hat. Und so hat auch das seinen Sinn gehabt, ich habe es überstanden und jetzt geht es nach vorne.
Schalke hatte in der vorigen Saison und auch jetzt schon wieder auffällig viele Verletzte, was unter anderem die beiden Weltmeister Benedikt Höwedes und Julian Draxler moniert haben. Haben Sie als Betroffener eine Erklärung dafür?
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Aogo: Nein, ich habe ja nicht Sportwissenschaft studiert und daher keine Ahnung, woran das liegt. Es ist aber richtig, dass sich bei uns die Verletzungen gehäuft haben und uns daher viele Spieler fehlen.
Liegt das vielleicht an falschem Ehrgeiz, dass auf Schalke viele Spieler zu früh mit der Belastung anfangen, so wie Sie es selbst bei sich beschrieben haben?
Aogo: Das müsste ja im Umkehrschluss heißen, dass andere Spieler aus anderen Vereinen nicht so ehrgeizig sind. Deswegen weiß ich nicht, ob das der richtige Ansatz ist, es mag vielleicht in manchen Fällen so sein. Es kann viele Gründe haben. Jeder einzelne Spieler muss sich hinterfragen, ob sein Lebensstil richtig ist, er genug schläft, sich gut ernährt und ausreichend behandeln lässt.
So denkt Aogo über die Schalke-Weltmeister Höwedes und Draxler
Als Sie vor gut einen einem Jahr nach Schalke kamen, haben Sie in einem Interview mit dieser Zeitung gesagt, dass Sie abseits des Platzes und der Kabine gar nicht so viel mit Fußball zu tun haben. Hat Ihnen der Abstand zum Fußball in der Zeit, als Sie auf Ihr Comeback hin gearbeitet haben, geholfen oder war das eher hinderlich?
Aogo: Ich kann für mich sagen, dass ich mich noch mehr zurückgezogen habe. Aber das habe ich durchaus auch bewusst gemacht und ich denke, dass es mir gut getan hat. Unsere Spiele habe ich natürlich angeguckt, aber trotzdem ist als Spieler dann so weit weg und denkt daran, wie schön es wäre, sich wieder normal bewegen zu können. Das einzige, wovor ich nicht flüchten konnte war, dass ich die Reha hier auf dem Gelände absolviert habe. Das würde ich beim nächsten Mal anders machen, wobei ich hoffe, dass es kein nächstes Mal gibt.
Hatten Sie eigentlich auch Urlaub oder haben Sie nach dem Ende der letzten Saison bis zum Beginn der Vorbereitung durchtrainiert?
Aogo: Ich habe in der Sommerpause drei Wochen bei Mark Verstegen, dem Fitnessberater der deutschen Nationalelf, in Los Angeles gearbeitet und danach zwei Wochen Urlaub gemacht. Das war wichtig für mich, um abzuschalten.
Jetzt sind Sie zurück im Team. Was haben Sie sich für die Saison vorgenommen?
Aogo: Zunächst ganz klar: gesund bleiben. Aus der Verletzung habe ich die Lehre gezogen, dass es im Fußball schwer ist, lange im Voraus zu planen.
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Macht einen Fußballer solch eine lange Ausfallzeit demütiger?
Aogo: Demütig war ich schon immer, dafür habe ich die Verletzung nicht unbedingt gebraucht. Aber man weiß einfach bestimmte Dinge mehr zu schätzen. Wenn man wieder richtig trainieren kann, ohne sich Gedanken zu machen, ob der kleine Schritt nach rechts schon funktioniert. Aber klar: Wenn man wieder auf dem Platz steht, fängt man schnell wieder an, seine persönlichen Ziele extrem nach oben zu schrauben.
Durch den Kreuzbandriss von Sead Kolasinac werden Sie wohl wieder linker Verteidiger spielen. Auf welcher Position sehen Sie sich am liebsten?
