Gelsenkirchen. Vor dem Champions-League-Heimspiel des FC Schalke 04 gegen den französischen Meister Montpellier HSC spricht Trainer Stevens von “kleinen Schritten“. Auch wenn Kapitän Höwedes die Erwartungen an die Mannschaft zuletzt zu hoch waren, dass es sie gibt ist nicht verwunderlich.
Schalke wirklich zu verstehen war noch nie leicht. Die Verantwortlichen des Vereins aber machen es dem Außenstehenden auch schwer, selbst den eigenen Fans. Die haben natürlich hohe Erwartungen an einen Kader um den Torschützenkönig der Bundesliga, Klaas-Jan Huntelaar, und mit einem Neuzugang wie Ibrahim Afellay, der aus dem Starensemble des FC Barcelona nach Gelsenkirchen wechselte.
Wahrscheinlich pfiffen viele der Schalker Anhänger deshalb kürzlich im Bundesliga-Spiel gegen Mainz 05. Weil ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden, weil sie trotz einer 1:0-Führung unzufrieden waren mit der Leistung des Tabellen-Dritten der vergangenen Spielzeit.
Stevens spricht Fans den Fußballverstand ab
Benedikt Höwedes, der Schalker Kapitän, sagte nach dem Spiel gegen Mainz, einem letztlich deutlichen 3:0-Sieg: "Vielleicht erwarten die Fans zu viel von uns." Trainer Huub Stevens beschwerte sich bitterlich über das Pfeifkonzert und sprach Teilen des Publikums in der Arena gar den Fußballsachverstand ab. Doch auch der Holländer konnte nicht leugnen, dass sich Schalke schwer tat gegen den FSV. Vielleicht haben die Anhänger einfach ein feines Gespür dafür, was ihnen unten auf dem Rasen geboten wird.
Denn Spiel eins nach den Pfiffen fand für Schalke am Wochenende in Düsseldorf statt, auswärts beim starken und bis dahin gegentorlosen Aufsteiger. Stevens Mannschaft führte schnell durch Tore von Huntelaar und Joel Matip mit 2:0. Eine beruhigende Führung - sollte man meinen. Aber Schalke vergab den Vorsprung, spielte nur 2:2-Unentschieden. Der Schlendrian spielte plötzlich mit in der Schalker Elf, die zwei Punkte schlicht verschenkte.
Heldts Wutrede
"Es ist unglaublich, was wir gespielt haben. Ich bin fassungslos, wie wir nach der Pause aufgetreten sind", schimpfte Stevens. Und Manager Horst Heldt wollte sich gar nicht erst bemühen seine Wut zu verbergen: "In der zweiten Halbzeit haben alle versagt. Von denen, die auf dem Platz standen, bis hin zum Busfahrer." Heldt redete sich in Rage. Ihm und dem fassungslosen Trainer war es in Düsseldorf nicht anders ergangen als den Fans in der heimischen Arena gegen Mainz: Die Erwartungen wurden enttäuscht. Heldt schimpfte deshalb am nächsten Tag in der Kabine der Königsblauen gleich weiter.
Er hat klare Erwartungen an die Mannschaft, Ziele, die er erreichen will und die seine Spieler erreichen sollen. Den eigenen Fans aber scheint er das nicht zugestehen zu wollen. Die aber haben vielleicht schon gegen Mainz gemerkt, dass es nicht läuft bei S04, dass der zaghafte und ernüchternde Auftritt gegen Bayern München eine Woche zuvor nicht nur ein Ausrutscher und dem starken Gegner geschuldet war.
Das erste Heimspiel seit den Pfiffen
Das erste Heimspiel seit den Pfiffen
Am Mittwoch Abend ist auf Schalke wieder Heimspiel, das erste seit den Pfiffen gegen Mainz. In der Champions League reist der französische Meister Montpellier HSC in die Arena (20.45 Uhr im Liveticker auf DerWesten.de). Mit einem Sieg würde Schalke einen großen Schritt in Richtung Achtelfinale machen. Doch von Vorfreude auf die Königsklasse ist wenig zu spüren. Zu sehr wirken das Düsseldorfer Desaster und Heldts Kabinenpredigt noch nach. "Es ist nicht nötig, dass wir uns in der Kabine gegenseitig anschreien und attackieren", sagte Kapitän Höwedes nun zwei Tage nach Heldts kraftvoller Ansprache - und zwei Tage vor der richtungsweisenden Partie gegen Montpellier. "Natürlich muss man die Sachen ansprechen und aus den Fehlern lernen. So was darf uns nicht noch mal passieren."
Darin sind sich alle einig auf Schalke. Wiedergutmachung hat sich die Mannschaft vorgenommen. Jermaine Jones etwa findet es "positiv, dass du das Spiel abhaken wirst und schnell weitermachst". Davon war auch vor der Partie gegen Mainz die Rede, die Spieler wollten das mutlose Spiel gegen die Bayern vergessen machen. Viele der Fans nahmen sie beim Wort, waren aber dann enttäuscht vom Spiel - und pfiffen.
Stevens will kleine Schritte trotz starkem Kader
Auch Huub Stevens, davon darf ausgegangen werden, erwartet von seiner Mannschaft, dass sie wieder energisch auftritt. Aber es ist verständlich, wenn er aus den schlechten Erfahrungen mit hohen Erwartungen, mageren Leistungen und gellenden Pfiffen seine Schlüsse gezogen hat und bremst: "Wir müssen kleine Schritte machen. Wer zu große Schritte machen will, kann leicht fallen." Stevens will die Anhänger geduldig stimmen. Fraglich, ob das überall auf den Rängen verstanden wird. Denn Geduld war noch nie eine Schalker Tugend. Und die Hoffnungen auf den großen Schritt waren vor wenigen Wochen noch groß.
Heldt hat um Huntelaar einen vielversprechenden Kader zusammengestellt. Das Wort "Titel" sprach er kürzlich selbst aus. Wer den emotionalen Verein kennt, der weiß: das weckt Erwartungen. Da ist Schalke wahrhaft leicht zu verstehen. (mit sid-Material)