Essen. Auch in der Corona-Krise zeigt sich: Der Fußball hat ein Imageproblem. Wir haben das Ganze unter anderem mit Christian Heidel analysiert.
Der Tag der Entscheidung, er ist da. An diesem Mittwoch schalten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder in einer Videokonferenz zusammen, um über einen Neustart der Fußball-Bundesliga zu beraten. Bereits am Dienstagmorgen wollte die Nachrichtenagentur Reuters wissen, dass es Grünes Licht für das Konzept der Deutschen Fußball-Liga (DFL) geben wird. Am Nachmittag meldete dann der Kicker: Die 36 Bundesliga-Vereine treffen sich am Donnerstag zu einer digitalen Mitgliederversammlung, um über das weiteren Vorgehen zu beraten. Geplant ist ein Wiederbeginn nach der Corona-Zwangspause ab Freitag, 15. Mai, mit Geisterspielen. Aus der Politik, anderen Sportarten und der Bevölkerung gibt es nicht nur Jubelstürme. Im Gegenteil.
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Seit Wochen sind vor allem die Kritiker nicht zu überhören, die mit hämischen Rufen eine überdrehte Liga und ihre Millionäre an den Pranger stellen. Wie keinem anderen Unternehmen wird der Bundesliga gar der Untergang gewünscht. Doch woher kommt diese Abneigung? Wann und wie ist das Image des Profifußballs derartig schlecht geworden. Eine Spurensuche.
Von Misswirtschaft bis Neid-Debatte - die Vereine
Die Suche beginnt auf Mallorca. 48 Tage hat Christian Heidel (56), bis Februar 2019 Sportvorstand des FC Schalke 04, während des Corona-Lockdowns in seinem Haus dort verbringen müssen. Er las alles über die Krise. „Der Profifußball“, sagt Heidel, „wird oftmals sehr überspitzt und falsch dargestellt. Bevor Corona kam, hat die DFL den Wirtschaftsreport herausgegeben. Die Liga ist weltweit für ihr solides und seriöses Wirtschaften gefeiert worden. Jetzt wird verlangt, dass diese Branche als einzige auf der Welt damit umzugehen hat.“
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Und deshalb stört ihn, der 27 Jahre lang Bestandteil des Profifußballs war, die Debatte so sehr. Zu viele Dinge, sagt Heidel, würden vermischt: „Der Fußball ist vielleicht die einzige Branche in Deutschland, die selbständig, zusammen mit Experten, ein Konzept von A bis Z ausgearbeitet hat, damit sie nicht kaputt geht – eine Branche, die für 56.000 Arbeitsplätze sorgt. Es ist doch normal, dass der Fußball alles tut, damit wieder gespielt wird. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass auf einmal Dinge vermischt werden – wie zum Beispiel: Warum darf der Profifußball spielen und die B-Klasse nicht. Hier geht es um Beruf und Milliarden, dort um Hobby und Freizeit. Die wirtschaftlichen Probleme der Lufthansa werden auch nicht mit denen der Hobby-Segelflieger verglichen."
Heidel selbst gab in seiner Schalke-Zeit viel Geld aus – vor allem für Ablösesummen. Er verteidigt das: „Das ist einer Entwicklung geschuldet. Was erwarten denn die Leute? Erwarten sie, dass die Vereine 30 Millionen Euro aufs Bankkonto legen, für den Fall einer Pandemie? Das gäbe ja bei jedem sportlichen Problem einen Volksaufstand. Auch ohne dieses Konto habe ich immer wieder zu hören bekommen: Die müssen doch mal ins Risiko gehen!“ Und sind die Gehälter zu hoch? „Natürlich kann ich die Kritik verstehen“, sagt Heidel. „Knapp 1000 Fußballer in der ersten und zweiten Liga sorgen für drei Milliarden Euro Umsatz. Einige Spieler verdienen Millionen, die wir ihnen anbieten. Aber es gibt auch Profis, die nach zehn Jahren noch nicht ausgesorgt haben.“
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Das stimmt – aber leidet das Image, wenn ein Profi wie Franck Ribéry ein Video in den Social-Media-Kanälen wie Facebook postet, wie er ein sündhaft teures, mit Blattgold überzogenes Steak verputzt?
Von Goldsteak bis Gehaltsverzicht - die Spieler
Das ist eines der vielen Themen, mit denen sich Raphael Brinkert (42) beschäftigt. Der Inhaber einer Sportmarketing-Agentur hat zum Beispiel gemeinsam mit den Bayern-Profis Leon Goretzka und Joshua Kimmich die Kampagne „We kick Corona“ ins Leben gerufen.