Aogo: Das ist die Entscheidung des Trainers. In der Vorbereitung habe ich ausschließlich auf der Sechs gespielt, aber jetzt ist die Situation durch den Ausfall von Seo eine andere. Für Seo tut es mir unheimlich leid, denn er ist ein unglaublich guter Junge. Wenn jemand weiß, was er gerade durchmacht, dann ich. Christian Fuchs ist aber auch noch da. Im defensiven Mittelfeld spielen derzeit Kevin-Prince Boateng, Roman Neustädter und Marco Höger. Also da gibt es sicherlich Varianten ohne Ende, das ist das Gute an einem starken Kader. Leider haben wir zu viele Verletzte, aber am Ende ordne ich mich unter und spiele da, wo ich helfen kann.
Auch bald wieder in der Nationalmannschaft?
Aogo: Wer einmal Nationalspieler war, verliert das nie aus dem Fokus. Ich weiß zwar, dass es im Fußball unglaublich schnell gehen kann, aber im Moment beschäftigt mich das überhaupt nicht. Ich habe nach über neun Monaten Pause doch erst wieder ein paar Minuten in der Bundesliga gespielt. Deshalb möchte ich jetzt erst einmal meine Position im Verein festigen.
Sind Benedikt Höwedes und Julian Draxler eigentlich die gleichen wie früher?
Aogo: Ja, allerdings: Wenn man früher auf einen Spruch von ihnen, etwas erwidert hat, kommt jetzt nur: ‚Ich bin Weltmeister!’ Dann muss man ganz schnell still sein und hat nichts mehr zu sagen (lacht).
Durch den Titel in Brasilien hat die Bundesliga noch einmal an Aufmerksamkeit und sicher auch sportlicher Qualität gewonnen. Wird es für Schalke auch angesichts der aufgerüsteten Konkurrenz schwerer, seine Ziele, sprich die Champions League, zu erreichen?
Aogo: Da ich nicht alles verfolge, was im Fußball passiert, habe ich viele Transfers nicht direkt mitbekommen. Manchmal bin ich überrascht, wenn ich dann merke: Ach, der spielt jetzt da. Gerade die großen Vereine wie Bayern und Dortmund, aber auch Leverkusen, haben sich gut verstärkt. Durch den Weltmeistertitel ist es weltweit noch interessanter geworden, in der Bundesliga zu spielen. Dass solche Spieler wie Xabi Alonso hierhin wechseln, zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind. Ich denke, dass die Bundesliga auch in einigen Jahren die Premier League als beste Liga ablösen wird.
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Auf Schalke war hingegen schon wieder Theater. Wie haben Sie die Unruhe im Klub nach dem Pokal-Aus und dem ersten verlorenen Bundesligaspiel erlebt?
Aogo: Natürlich habe ich das mitbekommen, weil das in der Kabine ein Gesprächsthema war. Verstehen kann ich diese Diskussion aber nicht.
Ist die Aufgeregtheit auf Schalke immer größer als bei anderen Vereinen?
Aogo: So ähnlich habe ich es auch schon in Hamburg erlebt, da ist es noch schlimmer gewesen. Wenn ich eins bin, dann krisengeübt (lacht). Aber hier kann ich die Relation nicht nachvollziehen. Natürlich ist man enttäuscht, wenn man aus dem Pokal heraus fliegt, weil das eine Möglichkeit war, einen Titel zu holen. Das ist ärgerlich, aber warum das dann solche Wellen schlägt, ist mir ein Rätsel.
Sie gehören zu den erfahrenen Profis im Schalker Kader. Raten Sie den jüngeren Spielern auch mal, nicht in die Zeitung oder im Fernsehen nicht die Fußballdebatten zu schauen?
Aogo: Na ja, alle behaupten ja, dass sie das ohnehin nicht machen. Aber irgendwie müssen sie es ja doch tun, ansonsten würden sie ja nicht Bescheid wissen. Wenn meine Mitspieler den Raum betreten und sagen, jetzt ist schon wieder Krise hier, dann wird doch klar, dass es sie beschäftigt. Da versuche ich eben auf meine Art und Weise zu vermitteln, dass noch nichts passiert ist und die Unruhe nicht angebracht ist. Das sieht man doch an dem Bayern-Spiel. Wir haben nicht gewonnen, aber die Stimmung ist eine ganz andere. Die Stimmung kann hier so schnell kippen, dass man sich nicht anstecken lassen darf und den Fokus nach vorne richten und positiv bleiben sollte. Ansonsten könnte das in eine Richtung gehen, die nicht mehr gesund ist.