Gelsenkirchen. Beim FC Schalke 04 gibt es eine Menge Probleme. Ergänzend zu unserem großen Bericht hier das Interview mit Vorstand Alexander Jobst.

Beim Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 gibt es viele Diskussionen - das betrifft nicht nur die Profimannschaft, die seit 23 Liga-Spielen auf einen Sieg wartet, sondern auch die Geschäftsstelle. Die Hintergründe haben wir hier in einer ausführlichen Analyse veröffentlicht. Ergänzend zu diesem großen Bericht hier das komplette Interview mit Schalkes Marketingvorstand Alexander Jobst.

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Ist der Claim „Wir leben Dich“ noch passend - oder müsste er aktuell nicht eher „Wir streiten über Dich“ lauten?

Alexander Jobst: (überlegt lange) „Wir leben Dich“ ist ein Versprechen, das die Leitbild-Kommission, bestehend aus Fanvertretern, Vorstand, Gremiumsmitglieder und anderen Schalkern als Ergebnis und Überschrift ermittelt hat. "Wir leben Dich" ist das, was Schalke immer ausgemacht hat und auch in Zukunft ausmachen wird. Schalke ist aber auch dafür bekannt, dass man sich streiten kann. Gleichwohl kommt es in kritischen Phasen darauf an, dass der Zusammenhalt gegeben ist. Sind wir aber ehrlich: Wenn wir sportlich Erfolg hätten, wären einige Themen nicht so stark unter dem Brennglas, wie sie es jetzt sind.

Wie kritisch ist diese Phase?

Jobst: Ich bin seit neun Jahren in verantwortlicher Position - und in diesen neun Jahren ist es die kritischste Phase. Warum? Weil wir durch veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen, dem mehrmaligen Ausbleiben des internationalen Geschäfts und coronabedingt enorme Herausforderungen haben. Im Sommer haben wir gesagt: Ein ,Weiter so‘ kann es nicht geben. Und vor diesem Hintergrund ist es unumgänglich, dass wir uns den Veränderungen widmen. „Veränderung“ sagen und dann nichts ändern, ist auch bei Schalke 04 ein Zielkonflikt, der nicht zu lösen ist.

Sie verändern gerade die Organisationsstruktur des Vereins. Was meinen Sie damit konkret?

Jobst: Teil der Veränderungen ist es, dass wir die aktuelle Organisation analysiert und uns gefragt haben, welche Geschäftsbereiche, welche Abteilungen unter wirtschaftlich anderen Rahmenbedingungen, unter Ausbleiben des Stadionbetriebs, noch sinnvoll sind, welche angepasst werden können und welche in Zukunft umso wichtiger werden.

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Haben Sie dafür Beispiele?

Jobst: Ergebnis unserer Analyse war zum Beispiel, dass unsere zwei Eventabteilungen zukünftig besser als ein Team zusammenarbeiten. In der Vergangenheit betrieb eine die Arena-Veranstaltungen und eine die Sponsoren-Veranstaltungen. Ähnlich ist das zweite Beispiel: Im Sponsoring haben wir bisher Vertrieb und Betreuung in zwei Abteilungen organisiert. In den kommenden zwei, drei Jahren wird es aber vorrangig nur darum gehen, Sponsoren zu halten und zu binden. In der Akquise werden wir keine offenen Türen einrennen. Daher legen wir auch diese Bereiche zusammen. Das hat dann zur Konsequenz, dass das ein oder andere Personalgespräch geführt werden muss, ob man den Weg mitgeht oder nicht. Dass nicht alle Mitarbeiter Gewinner einer Strukturveränderung sind, ist auch klar.

Gab es betriebsbedingte Kündigungen?

Jobst: Nein. Es ist unmissverständlich eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat, der vom ersten Moment an einbezogen war, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gegeben hat und auch nicht geben wird. Gleichwohl ist es eine Selbstverständlichkeit, mit Mitarbeitern zu sprechen, deren Tätigkeitsfelder sich durch inhaltliche Anpassungen ändern. Das ist ein ganz normaler Prozess, wie er in jedem Verein, der sportlich besser dasteht, völlig geräuschlos verläuft. In jedem Unternehmen der Welt sowieso.

