Gelsenkirchen. S04 droht der Abstieg. Ex-Nationalspieler Tomasz Hajto blutet das Herz, wenn er sich die Talfahrt seines ehemaligen Klubs Schalke 04 ansieht.

Als Experte für das polnische Fernsehen hat Tomasz Hajto den internationalen Fußball komplett im Blick. „Auch bei meinem ehemaligen Verein Schalke 04 bin ich im Bilde, ich schaue jedes Spiel der Königsblauen. Bei dem, was da gerade passiert, blutet mir das Herz“, sagt der 48-Jährige, der mit dem Malocherklub große Erfolge feierte und zu Beginn der Jahrtausendwende zu den besten Verteidigern der Bundesliga zählte. Im WAZ-Interview sagt der WM-Teilnehmer von 2002, welche Schachzüge den kriselnden Schalkern jetzt helfen können.

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Herr Hajto, Sie haben bei Schalke erfolgreiche Zeiten kennengelernt, schnupperten mit den Königsblauen 2001 sogar an der Meisterschale. Heute steht der schlingernde Klub am Tabellenende. Machen Sie sich Sorgen?

Tomasz Hajto Ich habe mit Schalke zweimal den DFB-Pokal geholt und auch in der Champions League gespielt, das war wirklich eine tolle Zeit, die ich dort erlebt habe. Natürlich mache ich mir augenblicklich Sorgen um den Verein. Das wirkt jetzt wie eine Mission Impossible, den Klassenerhalt nach 26 Spielen ohne Sieg zu schaffen. Aber ich sehe bei Schalke 04 auch einen positiven Aspekt.

Welcher soll das sein?

Schalke hat noch Zeit zum Reagieren. Es sind erst zehn Spiele in der Fußball-Bundesliga absolviert, da kann man also noch etwas korrigieren. Es ist zwar schon sehr eng für Schalke, aber es ist noch nicht zu spät. Meiner Ansicht nach braucht Schalke heute vielleicht etwas weniger Qualität, aber dafür mehr Herz. Mit Herzblut kommst du da unten raus.

Dynamik pur: Tomasz Hajto im Schalke-Trikot.
Dynamik pur: Tomasz Hajto im Schalke-Trikot. © Foto: imago

Wo sehen Sie die Fehler für den sportlichen Absturz?

Da muss man sich nicht nur diese Saison anschauen, sondern die Entwicklung der letzten zwei Jahre. Die Entscheidungen, die in diesem Zeitraum im Verein getroffen wurden, waren eine Katastrophe. Da hängt auch vieles mit dem ehemaligen Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies zusammen. Er und Finanzvorstand Peter Peters sind inzwischen weg. Der Schuldenberg ist auf weit über 200 Millionen Euro angewachsen, den Mist müssen jetzt die Leute zusammenkehren, die noch da sind. Alles, was der ehemalige Manager Rudi Assauer und die Eurofighter vor Jahren bei Schalke aufgebaut haben, wird jetzt in die Mülltonne geschmissen. Und was man auch sagen muss: Die Mannschaft wurde einfach schlecht zusammengestellt.

Können Sie Beispiele nennen?

Schalke ist in diese Spielzeit zum Beispiel ohne rechten Verteidiger gestartet, da wurde erst sehr spät mit dem jungen Kilian Ludewig ein Leihspieler geholt. Dann haben sie Vedad Ibisevic verpflichtet, den ich für einen Super-Stürmer halte. Bei solchen Charakteren muss man natürlich wissen, worauf man sich einlässt: Vedad will immer spielen und sagt seine Meinung. Was ist passiert? Er saß fast nur auf der Bank, bis man sich getrennt hat. Das muss sich Schalkes Sportvorstand ankreiden. Dazu gab es die Torwart-Diskussion: Ist Ralf Fährmann die Nummer eins, ist er es nicht? Das sind in der Summe einfach zu viele Fehler. Bei Mark Uth, den sie in der letzten Saison an Köln verliehen hatten, sieht man: Er will, er macht und tut. Das ist aber der Einzige. So kannst du keine Mannschaft retten.

Beim 0:3 in der Veltins-Arena gegen Bayer 04 Leverkusen lief für die Königsblauen alles schief, was überhaupt schiefgehen konnte. Über einen Gegentreffer wurde heftig diskutiert, dazu verschoss Schalke einen Elfmeter. Typisch für eine Mannschaft, die unten steht?

Das spielt alles keine Rolle. Es gibt in so einer Situation keine Ausreden, ob zum Beispiel vor dem 0:1 ein Stürmerfoul vorlag oder nicht. Du kannst auch nicht sagen, es war jedes Mal Pech. Wichtig ist, dass die Mannschaft eine Reaktion zeigt. Vor allem müssen die Spieler verstehen, was es heißt, das S04-Logo zu tragen. Schalke ist eine Religion. Da kommen die Fans zur Arena, als ob sie zu einer Kirche pilgern. In der aktuellen Corona-Zeit ist es natürlich nicht der Fall.

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Was muss der Verein Ihrer Meinung nach in nächster Zeit tun, um die sportliche Wende doch noch zu schaffen?

Im Januar müssen sie zwei, drei Spieler verkaufen und zwei, drei Neue holen, die sofort helfen und wissen, worauf es ankommt. Sie müssen wissen: Es kommt kein Nikolaus und auch kein Weihnachtsmann, der Schalke 04 für die Tradition Punktegeschenke auf den Gabentisch legt. Für Punkte muss man hart arbeiten und richtige Entscheidungen treffen.

Schalke 04 hat bereits den Trainer gewechselt und David Wagner schon früh in der Saison durch Manuel Baum ersetzt.

Ich habe nichts gegen den aktuellen Trainer Manuel Baum, aber ein Kampfschwein wie Marc Wilmots, der schon die belgische Nationalelf trainiert hat, kann Schalke jetzt helfen. Wenn Wilmots Trainer auf Schalke wäre und mich fragen würde, ob ich mithelfe, würde ich sofort nachts losfahren.

Was war damals das große Erfolgsgeheimnis bei Schalke 04?

Jeder in der Mannschaft hat den anderen akzeptiert, einer ist für den anderen durchs Feuer gegangen. Wir hatten überragende Leute wie Wilmots, Andreas Möller, Ebbe Sand, Gerald Asamoah, Emile Mpenza, Jiri Nemec, Tomasz Wal­doch oder Nils Oude Kamphuis. Und der Trainerstab um Chefcoach Huub Stevens war auch hervorragend. Torwart-Trainer Holger Gehrke und Fitness-Coach Christos Papadopoulos haben es seinerzeit richtig gut gemacht, sie haben alles im Griff gehabt, was sich so um die Mannschaft herum abgespielt hat.