Gelsenkirchen. . Kraftraum statt Brasilien: Der Schalker Nationalspieler Dennis Aogo ist nach schwerer Knieverletzung auf dem Weg zur Rückkehr. Die Arbeitermentalität im Ruhrgebiet imponiert ihm. Auf Schalke fühlt er sich wohl: „Es hat von Anfang an gepasst“, sagt der Linksverteidiger im Interview.
Er quält sich, jeden Tag. Mal im Kraftraum, mal auf dem Trainingsgelände. Die anderen Profis des FC Schalke 04 genießen ihren Urlaub oder bereiten sich auf die WM in Brasilien vor, für Dennis Aogo aber ist die Saison mit einer Reha in die Verlängerung gegangen. Vor vier Jahren gehörte er zu Deutschlands WM-Aufgebot in Südafrika, und gerade als Linksverteidiger hätte der 27-Jährige gute Chancen auf eine Teilnahme am derzeitigen Trainingslager der Nationalmannschaft in Südtirol besessen. Aber er hat seit November nicht gespielt: Ein Kreuz- und Innenbandriss bremste ihn aus.
Einen Fußballer zu fragen, ob er schwer darunter leidet, wenn er monatelang zuschauen muss, ist vermutlich so, als würde man den Papst fragen, ob er katholisch ist.
Dennis Aogo: Interessanter Vergleich – aber, klar, man leidet natürlich nach so einer schweren Verletzung. Man ist aber auch jeden Tag damit beschäftigt, in welchem Zustand das Bein gerade ist, welche Fortschritte es gibt. Ich habe mich bewusst viel von dem distanziert, was die Mannschaft alltäglich erlebt hat, sonst hätte ich noch mehr gelitten. Ich habe mich voll auf meine Genesung konzentriert. Obwohl es natürlich Tage gab, an denen das extrem schwer fiel.
In Ihrer Freizeit haben Sie sich also nicht mit Fußball befasst?
Aogo: Das mache ich abgesehen von meinem eigenen Verein sonst schon nicht viel, jetzt war es noch weniger. Ich merke aber: Je besser es dem Knie geht, umso mehr steigt das Interesse. Beim Zappen durch die TV-Programme bleibe ich wieder beim Fußball hängen. Es gab Phasen, in denen ich davon nichts mitbekommen wollte. Und wenn ich mich mit Freunden treffe, ist Fußball ohnehin nicht unser Hauptthema.
Mussten Sie bisher in der Reha täglich eine innere Hürde überwinden?
Aogo: Je länger ich am selben Ort war, ja. Immer dieselbe Abteilung, immer dieselben Abläufe. Da habe ich mir schon den normalen Rhythmus einer Saison zurückgewünscht.
Kommen auch Ängste auf?
Aogo: Wer bei so einer Verletzung sagt, er habe keine Ängste, der ist nicht ganz ehrlich. Man trägt das immer mit sich herum, man wird sensibler und fragt sich: Warum spüre ich da etwas?
Sami Khedira, dem ebenfalls das Kreuzband riss, hat gesagt, er sei durch die Erfahrung als Persönlichkeit gereift.
Aogo: Das mag für ihn zutreffen. Ich hätte aber gerne darauf verzichtet. Ich glaube nicht, dass ich jetzt dadurch ein anderer Mensch bin, ich bin grundsätzlich relativ stabil.
Wie sieht Ihr Tag aus?
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Aogo: Ich beginne morgens mit Therapie, trainiere dann Kraft, Koordination, Ausdauer. Nach einer halben Stunde Mittagspause folgt eine Behandlung, und dann kommt nachmittags die intensivste Einheit, wenn ich auf dem Platz auch wieder fußballspezifisch arbeite.
Kürzlich haben Sie gesagt, Sie seien gerührt gewesen wegen des Zuspruchs von sehr vielen Menschen.
Aogo: Es kommt ja immer darauf an, was man erwartet. Für mich ist nichts selbstverständlich. Klar, dass der Verein sagt: Wir wünschen alles Gute. Aber ich hatte das Gefühl, dass mehr dahinter steckte. Verein, Mitspieler, Fans – viele Leute haben großen Anteil genommen.
Sie waren vom Hamburger SV ausgeliehen. Schalke hat Sie trotz Ihrer langwierigen Verletzung fest bis 2017 verpflichtet – mit der Begründung, Sie hätten nicht nur auf Anhieb gut gespielt, sondern sich auch mit Schalke identifiziert. Ein ungewöhnlicher Vorgang in dieser Branche, oder?
Aogo: Definitiv. Das war ein unglaublicher Vertrauensbeweis. Es hat von Anfang an gepasst, von beiden Seiten. In meiner Vita ist auch zu erkennen, dass ich nie schnell wechsele. Mir ist es wichtig, herauszufinden, was einen Verein ausmacht.
Was macht Schalke aus?
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Aogo: Es ist ein Traditionsverein, und es ist ein Arbeiterverein. Viele Anhänger sind oder waren unter Tage, und diese Mentalität hat trotz der harten Arbeit etwas sehr Kollegiales. Obwohl jetzt viele Bergwerke geschlossen sind und die Arbeitslosenquote hoch ist, geben die Leute alles für den Verein.
Weil Sie gleich nach Ihrer Ankunft auf Schalke Interesse daran geäußert hatten, hat der Verein Ihnen eine Grubenfahrt in Bottrop ermöglicht. Wie war es da unten?
Aogo: Ich hatte mir die Bedingungen nicht so extrem vorgestellt. Diese Hitze. Diese Enge. Und dann die langen Wege – ich war hinterher platt. Und wenn ich mir dann vorstelle, jeden Tag da runter zu müssen und schwer zu arbeiten...
... dann wird man demütig?
Aogo: Ja, aber ich musste nicht erst ins Bergwerk gehen, um zu erkennen, dass wir Fußballprofis ein privilegiertes Leben führen dürfen.