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Unter den Mitarbeitern, die Verlierer der neuen Struktur sind, gibt es etliche langjährige Schalker, die ihre gegenwärtigen Aufgaben nicht behalten. Versuchen Sie Schalke zu „entschalken“?

Jobst: Diese Kritik irritiert mich und kann ich so auch nicht stehen lassen. Diejenigen, die Schalke viele, viele Jahre als Mitarbeiter begleiten, kennen die Seele des Vereins, wissen, wie der Verein tickt. Ich freue mich, dass viele den Weg mitgehen. Keiner der drei Mitarbeiter, auf die Sie anspielen, wurde „degradiert“. Einer hat einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet; die beiden anderen sind unverändert als Leiter beziehungsweise Koordinator im Verein tätig. Dass die Loyalität von Mitarbeitern infrage gestellt wurde, ist grober Unfug. Dieser Verein hat viele Herausforderungen und manche Probleme. Eins aber nicht: Loyalität und totale Identifikation der Mitarbeiter mit Schalke 04 – das schließt ausdrücklich auch die drei genannten Mitarbeiter aus dem besagten Medienbericht ein. Und dabei ist völlig irrelevant, wer der aktuelle Vorstand ist. Gleichwohl erwarten wir natürlich auch die Bereitschaft zur Veränderung. Ich kann den genannten Vorwurf nur in einem Zusammenhang sehen, nachvollziehen, wenn ich interpretiere, woher er kommt. Und er kommt in meiner Wahrnehmung daher, dass ich eine Ausgliederung geräuschlos vorbereiten will.

Ist das denn so?

Jobst: Eine mögliche Änderung der Rechtsform hat nichts, aber auch gar nichts, mit Veränderungen in der Organisationsstruktur zu tun. Außerdem müssen am Ende die Schalker Vereinsmitglieder mit ihrem Votum entscheiden. Sind wir in fünf Jahren noch ein e. V., ist es trotzdem jetzt und immer unsere Verantwortung, uns veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen zu stellen und die Organisation anzupassen.

Geht es Ihnen darum, nur Ja-Sager zu beschäftigen?

Jobst: Nein. Ich bin im Gegenteil froh, streitfähige, starke Mitarbeiter vorzufinden. Nur Ja-Sager - das wäre mir viel zu langweilig.

Vor neun Jahren haben Sie als Marketingvorstand angefangen, zuletzt haben Sie ihre Position immer weiter ausgebaut. Wollen Sie noch mächtiger werden?

Jobst: (überlegt) Erstens: Nein. Und zweitens: Es geht ausschließlich um den Verein. In den vergangenen Jahren gab es im Vorstand durch die Konstellation Peter Peters/Alexander Jobst in Teilen Doppelstrukturen, die es nun aufzulösen gilt. In den ersten Jahren meiner Tätigkeit habe ich mich sehr stark auf die Vermarktung konzentriert - die Zahlen sprechen für sich, das kann ich selbstbewusst sagen. Nun habe ich mich zusätzlich des Themas Organisation angenommen. Da ist es selbsterklärend, dass man gewisse Prozesse analysiert und verbessert. Das ist eine völlig rationale Herangehensweise, die wir übrigens im gesamten Vorstand so teilen. Gleichwohl merke ich: Ein Optimierungsprozess bei Schalke 04 wird in sportlich schwieriger Zeit schnell emotional und schafft es sogar in die Boulevardpresse. Auch ich bin nach neun Jahren Schalke noch das eine oder andere Mal überrascht.

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Haben Sie Fehler gemacht?

Jobst: Natürlich. Ein Manager, der sagt, er habe keine Fehler gemacht, ist betriebsblind und selbstherrlich.

Darf man in der Position, die Sie haben, Schalke-Fan sein?

