Rheda-Wiedenbrück. Im Interview erklärt Aufsichtsratschef Clemens Tönnies die Entlassung von Trainer Weinzierl und die Verpflichtung eines unerfahrenen Nachfolgers.

  • Schalke hat Trainer Markus Weinzierl gefeuert und durch Domenico Tedesco ersetzt
  • Wir haben uns darüber mit S04-Boss Clemens Tönnies unterhalten
  • Im Interview erklärt Tönnies die Verpflichtung eines unerfahrenen Nachfolgers

Als dieses Interview mit Clemens Tönnies vor drei Wochen terminiert wurde, war der Trainerwechsel auf Schalke nicht abzusehen. Über Nacht war bekannt geworden, dass Sportvorstand Christian Heidel Trainer Markus Weinzierl beurlauben und Domenico Tedesco aus Aue verpflichten würde. Trotzdem hielt der Aufsichtsratschef den Interview-Termin am Freitagmorgen ein. „Das ist halt Journalisten-Glück“, sagte Tönnies lachend. Und stellte sich den kritischen Fragen von Pit Gottschalk.

Warum die Entlassung von Trainer Markus Weinzierl, Herr Tönnies?

Clemens Tönnies: Ich habe – wie übrigens in jedem Jahr - die sportliche Leitung beauftragt, diese Saison zu analysieren, auch um festzustellen, was wir besser machen können. Dann habe ich intensiv mit Christian Heidel und Axel Schuster das Thema diskutiert. Irgendwie habe ich bei ihnen die Zweifel gespürt, dass Markus Weinzierl noch der richtige Trainer ist. Die Entscheidung, eine Änderung vorzunehmen, habe ich voll mitgetragen.

Stört es Sie nicht, dass Sie erneut nach nur einem Jahr einen Trainerwechsel vornehmen?

Tönnies: Wir waren uns ja damals in den Anfangsgesprächen mit Christian Heidel einig: Wir wollen eine Spielphilosophie entwickeln, die der Verein vorgibt. Diese Vorgaben haben wir einfach nicht umgesetzt gesehen.

Wie muss ein Trainer geschaffen sein, dass er länger als ein Jahr auf Schalke bleiben kann?

Tönnies: Jeder, der unsere Spielphilosophie mit Leben füllt und uns damit Erfolg bringt, hat gute Aussichten auf eine lange Zeit auf Schalke.

Welche Spielphilosophie wollen Sie konkret sehen?

Tönnies: Wir wollen zum Beispiel Pressing sehen. Schnelles Spiel nach vorne. Wir wollen die Mannschaft taktisch gut eingestellt sehen und damit Erfolg haben.

FUNKE-Sport-Chefredakteur Pit Gottschalk (r.) im Gespräch mit Schalke-Aufsichtsratchef Clemens Tönnies.
FUNKE-Sport-Chefredakteur Pit Gottschalk (r.) im Gespräch mit Schalke-Aufsichtsratchef Clemens Tönnies.

Hätte man nicht vorher wissen können, dass Markus Weinzierl nicht liefert?

Tönnies: Jetzt will ich die Verantwortung nicht wegschieben. Aber letztendlich ist dafür die sportliche Abteilung zuständig. Natürlich habe ich vorher auch mit Markus Weinzierl gesprochen. Mir geht es immer nur darum: Passt das menschlich? Und da gab und gibt es überhaupt keine Zweifel an Markus Weinzierl. Dann: Passt der Trainer in den Etat — das ist Aufgabe des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Aufsichtsrates. Das passte ebenfalls. Über die sportlichen Entscheidungen und die Kompetenzen entscheidet ausschließlich der Manager.

Und warum sollte es bei Domenico Tedesco besser laufen?

Tönnies: Als die Entscheidung gefallen war, dass wir einen Wechsel vornehmen, sind wir Namen durchgegangen, wer zu uns passen könnte. Domenico Tedesco gehörte dazu. Er hat sich auch bei mir in Rheda-Wiedenbrück vorgestellt. Und ich muss sagen, dass ich top begeistert war. Ich habe mir seine Vita in Ruhe angeguckt: Das ist ein junger, verhältnismäßig unbekannter, aber sehr kompetenter Trainer. Und vor allem: ein besonderer Mensch, das muss man sagen. Der hat mich auch von der menschlichen Seite her total überzeugt.

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Noch mal die Frage: Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass das mit Tedesco besser klappt?

