Essen. Die Corona-Krise stellt den Fußball vor die Existenzfrage. Für den früheren DFL-Chef Holger Hieronymus ist klar: Es geht nicht ohne Verzicht.

Im Katalog der Antworten, wie der Profifußball die Corona-Krise überstehen könnte, kann sich jeder bedienen, wie er möchte. Die einen glauben an eine Zukunft nach dem Oliver-Kahn-Motto „Immer weiter...“, andere verheißen einen radikalen Wandel. Holger Hieronymus, jemand, der einst als Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL) im Machtzentrum aktiv war, nimmt eine differenzierte Bewertung vor. „Der Fußball“, sagt der 61-Jährige, der als Pensionär in Hamburg lebt und die momentane Entwicklung kritisch verfolgt, „wird nicht schadlos durch diese schwere Zeit marschieren. Er wird mit Schrammen herauskommen.“

Die letzte TV-Rate sichert das wirtschaftliche Überleben der Klubs

Voll des Lobes ist Hieronymus zunächst mal über die Initiativen seines ehemaligen Arbeitgebers, bei dem er von 2005 bis 2012 als für den Spielbetrieb verantwortlicher Manager engagiert gewesen ist. „Die heikle Aufgabe, das wirtschaftliche Überleben der meisten Klubs zu sichern, scheint gelöst zu sein“, betont der Hamburger, der den noch nicht offiziell bestätigten Deal mit den TV-Anstalten herausstellt, die in Vorlage gehen wollen und die lebensnotwendige letzte Rate noch vor der Fortsetzung der Saison zu überweisen gewillt sind. Die DFL sei in gewisser Weise ein „wirtschaftlicher Durchlauferhitzer für die Vereine“ und habe primär so die Bewältigung des akuten Problems geschafft. „Das DFL-Team macht in diesen Tagen einen guten Job.“

Der Ex-Profi des HSV kennt DFL-Boss Christian Seifert recht gut. Am 1. Februar 2005 fing er als Nachfolger von Heribert Bruchhagen am gleichen Tag beim Verband an, als der ehemalige Karstadt-Manager Seifert seinen Dienst antrat. Der branchenfremde Kaufmann habe sich rasch eingearbeitet. „Wir hatten andere Schwerpunkte und Aufgabenbereiche.“

Erinnerungen an die dunklen Tage der Kirch-Insolvenz

Erfahrungen mit Szenarien der Krisenbewältigung hat der frühere Nationalspieler und Libero, der einst als Erbe Beckenbauers galt, bevor eine schwere Knieverletzung seine Karriere stoppte, aus seiner Zeit als Manager bei seinem Stammverein. Seine Erinnerungen an die turbulenten Monate in 2002 während der Insolvenz des Medienmoguls Kirch: „Es ging damals zwar um geringere Summen als heute, doch es drohte ein Totalausfall. Allen Klubs war die Geschäftsgrundlage von heute auf entzogen.“

Grundsätzliche Gedanken über die Zukunft des Berufsfußballs macht sich Hieronymus, der eine Gehirnblutung überlebt hat und sich vor acht Jahren zur Ruhe gesetzt hat. „Alle im Fußball sollten den Gürtel enger schnallen“, mahnt er.

Umdenken bei den Verantwortlichen ist notwendig

Die Branche müsse sich mehr an der gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz orientieren. Ihm ist daran gelegen, dass „die Polemik über die Klientel gut verdienender Millionäre“ nicht ausufert. Gerade jetzt müsse der Fußball den Solidaritätsgedanken unterstreichen, in Zeiten der Geisterspiele eine sinnvolle Methode finden, um bezahlte Tickets zu erstatten und das Zusammenspiel zwischen Verbänden und Fans optimieren.

Bewährt hat sich nach seiner Auffassung das seit Jahren angepasste Lizenzierungsverfahren, „das verhindert, dass Vereine in Insolvenz gehen und somit der Spielplan zusammenbricht“. Das Instrumentarium, das hauptsächlich die Liquidität überprüft, sei indes nicht so ausgelegt, die akute Krise und die aktuellen Sorgen abzudecken. „Die Prüfung der Wirtschaftlichkeit lag und liegt in der Verantwortung der Vereine.“ Die jüngsten Erfahrungen, so Hieronymus weiter, sollten jedoch in dieser Hinsicht auch zu einem Umdenken bei den Verantwortlichen führen. „Mehr Rücklagen, mehr Eigenkapital, so müsste der Weg für die Zukunft aussehen.“

Änderungen nur in einem großen Verbund durchsetzbar

Dass Themen wie die durchgesickerten Gehaltsforderungen von Manuel Neuer in diesem Zusammenhang nicht gerade förderlich sind für das Image des Profifußballs, bestreitet Hieronymus nicht. Wenngleich er es als „unangemessen“ ansieht, „Vertragsdetails eines Nationaltorwarts zu lancieren. So wird einer herausgepickt und aufs Schafott gezerrt, das ist nicht okay.“

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Wichtig sei, die nun aufflammende Diskussion über Gehaltsobergrenzen ergebnisoffen zu führen. Dies müsste auch in den Dachverbänden Fifa und Uefa auf der Agenda stehen, „weil es nur in einem großen Verbund umsetzbar ist, in Abstimmung mit den anderen Topligen wegen der Wettbewerbsgleichheit“. Bereiche wie die gerechte Verteilung der TV-Gelder sowie die Bildung echter Solidarfonds sollten auch angesprochen werden. „Der Fußball muss aufpassen, dass er sich nicht ins Abseits manövriert“, appelliert Hieronymus.