Lotte. Der Regionalliga-Spitzenreiter Sportfreunde Lotte besticht beim 3:0-Heimsieg über Rot-Weiß Essen durch Homogenität und Effektivität. RWE trifft gleich viermal Aluminium.

Die Szenen nach dem Spiel waren herzlich und fair. Als die Rot-Weißen zum Auslaufen aus der Kabine kamen, stand dort David Czyszczon, Lottes Kapitän und Abwehrchef. Die ehemaligen Mannschaftskollegen gratulierten ihm zum verdienten Sieg. Und RWE-Routinier Markus Kurth, der nicht eingesetzt worden war, umarmte den Langen (1,94 m) und lobte: „Gut gemacht, Kleiner.”

Ein Satz Symbolkraft, ebenso wie das rot-weiß-farbige Trikot, das Czyszczon auf links trug. Verkehrte Welt in der Regionalliga-West. Der „David” aus der Provinz hatte den „Goliath” aus der Metropole deutlich bezwungen. Den vermeintlichen Riesen muss man aber wohl sagen, denn ein Blick auf die Tabelle verrät die wahren Kräfteverhältnisse: Die Sportfreunde sind souveräner Spitzenreiter, haben noch keines der 13 Spiele verloren und erst fünf Gegentore kassiert. Ein einziges davon in der PGW-Arena. Die Essener, als Titelfavorit in die Saison gestartet, haben nach fünf ungeschlagenen Spielen erstmals wieder verloren und rangieren auf Platz zwölf. 13 Punkte vom Gipfel entfernt und nur einen Zähler vom Abstiegsplatz.

Natürlich hatten sich die Rot-Weißen diesen Auftritt in Lotte ganz anders vorgestellt. Mit einem Sieg über den Liga-Primus wollten sie ein Signal geben, dass mit ihnen im Aufstiegskampf noch zu rechnen ist. Doch nach Schlusspfiff musste RWE-Trainer Uwe Erkenbrecher enttäuscht eingestehen: „Wir sind heute für einen Sieg leider nicht infrage gekommen.”

Ein bisschen kurios lief es dennoch. Die Rot-Weißen waren nicht schlecht, individuell mindestens gleichwertig. Sie waren auch die aktivere Mannschaft, doch das bessere, kompaktere Team war Lotte. Phasenweise schien RWE dennoch optisch überlegen. Und alles wäre wohl ganz anders gelaufen, hätte Sascha Mölders nach drei Minuten nicht die Latte, sondern ins gegnerische Tor getroffen.

Der Gastgeber aber demonstrierte recht bald, was in ihm steckt. Die Körpersprache der „Blauen” signalisierte grenzenloses Selbstbewusstsein. Und wenn sie in Ballbesitz kamen, ging es flott und fein abgestimmt nach vorn. Volle Lotte! Vor allem über die schnellen Außen Silvio Pagano und Michael Kügler. Auf der linken Seite gehörte auch der abgezockte Santos de Brito (30), kurz Sidney, zu den Aktivposten. Er spielte übrigens in der Saison 04/05 für Essen in der 2. Liga.

Die linke Seite sollte sich als Schwachstelle entpuppen. Und die ehemaligen Essener gaben dieser Partie wichtige, ja entscheidende Impulse. Nach einem Lotter Freistoß, den Sidney herausgeholt hatte, landete der Ball im hohen Bogen bei Czyszczon. Der köpfte direkt nach links auf den dritten ehemaligen Rot-Weißen Pagano. Mühelos zog der an Stachnik vorbei und passte von der Torauslinie in die Mitte, wo Florian Dondorf nur einzuschieben brauchte.

RWE versuchte es weiter, doch effektiver war Lotte. Dennis Bührer klärte in höchster Not vor Marcus Fischer (32.). Der Mittelstürmer bereitete später aber clever das 2:0 vor. Wieder kam Lotte über links, Gersch lief aufs Tor zu, Doppelpaß mit Fischer im Strafraum, Abspiel auf Benjamin Wingerten, der ähnlich frei stand wie Dondorf bei dessen Führungstreffer. „Dieses war der zweite Streich”, hallte es süffisant aus den Stadionlautsprechern.

Mike Wunderlich traf kurz vor dem Pausenpfiff noch aus 22 Metern den Pfosten. Ein Hoffnungsschimmer? Weit gefehlt. Lotte holte mit ersten Angriff eine Ecke heraus. Der abgewehrte Ball erreichte Sidney, der Fischer auf der anderen Seite bediente. Die Rot-Weißen waren fahrlässig aufgerückt, so dass Fischer freistehend das 3:0 erzielte. Die Entscheidung.

„Danach konnte es nur um Schadensbegrenzung gehen”, meinte RWE-Trainer Ralf Aussem. Auch die gelang nicht. Als erst Turgul Aydin die Latte traf (79.), Sekunden später Mölders den Pfosten und Dirk Heinzmann aus fünf Metern den Ball fast ebenso weit übers Tor drosch, war's dann auch allen RWE-Fans klar.

SF Lotte - Rot-Weiß 3:0 (2:0)

RWE: Maczkowiak – Broniszewski (55. Aydin), Herzig, Zinke, Bührer – Neumayr (41. Schnier), Wunderlich, Neubauer, Lemke (57. Heinzmann) – Stachnik, Mölders.

Schiedsrichter: Günter Perl (Pullach). Zuschauer: 2904.

Tore: 1:0 Dondorf (8.), 2:0 Wingerter (35.), 3:0 M. Fischer (47.).

Trainerstimmen

Ralf Aussem (RWE): Dass die Enttäuschung groß ist, kann sich jeder vorstellen. Wir sind mit großen Erwartungen angereist und haben in den ersten Minuten deutlich gemacht, was wir wollten. Lotte hat aber dann unsere Schwächen vor allem auf der rechten Seite aufgedeckt. Wir haben es dem Gegner durch individuelle Fehler leicht gemacht. Lotte hat sehr diszipliniert und gut gestanden. Wir waren nicht in der Lage dagegenzuhalten.

Maik Walpurgis (Lotte): Wir wussten, dass Essen das Spiel machen musste und hatten es dadurch etwas einfacher. Wir haben gut und stabil gestanden. Es war aber ein enges und schwieriges Spiel auf hohem Niveau gegen eine hervorragende Essener Mannschaft. Das Ergebnis täuscht ein wenig über den wahren Verlauf hinweg, denn vom Chancenverhältnis war es fast ausgeglichen. Aber insgesamt geht unser Sieg schon in Ordnung.