Tönnies: Wenn wir uns die Tabelle ansehen, dann sehen wir da Bayern München ganz weit weg. Die drei Mannschaften dahinter haben keine altgedienten Trainer oder ehemalige überaus erfolgreiche Spieler an der Seitenlinie. In Leipzig ist es Hasenhüttl in Kombination mit Rangnick. Dann Nagelsmann, Tuchel - sogenannte Laptop-Trainer. Aber die Entwicklung spricht für sie. Andere Trainertypen werden es immer schwerer haben, erfolgreich zu sein, da gerade dieser neue Trainertyp mit mehr Augenmerk auf Taktik und vielleicht auch „mathematischer“ an das Thema Fußball herangeht. Sie lassen Fußball mit variabler, vielfältiger Taktik und genau einstudierten Abläufen spielen. Das ist nach meiner jetzigen Einschätzung die Zukunft.

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Von Thomas Tartemann und Krystian Wozniak

Diese Zukunft von Schalke legen Sie in die Hand eines 31-Jährigen — das ist ganz schön mutig. Tedesco wird der jüngste Schalke-Trainer aller Zeiten.

Tönnies: Finde ich gut! Die jüngste Personalentscheidung, die ich in unserem Unternehmen getroffen habe, war der Verwaltungsleiter des Tönnies-Konzerns: Gesamtleiter mit 27 Jahren! Das war eine der besten Entscheidungen, die ich jemals gefällt habe. Ich glaube, dass der Trainerberuf mit dem Alter nichts zu tun hat. Sondern mit der Reife der Persönlichkeit und mit der Qualität seiner Arbeit.

Aber Tedesco hat nicht viel mehr vorzuweisen als ein halbes Jahr zweite Liga Profifußball.

Tönnies: Das hatten Nagelsmann, Tuchel und Klopp auch nicht. Und da sind wir schon gleich bei zwei Namen, die Christian Heidel entdeckt hat. Ich vertraue ihm, er ist ja nicht ganz unerfolgreich mit der Benennung von völlig unbekannten Überraschungstrainern.

Warum haben Sie nicht Thomas Tuchel geholt?

Tönnies: Ich weiß nicht, wie die Fans das aufgenommen hätten. Tuchel ist ein überragender Trainer, völlig klar. Aber ich weiß nicht, ob das jetzt gepasst hätte zu diesem Zeitpunkt, ihn so frisch von Dortmund zum Erzrivalen zu holen. Ich weiß nicht, ob wir uns damit nicht allesamt überfordert hätten.

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Sehen Sie Thomas Tuchel so positiv?

Tönnies: Ich sehe den sehr positiv. Ich habe ja schon mal mit ihm verhandelt, damals. Das hat leider nicht geklappt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir insgesamt eine ganz andere Entwicklung genommen hätten, aber leider hat uns Christian Heidel damals in Mainz die Freigabe nicht gegeben. Da schließt sich der Kreis.

Vor einem Jahr wurde Weinzierl von Ihrem Manager Heidel groß eingeflogen. Jetzt kommt derselbe Manager zu Ihnen und muss bei seiner Spitzenpersonalie eine Korrektur vornehmen. Sie müssen ein grenzenloses Vertrauen in Christian Heidel haben.

Tönnies: Habe ich auch. Eine Korrektur gehört auch mal dazu. Ich rechne ihm hoch an, dass er sagt: Das nehme ich auf meine Kappe.

Er hat es auf seine Kappe genommen?

Tönnies: Er sagte mir: „Ich habe mich vertan.“ Es ist besser, jetzt einen Schnitt zu machen und eine Entscheidung zu korrigieren, als die Trennung zu scheuen und womöglich in eine weitere mittelmäßige Saison reinzulaufen.

Wie oft haben Sie gelitten im Verlauf der vergangenen Saison?

Tönnies: Wenn ich ein schlechtes Spiel sehe, leide ich. Wenn ich ein schlechtes Spiel sehe und wir auch noch verlieren, leide ich noch mehr. Wenn die Tür zu Europa sperrangelweit offen steht und wir nicht durchmarschieren, dann leide ich erst recht wie ein Hund.

Können Sie Platz 10 finanziell verkraften?

Tönnies: Ja. Das Jahr ist durchfinanziert.

Auch eine zweite Saison?

Tönnies: Da spreche ich, glaube ich, vielen Fans aus dem Herzen, wenn ich sage: Eine derartige Saison können wir uns nur einmal ansehen.

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Mussten Sie sich im Verlauf der Saison oft auf die Zunge beißen?

Tönnies: Nein. Ich fühle mich unheimlich wohl. Weil ich nicht mehr in die erste Reihe muss. Früher war ich immer gefordert, jedes Thema anzusprechen. Ich bin jetzt mehr der Souverän als der Problemlöser. Das ist eine Rolle, die mir unheimlich gut gefällt. Mich mit um Sponsoren zu kümmern, im Hintergrund die Zügel mit in der Hand zu haben und auf den Tisch hauen zu können, wenn etwas passieren muss. Wenn ich eine Auseinandersetzung habe, dann in der Regel unter vier Augen.

Hat Herr Heidel Ihre Erwartungen erfüllt?

