Essen. Rot-Weiss Essen kann nicht langweilig. Auch 2023 war vollgepackt mit Aufregern - vor allem das erste Halbjahr hatte es in sich. Ein Rückblick.

Als die Veranstaltung beendet war, wurden die Stauder-Kästen rausgeholt. Die Katastrophe war endgültig vergessen an diesem 19. November in der späten Mittagszeit. Die Funktionäre von Rot-Weiss Essen stießen an, die Erleichterung war ihnen anzusehen. Alles ist gut ausgegangen für den Vorstand um den Vorsitzenden Marcus Uhlig und den Aufsichtsrat um André Helf. 147 Tage vorher sah das noch ganz anders aus.

Es war der 19. Juni, es sollte der größte Aufreger des Jahres bei Rot-Weiss Essen werden: die Jahreshauptversammlung. Marcus Uhlig präsentierte ein Finanzloch in Millionenhöhe, das für die anwesenden Mitglieder aus dem Nichts kam. Schlecht vorbereitet war die Veranstaltung, schlecht organisiert. Es schaukelte sich etwas hoch, die Stimmung im Saal war verheerend. Als der Aufsichtsrat entlastet werden sollte, wurde die Veranstaltung abgebrochen. Fehlte nur noch, dass Bierflaschen auf die Bühne geworfen worden wären.

Rot-Weiss Essen: Denkwürdige JHV im Juni

Rot-Weiss Essen wirkte anschließend angeschlagen, ausgezehrt von einem turbulenten ersten Halbjahr, von dieser explosiven Jahreshauptversammlung. Die JHV, die Uhlig und Helf später als „Katastrophe“ bezeichneten, war nicht der einzige Aufreger des Jahres.

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Am 19. Januar überfielen Personen, von denen einige den Fanszenen von RWE und Borussia Dortmund zugeordnet werden konnten, Fans des FC Schalke 04. Diese befanden sich frühmorgens auf einem Parkplatz, mehrere Busbesatzungen wollten zu einem Auswärtsspiel fahren. Mindestens 100 Gewaltbereite prügelten auf die Schalker ein. Vier Personen sind bei der Massenschlägerei schwer verletzt worden, ein Busfahrer wurde Opfer der Attacken. Er wurde mit einem Totschläger angegriffen und kollabierte vor Ort.

RWE und Marcus Uhlig verurteilten den Überfall „aufs Schärfste. Gewalt und Brutalität – das ist nicht mit den Werten vereinbar, für die Rot-Weiss Essen und hinter denen die Hafenstraßen-Familie steht. Wir wehren uns eindringlich dagegen, dass die Personen, die solche Taten begehen, sich selbst als Fans oder Unterstützer von RWE bezeichnen!“ Beschämend. Wieder einmal stand Rot-Weiss Essen wegen des Fehlverhaltens einiger weniger Personen im Fokus.

Flüthmann und Steegmann übernehmen für Nowak

Sportlich lief es im Frühjahr ebenfalls alles andere als zufriedenstellend. Die Mannschaft blieb zwar beständig über dem Strich, hangelte sich von Punkt zu Punkt, ohne zu begeistern, im Gegenteil. Eine Entwicklung war nicht zu erkennen, der Frust wuchs. Schließlich trennte sich Rot-Weiss von Aufstiegs-Sportdirektor Jörn Nowak. Auch das: kam überraschend. Am 13. April machte die Mitteilung, dass Nowak gehen muss, die Runde. Christian Flüthmann und Marcus Steegmann, der kurz zuvor als Chefscout verpflichtet worden war, übernahmen die Aufgabenfelder von Nowak und teilen sich diese seitdem.

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Jörn Nowak führte RWE aus der Regionalliga in die Dritte Liga. Viele seiner Personalentscheidungen waren richtig, aber nicht alle. Auffassungen zur zukünftigen Ausrichtung seien zu unterschiedlich gewesen, teilte der Klub mit. Man trennte sich daher, „im Guten“. Soweit die offizielle Version, allerdings wirkte Nowak bisweilen dünnhäutig, vor allem nach streitbaren Entscheidungen. Die Entlassung von Ex-Trainer Christian Neidhart, die Kapitäns-Affäre um Dennis Grote - nicht immer machte er eine souveräne Figur. Intern soll die Zusammenarbeit mit Nowak schwierig gewesen sein.

