Gelsenkirchen. Schalke 04 hält an Trainer Dimitrios Grammozis fest. Ist der Vergleich vieler Fans mit der Situation um David Wagner 2020 zulässig? Ein Check.
Schonen wird Trainer Dimitrios Grammozis die Profis des FC Schalke 04 in der Länderspielpause nicht. Frei gibt es nur am Wochenende, sonst wird jeden Tag trainiert, teilweise auch zweimal. Dass Grammozis es ist, der diese Einheiten leiten darf, ist nach dem 2:4 gegen Darmstadt am Sonntag, der dritten Pflichtspiel-Niederlage in Folge, nicht mehr selbstverständlich. Doch die sportliche Leitung um Vorstand Peter Knäbel und Sportdirektor Rouven Schröder setzt auf Kontinuität, der Aufsichtsrat unterstützt diesen Kurs.
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Viele Fans bringen die aktuelle Lage der Schalker in Verbindung mit einer Situation im Sommer 2020, als Sportvorstand Jochen Schneider an Ex-Trainer David Wagner festhielt - und ihn dann doch nach einem missratenen Start feuern musste. Ähnelt sich die Entwicklung? Ein Faktencheck.
Die jeweils vergangene Rückrunde: David Wagner hatte mit Schalke in der Rückrunde der Saison 2019/20 16 Spiele in Folge nicht gewonnen, holte nur sechs Punkte. Dafür fand er Woche für Woche dieselbe Erklärung: eine lange Verletztenliste. Trotz des Misserfolgs durfte Wagner bleiben.
Dimitrios Grammozis hatte ein Jahr später ähnlich wenig Erfolg. Seine Bilanz aus elf Spielen: zwei Siege, ein Unentschieden, acht Niederlagen. Das sind sieben Punkte. Auch Grammozis erhielt das Vertrauen der Bosse. Fazit: Situation gleich.
Die Begründungen der sportlichen Leitung: Das übergeordnete Argument von Jochen Schneider im Fall Wagner (Sommer 2020) und nun von Peter Knäbel und Rouven Schröder bei Grammozis lautete Kontinuität. Man wolle, hieß es hinter vorgehaltener Hand damals und heute, nicht den Fehler machen, den Schalke in seiner Vereinshistorie so häufig gemacht habe - zu schnell, zu emotional reagieren.
"Geduld und Schalke, das passt nicht. Geduld und Jochen Schneider, das passt. Die guten Klubs zeichnen sich aus, Ruhe zu bewahren, auch wenn es sportlich mal eine Delle gibt", sagte der ehemalige Sportchef stets. Wagner, dem ein Jahr zuvor nach einer guten Vorbereitung ein toller Start gelungen war, werde das nun wieder schaffen.
Und Grammozis? "Er ist ein hervorragender Fachmann und Trainer", sagte Knäbel im Sommer über den 43 Jahre alten Trainer. Was sich gleicht: Schneider hatte David Wagner geholt, Knäbel Dimitrios Grammozis. Sportvorstände weichen selten früh von dem eigenen Wunschtrainer ab. Denn in beiden Fällen war nicht der ganze Klub mit dem Kurs einverstanden. Schneiders Kaderplaner Michael Reschke zum Beispiel war kein Freund von David Wagner. Aktuell waren Teile des Aufsichtsrats dafür, Grammozis freizustellen und Steffen Baumgart (heute 1. FC Köln) zu verpflichten. Fazit: Situation gleich.
Die Ansicht der Fans: Nach der Negativserie in der Rückrunde der Saison 2019/2020 und den immer gleichen Begründungen von David Wagner standen die meisten Anhänger dem Trainer sehr kritisch gegenüber und trauten ihm die Wende nicht mehr zu. Selten kam es bei Wagner zu Selbstkritik. Im November 2021 hat Dimitrios Grammozis ebenso nicht mehr viele Fürsprecher unter den Anhängern, auch von ihm ist in Pressekonferenzen zu selten Selbstkritik zu vernehmen. Das ist gleich.
Was beide unterscheidet: Wagner wirkte stets etwas unnahbar, Grammozis ist sympathisch, kommt aus der Region, gilt im Klub als feiner Kerl. Die sensiblen S04-Fans wissen zwischen Persönlichkeit und sportlichem Misserfolg zu unterscheiden. Fazit: Situation ähnlich
Die Ansicht der Mannschaft: Ob Wagner im Sommer 2020 oder Grammozis im Sommer 2021 - beide bekamen es mit neu zusammengestellten Mannschaften zu tun. Wagner aber konnte nur auf etliche zurückgekehrte Leihspieler zurückgreifen, ohne selbst die Lage wesentlich beeinflussen zu können, Grammozis durfte bei der Kaderzusammenstellung mitreden. Und noch etwas unterscheidet sich: Gab es 2020 eine Menge Aufruhr im Kader, viele abwanderungswillige Profis und auch Kritik an Wagner, steht die Mannschaft nun komplett hinter dem Trainer. Beobachtete Wagner die Einheiten meist, einer seiner Spitznamen war "Feldherr", leitet Grammozis das Training selbst - lautstark, emotional. Die Atmosphäre in der Kabine und auf dem Trainingsplatz sei so hervorragend wie lange nicht, ist zu vernehmen. Fazit: Situation ganz anders
Die aktuelle sportliche Lage: Was sich unterscheidet: Unter Wagner spielte Schalke Erste, nun Zweite Liga. Nach lausiger Sommer-Vorbereitung 2020 verlor Schalke unter Wagner die Auftaktspiele beim FC Bayern München (0:8) und gegen Werder Bremen (1:3) - die Abstiegssaison nahm ihren Lauf. Wagner fehlte seinerzeit ein Plan B, er hielt an seiner Spielidee, seinem System fest. Zwischenzeitlich stabilisierte er zwar die Abwehr, sein Offensivkonzept bestand aber daraus, den schnellen Rabbi Matondo aufzustellen und mit langen Pässen zu füttern, damit dieser Ecken und Freistöße herausholt oder auf nachrückende Spieler warten kann. "Rabbi Go" war das Motto. Gut ging das nicht. In einem Zeitraum von 18 Bundesligaspielen gelangen Schalke nur fünf Tore.
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Und nun? Grammozis hat größeren Erfolg, S04 steht in der Zweiten Liga mit 22 Punkten auf dem fünften Platz. Das ist anders. Was sich aber gleicht: Auch Grammozis fehlt ein Plan B in der Offensive. Seine Idee besteht darin, den Ball meist über Linksverteidiger Thomas Ouwejan nach vorn zu treiben und dann mit Flanken Richtung Torjäger Simon Terodde gefährlich in den Strafraum zu kommen. Auch auf Standardsituationen legt der Trainer viel Wert. Nimmt der Gegner Schalke diese Stärken - wie zuletzt Heidenheim und Darmstadt - wird es für S04 schwer. Fazit: Situation ähnlich
Fazit
Zweimal "Situation gleich", zweimal "Situation ähnlich", nur einmal "Situation ganz anders" - ein Vergleich der Situationen ist durchaus zulässig. 2020 hielt Schalke zu lange an David Wagner fest, auch das war ein wesentlicher Grund dafür, dass die Saison so missriet. Ein möglicher neuer Trainer hätte in der Sommervorbereitung unbelastet mit dem Kader beginnen können. 2021 bekommt Dimitrios Grammozis die Chance, das Ruder noch einmal herumzureißen. Die Schalker hoffen, dass diese Entscheidung diesmal nicht erneut böse Folgen hat - diesmal wäre das der Nichtaufstieg.