Jobst: Ich bin seit neun Jahren hier - aber ich habe bei weitem keine neun Jahre gebraucht, um Schalke-Fan zu werden. Die Leidenschaft, die diesen Klub umgibt, habe ich frühzeitig erfahren. Gleichzeitig bleibt es aber meine Aufgabe, für den Verein rational zu denken und zu handeln.

Das ist Alexander Jobst

Alexander Jobst (47) studierte Sportökonomie in Bayreuth. Bevor er 2011 zu Schalke 04 wechselte, arbeitete er von 2000 bis 2005 im Sportsponsoring der Siemens AG, 2006 im Marketing-Management bei Real Madrid und von 2007 bis 2011 für die Fifa in Zürich.

Er ist verheiratet, hat zwei Kinder, und ist in seiner Freizeit begeisterter Triathlet.

Die Diskussionen um eine mögliche Ausgliederung der Profiabteilung ziehen Sie auf sich. Ist diese Polarisierung Absicht?

Jobst: Ich kann sehr gut verstehen, dass sie polarisiert. Schalke 04 ist in seiner jetzigen Struktur an seine Grenzen gestoßen. Wenn der sportliche Erfolg über mehrere Jahre ausbleibt, müssen wir uns mit dieser Thematik beschäftigen. Das ist unternehmerisch eine Aufgabe des Vorstands. Da ich das frühzeitig öffentlich kundgetan habe, fühlte ich mich bisher als derjenige, der vorneweg marschiert - auch wenn es intern abgesprochen ist.

Hat die Corona-Pandemie die Planungen beschleunigt?

Jobst: Aktuell geht es darum, Schalke gesichert durch Corona zu steuern sowie wirtschaftlich und sportlich zu stabilisieren. Das hat oberste Priorität und haben wir mehrfach öffentlich geäußert. Parallel arbeiten wir an einem Konzept, das wir zu einem Zeitpunkt X den Mitgliedern vorstellen werden. Nichts wäre aber schlimmer, als die Mitglieder von heute auf morgen damit zu konfrontieren - dann würde es nicht funktionieren.

Gibt es denn einen Zeitplan?

Jobst: Nein. Die Überzeugung vom richtigen Konzept für Schalke hat absolut Vorrang vor Schnelligkeit. Unsere neue Finanzvorständin Christina Rühl-Hamers hat dies im letzten Schalker Kreisel ja auch ganz deutlich gemacht. Wir sind in unserer Ertragskraft so stark, dass kein Schnellschuss vonnöten ist. Wir werden unsere Mitglieder informieren, wenn wir soweit sind. Vornehmlich geht es darum, uns sportlich und wirtschaftlich stabil durch die Saison zu führen. Damit haben wir alle Hände voll zu tun.

Eine Ausgliederung könnte auch dazu führen, dass Clemens Tönnies als Investor zurückkehrt. Ist das ein Gedankenspiel?

Jobst: Nein. Wir beschäftigen uns damit nicht. Schalke befindet sich in der Zeit nach Clemens Tönnies. Dieser Aufgabe stellen wir uns.

Und doch saß Tönnies beim Liga-Auftaktspiel in München neben dem Vorstand.

Jobst: Das war kein schönes Bild. Eins, das uns nicht gut getan hat. Das weiß Clemens Tönnies, das wissen wir. Aus diesem Grund war es uns ein Anliegen, nach dem Spiel mitzuteilen, dass es für ihn eine Rückkehr nicht geben wird.

Sie sind seit neun Jahren im Vorstand - Sie haben einige kostspielige Entscheidungen, die Schalke mit in die Bredouille gebracht haben, abgenickt.

Jobst: Das ist mir etwas zu kurz gedacht, weil ich in meiner Vorstandsverantwortung in erster Linie für die Einnahmenseite zuständig war. Und an der Stelle teile ich die Kritik einiger Fans: Schalke hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Wir wissen alle, dass wir sportlich in den vergangenen Jahren die Weichen das ein oder andere Mal in die falsche Richtung gestellt haben. Für die sportlichen Entscheidungen war ich aber nicht zuständig. Das ist nicht meine Kernkompetenz, und die sehe ich auch für die Zukunft nicht für mich vor: Das kann Jochen Schneider deutlich besser.