Brinkert mag die Profis nicht verurteilen: „Das eigentliche Problem beginnt bei jedem Einzelnen von uns. Wir bestellen unseren Neffen ein Neymar-Trikot von Paris und kritisieren einen Tag später auf dem Sportplatz den modernen Fußball. Wenn wir nachhaltig etwas ändern wollen, müssen wir bei uns selbst beginnen und unseren Konsum und unsere Gewohnheiten verändern.“
Auch Heidel nimmt die Profis in Schutz: „Nahezu alle Fußballer und Funktionäre haben sich schnell bereit erklärt, auf Gehalt zu verzichten. War das in allen Branchen mit Topverdienern so? Ich bin nicht sicher. Aber öffentliches Thema ist plötzlich das Goldsteak von Ribéry. Aber wie viele von unseren 1000 Sportlern hatten auch Appetit auf Gold? Das als allgemeines Image des Fußballers zu verkaufen, passt nicht.“
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Eine These, die auch Professor Sascha Schmidt (49) unterstützt. Schmidt beschäftigt sich als Direktor an der Düsseldorfer Hochschule WHU mit Sport und Management. „Klar, mit Goldsteak-Bildern zu protzen oder einen Frisör aus London einfliegen zu lassen, das ist fernab der Realität des Otto-Normalverbrauchers. Aber wenn ich sehe, was während Corona auf freiwilliger Basis an Hilfsprojekten von Klubs und Spielern initiiert wurde, wundert es mich, dass das nicht mehr das allgemeine Stimmungsbild prägt.“
Goretzka und Kimmich, erzählt Brinkert, würden extra nicht mit PR-Fotos von Scheck-Übergaben glänzen wollen. „Sie lassen wenig Worte und viele Taten sprechen“, sagt Organisator Brinkert.
Von PR-Strategie bis Social Media - die Kommunikation
Wie wichtig ist PR? Was haben die Social Media mit dem Imageproblem zu tun? „Schon in den 80er Jahren hat man Ablösesummen und Gehälter italienischer Vereine kritisiert. Was sich verändert hat, ist die Transparenz durch die Digitalisierung“, sagt Brinkert. „Aber das Problem sind nicht Spieler und Berater, sondern Vereine, die das finanzielle Wettrüsten beschleunigen.“
Schmidt findet, Social Media habe die Arbeit der Vereine professionalisiert: „Die Klubs betreiben durch diesen Bedeutungszuwachs eine immer professionellere und abgestimmte Kommunikation.“
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Heidel lobt DFL-Chef Christian Seifert und kritisiert SPD-Politiker Karl Lauterbach: „Ich finde es großartig, wie Seifert die Interessen des Profifußballs nach außen vertritt – bescheiden, demütig, aber sehr konzeptionell auf den Punkt gebracht. Da Karl Lauterbach ein politischer Mediziner ist, ist er ja derzeit omnipräsent. Jeden Morgen, jeden Abend in den Medien. Beim Thema Corona und Fußball leider fast immer nur populistisch. Die reichen Fußballer wollen eine Sonderrolle. Damit bekommt man eben Headlines. Das hat er sehr schnell verstanden.“
Und wie geht es weiter?
Erkannt sind die Imageprobleme – doch wie lassen sie sich lösen? Schmidt hofft darauf, dass durch Corona bei den Klubs eine „gewisse Rückbesinnung“ stattfindet: „Die Erkenntnis, dass der Fan Dreh- und Angelpunkt eines funktionierenden Fußballsystems ist, ist nicht neu, aber durch Corona könnte das passieren." Und er ergänzt: „Hinsichtlich Transfersummen oder Gehaltsobergrenzen kann es nur eine internationale Lösung geben. Da ist es dann die Frage, inwiefern die Bundesliga Vorreiter sein kann und Expertise in internationale Gremien von Uefa oder Fifa einbringen kann. Ich denke schon, dass sie dadurch ihr Image wieder verbessern könnte.“ Über finanzielle Reserven müsste nachgedacht werden, die Verpfändung der Mediengelder.
Brinkert spricht von möglichen Lizenzauflagen und Financial Fairplay. "Wir müssen lernen, dass der Fußball eine Wirtschaftsbranche geworden ist, wenn auch die emotionalste der Welt. Mit all seinen Vor- und Nachteilen. Deswegen freue ich mich, wenn hoffentlich bald wieder der Ball rollt, weil dieses Vorgehen - wie auch in anderen Branchen - Arbeitsplätze und Unternehmen rettet. Für die Zukunft sehe ich die Chance, dass wir aus der Corona-Krise lernen und die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht als Selbstverständlichkeit ansehen."
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Heidel kann sich vorstellen, dass die Klubs noch mehr auf ihre Spieler einwirken wollen, um Goldsteak-Videos zu verhindern. Doch eins glaubt Heidel nicht: Dass Gehälter und Transfersummen runtergehen. „Sobald sich alles erholt hat, wird es eher normal laufen“, sagt Heidel. Das befürchtet Heidel auch bei Spielerberatern, deren Regulierung er sich seit langer Zeit wünscht: „Es gibt sehr viel korrekte und kompetente Berater. Die besten sind die, von denen man nie etwas hört oder liest. Aber solange ich im Fußball bin, diskutieren wir über die Höhe der Honorare, die komplett aus dem Ruder gelaufen sind. Die Vereine sind von den Beratern abhängig. Alle Fußballklubs sind diesen Weg mitgegangen. Mir fehlt der Glaube, dass sich das ändert. Denn alle Klubs – nicht nur in Deutschland - müssten sich einig sein und klare Regelungen vereinbaren. Die Verbände oder die Fifa müssten bei Verstoß hart sanktionieren."
Bevor es um die Zukunft geht, muss erst einmal wieder der Ball rollen. Die Entscheidung fällt an diesem Mittwoch – in einer Videokonferenz.