Musste Rot-Weiss Essen im Frühling verlassen, inzwischen Trainer bei Rot-Weiß Oberhausen: Jörn Nowak.
Musste Rot-Weiss Essen im Frühling verlassen, inzwischen Trainer bei Rot-Weiß Oberhausen: Jörn Nowak. © ffs | Thorsten Tillmann

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Die Trennung sorgte zunächst nicht dafür, dass es ruhiger wurde. Im April hatte RWE den Klassenerhalt noch nicht gesichert. Weitere personelle Entscheidungen wurden getroffen, die nicht jedem gefielen. Simon Engelmann, Oguzhan Kefkir und Felix Herzenbruch erhielten keine neuen Verträge. Die Zeit der Fanlieblinge sollte bei RWE also nach der Saison 2022/23 enden. Richtig, da etwas Neues entstehen muss, oder falsch, da die Aufstiegshelden RWE auf und neben dem Platz so vorbildlich repräsentieren? Kontrovers wurde darüber diskutiert.

Der Druck stieg und zwar auf Trainer Christoph Dabrowski - zumindest extern. Die Verantwortlichen waren von ihm überzeugt, aber nicht jeder Fan teilte diese Nibelungentreue. Der Trainer selbst gab öffentlich phasenweise eine unglückliche Figur ab. Man merkte, wie sehr das Pulverfass RWE an seinem Nervenkostüm zerrte. Nach der Niederlage in Meppen, angesprochen auf Fankritik, sagte er sinngemäß, dass er sich nicht jede Woche vor „den 200“ rechtfertigen wolle. Eine Aussage, die für Teile der aktiven Fanszene einen Affront darstellte, die Fronten verhärteten sich. In der Kurve machten einige anschließend gegen den Trainer mobil.

„Dabrowski raus“-Rufe - er durfte bleiben und überzeugt

Das gipfelte in einem bemerkenswerten Schauspiel: Bei der Heimpartie gegen 1860 München am 14. Mai wurde auf der West ein großes „Dabrowski raus“-Banner präsentiert, zudem wurden mehrere Dutzend Schals gezeigt, auf denen derselbe Schriftzug stand. Zeitgleich setzte es Pfiffe aus anderen Bereichen des Stadions als Reaktion auf den Protest. Die rot-weisse Fanszene war gespalten wie selten.

Seine Zeit endete im Sommer: Simon Engelmann. Foto: Thorsten Tillmann / FUNKE Foto Services
Seine Zeit endete im Sommer: Simon Engelmann. Foto: Thorsten Tillmann / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Thorsten Tillmann

Dabrowski und seine Mannschaft retteten sich schließlich - neben dem Platz und in der Liga. Der Klassenerhalt war wenige Tage später perfekt, zudem gewann RWE den Niederrheinpokal. Dabrowski blieb Trainer bei RWE und erhielt seine zweite Saison an der Hafenstraße. Die Sommerpause kam genau richtig, dachte man. Durchpusten, Akkus aufladen, die richtigen Schlüsse ziehen, so der Plan. Aber dann kam die Jahreshauptversammlung, in der alles kulminierte.

Uhlig schockierte mit den Geschäftszahlen. Helf hielt eine Rede, in der er Bezug auf die Jagdszenen im Februar und die massive Kritik aus Teilen der Kurve an Dabrowski nahm, dabei aber pauschalisierte. Das kam bei den anwesenden aktiven Fans wiederum überhaupt nicht gut an. Sie fühlten sich verschaukelt. „Dabrowski raus“-Rufe wurden auf der JHV vereinzelt angestimmt. Und dann wurde die Versammlung abgebrochen. Die Gräben schienen tief.

Es brauchte Wochen, Monate und harte Arbeit, bis sich die Funktionäre hinter den Kulissen und die sportlich Verantwortlichen das Vertrauen der Fans zurück erarbeitet hatten. Wie Sie das geschafft haben, lesen Sie im zweiten Teil unseres großen Jahresrückblicks, der an diesem Freitag auf waz.de und am Samstag in Ihrer gedruckten WAZ erscheint.

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