Welche Rückmeldungen erfahren Sie in dieser Krise durch die Fans und Mitglieder?

Arbeiten auf Schalke eng zusammen: die Vorstände Jochen Schneider (l.) und Alexander Jobst.
Arbeiten auf Schalke eng zusammen: die Vorstände Jochen Schneider (l.) und Alexander Jobst. © dpa

Jobst: Ich vermisse den persönlichen Austausch - den gibt es noch, aber nicht so regelmäßig und intensiv wie vor Corona. Es gibt nur wenige Klubs, die den Austausch so missen wie Schalke 04. In diesen Gesprächen verspüre ich starken Respekt, auch kontroverse Meinungen - aber die Fans können auch nachvollziehen, warum wir uns Veränderungen widmen. Was mich stört, ist der oft anonyme und zum Teil heftige Kritiksturm, der durch die sozialen Netzwerke gefördert wird. Mit Schlagzeilen und Sätzen wie „Ein Insider berichtet“ oder „…hörte man aus dem Umfeld der Geschäftsstelle“ kann ich nicht viel anfangen. Viele rufen nach Veränderungen - dann gehen wir sie an und sofort wird dann infrage gestellt, ob wir noch ein Kumpel- und Malocherklub sind. Damit tue ich mich schwer. Das ist mir zu einseitig. Ein Kumpel- und Malocherklub zu sein und gleichzeitig Bereitschaft zur Veränderung haben - das schließt sich nicht aus. „Weiter so“ weil „immer so“ – das ist nicht meine Auffassung meiner Verantwortung. Und wenn einzelne Mitglieder die Erwartung äußern und fordern, bei der Änderung der Organisationsstruktur mitzuentscheiden, geht mir das zu weit und ist doch fern jeder Realität. Das ist Aufgabe des Vorstands und im übrigen auch so in der Satzung vorgesehen.

Sehen Sie die Gefahr, dass Sie durch die gegenwärtige Krise in allen Facetten Fans verlieren?

Jobst: Auch wenn die sportliche Situation so ist, wie sie ist und wir schwierige Monate hinter uns haben: Ich wünsche mir nichts mehr, als wieder vor vollem Haus zu spielen. Dieses Stadionerlebnis und den vielfachen direkten und persönlichen Austausch braucht Schalke. Dann finden wir wieder zurück zur Bindung, zur Identifikation. Das wird seine Zeit brauchen, weil wir durch die sportlichen Monate des Misserfolgs und durch die Pandemie die Fan-Nähe nicht so haben, wie Schalke es gewohnt ist. Aber ich bin überzeugt, dass wir wieder das Schalke mit seiner Emotion, seiner Wucht und seinem Zusammenhalt erleben werden, wie es vor der Pandemie war. Aus dieser Phase müssen wir gemeinsam herauskommen. Das fordert am Ende aber mehr Geduld und sicherlich auch einige unpopuläre Entscheidungen ein.

Ihr Vertrag gilt noch bis 2024 — es gab Gerüchte, Sie hätten sich Gedanken gemacht, den Klub zu verlassen. Ist das so?

Jobst: Ich kann zu 100 Prozent bestätigen, dass ich mit aller Kraft und Begeisterung diesen Verein in eine erfolgreiche Zukunft führen möchte. Entscheidend ist das Jetzt und die nahe Zukunft. Es ist die kritischste Phase in meiner Zeit bei Schalke, aber ich habe mitnichten irgendwelche Abwanderungsgedanken. Es kommt darauf an, den Zusammenhalt, den wir uns wünschen, auch intern zu zeigen.

Wenn alles bis 2024 perfekt gelaufen ist...

Jobst: So weit will mag ich gar nicht denken. Ich hoffe, dass wir bis dahin eine volles Veltins-Arena und mal wieder das eine oder andere Derby gewonnen haben. Dass wir ein erfolgreicheres Schalke sehen als jetzt gerade. Denn so, wie es jetzt läuft, gefällt es uns allen nicht.