Tönnies: Ja. Wir haben unheimlich viel, den Tabellenplatz außen vor, an den Strukturen, die so im Vordergrund gar keiner mitbekommt, verändert und verbessert.

Zum Beispiel?

Tönnies: Wir haben das gesamte Trainingsgelände neu geplant, haben das neue Gebäude für die Profis innerhalb von kürzester Zeit konzipiert und bald umgesetzt. Am 1. August zieht die Lizenzspielerabteilung dort komplett ein. Wir haben das Scouting-System total verändert, eigentlich revolutioniert.

Aber dafür ist Schalke 04 ja nun nicht da, Strukturen neu zu machen, sondern besser in der Bundesliga-Tabelle zu stehen.

Tönnies: Das Wichtigste eines Unternehmens oder auch eines Fußballvereins sind die Strukturen. Wie sind die Entscheidungswege? Wie sind die Informations- und Kommunikationslinien? Und das sieht man hinterher auf dem Rasen. Dazu braucht man etwas Zeit. Christian Heidel hat jedoch gar nicht lange gebraucht. Der wusste gleich, wo das Licht angeht. Und hat diese Dinge gemeinsam mit mir und auch in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat insgesamt positiv verändert.

Also würden Sie auch nach einem Jahr sagen, dass der Wechsel von Heldt zu Heidel die richtige Entscheidung war?

Tönnies: Das war die richtige Entscheidung. Ich freue mich gleichzeitig für Horst Heldt, dass er jetzt einen tollen Job in Hannover hat. Ich bin nach wie vor mit ihm befreundet, wir telefonieren regelmäßig.

Was ist Ihre Erwartungshaltung für die neue Saison?

Tönnies: Unser Anspruch ist, Champions League zu spielen. Nicht nur meiner, sondern der der Fans, der Mitglieder. Wir wollen oben mitspielen, eine der großen Kräfte innerhalb der Bundesliga sein. Und deswegen ist der Anspruch immer international dabei zu sein. Meine ersten Fragen an Tedesco waren: Wie sehen Sie die Mannschaft? Können Sie diese Mannschaft besser machen? Da hat er gesagt: Ja, das kann ich.

Und wie will der das machen?

Tönnies: Indem er seinen eigenen Stil dort einbringt, intensiv kommuniziert, Taktik trainiert. Indem er einfach die Strukturen und die Strategien eines modernen Trainers in der Mannschaft implementiert.

Darf ein Spieler auf Schalke den neuen Trainer ebenfalls „Feigling“ nennen, wie es Konoplyanka bei Weinzierl getan hat?

Tönnies: Im Fußballgeschäft darf man sich alles sagen - aber unter vier Augen. Dort sollte man immer offen miteinander kommunizieren. Trainer zu Spieler, Spieler zu Trainer. In der Öffentlichkeit finde ich es deplatziert. Da hat Kono einen schlechten Tag gehabt.

Welche Konsequenzen bekommt er?

Tönnies: Er wird eine saftige Geldstrafe dafür kriegen. Die wird ihm wehtun.

Und das reicht Ihnen?

Tönnies: Welche Konsequenzen soll es denn noch geben?

Zum Beispiel: Rauswurf. Oder was würden Sie mit einem Angestellten tun, der Sie „Feigling“ nennt?

Tönnies: Das kann man nicht vergleichen.

Doch. Kann man.

Tönnies: Ich gehe immer in die Sachlichkeit. Wie wertvoll ist die Aussage? Wie substanziell? Und da gibt’s Situationen in meinem Leben, da habe ich Dinge nicht hören wollen, obwohl ich sie gehört habe.

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Herr Konoplyanka aber sagte das Wort in der Öffentlichkeit.

Tönnies: Vielleicht ist das eine neue Qualität von Schalke, dass wir nicht so aufgeregt sind wie früher. Konoplyanka wird eine ordentliche Geldstrafe bezahlen. Da wird er sich das nächste Mal zusammenreißen. Das Geld wird für einen guten sozialen Zweck gespendet.

Trifft es Sie nicht, wenn man Sie plötzlich königsgrau statt königsblau nennt?

Tönnies: Sie piksen mich ganz schön.

Wundert Sie das?

Tönnies: Königsgrau sind wir immer, wenn wir auf Platz 10 stehen. Sonst nicht.

Was muss sich in der Mannschaft denn tun, damit sie wieder königsblau ist?

Tönnies: Diese Mannschaft braucht eine klare Strategie. Ich bin unverändert davon überzeugt, dass die Mannschaft grundsätzlich intakt ist und funktioniert.

Wo sehen Sie denn die Qualität des Kaders?

Tönnies: International und mit einem richtigen guten Trainer in der Champions League.

Der Trainer macht den Unterschied?

Tönnies: Ja. Meine Erfahrung, in dieser langen Zeit ist: Der Trainer ist der wichtigste Mann in einem Fußballverein.