Essen. Zwei Sportdirektoren für Rot-Weiss Essen: Steegmann und Flüthmann managen den Verein gemeinsam. Ein Portrait: So tickt das neue Führungsduo.

Im Herbst 2020 treffen sich Marcus Steegmann und Christian Flüthmann zum ersten Mal. Der Sportdirektor von Viktoria Köln und der vereinslose Trainer tauschen sich aus und merken, dass sie eine ähnliche Vorstellung davon haben, wie ein Fußballverein geführt werden sollte. Sie schätzen sich.

Die Wege in diesem Geschäft sind mal gerade, mal kurvig, immer aber anders. Man sieht sich zweimal, mindestens, das ist eine der wenigen Konstanten in der schnelllebigen Branche.

Als Steegmann in diesem April als Chefscout bei Rot-Weiss Essen startet, ist Flüthmann einer der ersten, der ihm zu dieser Aufgabe gratuliert. Er ist inzwischen Chef des RWE-Nachwuchsleistungszentrums.

Rot-Weiss Essen: Steegmann und Flüthmann in der ersten Reihe

Wenige Tage danach trennt sich der Drittligist von Sportdirektor Jörn Nowak, und die Nachfolger sind in den eigenen Reihen gefunden: Marcus Steegmann und Christian Flüthmann. Plötzlich tragen sie zusammen die Verantwortung bei Rot-Weiss Essen, gleichberechtigt, können den Klub nach eigenen Vorstellungen formen.

Ein Duo leitet die Geschicke. Das ist ungewöhnlich, dafür braucht es Vertrauen, klare Absprachen und vor allem: eine Basis. Die ist vorhanden, wie Flüthmann betont: „Ich würde diese Doppelrolle nicht machen, wenn ich das Gefühl hätte, dass es nicht funktionieren würde.“

Die neuen RWE-Sportdirektoren Flüthmann und Steegmann im Interview:

Hier geht’s zu Teil eins – Abstiegskampf und Dabrowski.

Hier geht’s zu Teil zwei – Kaderplanung und auslaufende Verträge.

Sie haben die Aufgaben verteilt. Steegmann kümmert sich um Kaderplanung, Transfers, Scouting, während Flüthmann das große Ganze im Blick hat: Strukturen, Nachwuchs, Entwicklung des Gesamtvereins. „Es hilft uns allen, dass wir uns besser, flexibler und breiter aufstellen“, meint er.

In den ersten Tagen schauen sie sich alles genau an, um ein Gefühl für den Verein zu kriegen und eine gemeinsame Philosophie für RWE zu entwickeln. Flüthmann kennt den Klub schon aus der Perspektive des Nachwuchsleiters, für Steegmann ist alles neu.

Steegmann: Erst Profi, jetzt Funktionär

Der 42-Jährige entscheidet sich im Gegensatz zu fünf seiner Geschwister dagegen, Zahnarzt zu werden, und geht in den Profifußball. Er beginnt beim 1. FC Köln, Vater Bernd, übrigens auch Zahnarzt, sitzt dort jahrelang im Vorstand.

Für die Zweitmannschaften des BVB und HSV spielt Marcus, zudem für Vereine wie Unterhaching und Darmstadt. Eine passable Drittliga-Laufbahn. Nach der Karriere steigt er im Management von Viktoria Köln – unter den Fittichen des omnipräsenten Franz Wunderlich – ein. Vier Jahre arbeitet der Familienvater dort als Scout, Sportdirektor, Kaderplaner. Vom Spieler zum Funktionär, der klassische Weg, und nun folgt der nächste Schritt: von der, mit Verlaub, kleinen Viktoria zu RWE.

Flüthmann: Ein Quereinsteiger steigt auf

Christian Flüthmann muss schon mit 22 Jahren mit dem Kicken aufhören. Verletzung bei Victoria Clarholz, Amateurfußball im tiefsten Ostwestfalen. Er lernt Industriekaufmann, studiert Wirtschaft, führt sechs Jahre eine Werbeagentur, ist an Startups beteiligt, ehe er einen Cut macht. „Der Traum war schon immer da, mal im Fußball zu arbeiten“, sagt er.

Los geht sein Weg im BVB-Nachwuchs, Jugendtrainer ist er anschließend bei Arminia Bielefeld und beim VfL Osnabrück, dann ab nach England zu Norwich City. Unter dem heutigen Bundesliga-Trainer Daniel Farke arbeitet er als Analyst. Auf der Insel legt er seine Prüfung zum Fußballlehrer ab, gemeinsam mit Frank Lampard. 2019 die Rückkehr nach Deutschland, zu Eintracht Braunschweig. Zunächst Co-Trainer, anschließend Chefcoach, Entlassung nach einem halben Jahr.

„Nach meinem Aus als Trainer in Braunschweig hatte ich die Chance, wieder als Trainer zu arbeiten, aber ich habe gemerkt, dass ich Dinge nachhaltig entwickeln möchte“, sagt er. Die Anfrage von RWE kommt wie gerufen. Ende 2021 übernimmt er das NLZ. Ziele setzen und stetig überprüfen, so umschreibt der Quereinsteiger seine Arbeitsweise.

Der RWE-Vorsitzende Marcus Uhlig mit der neuen Sportlichen Leitung Christian Flüthmann (li.) und Marcus Steegmann
Der RWE-Vorsitzende Marcus Uhlig mit der neuen Sportlichen Leitung Christian Flüthmann (li.) und Marcus Steegmann © Rot-Weiss Essen | RWE

Was von seiner knapp zweijährigen Amtszeit im Nachwuchs hängen bleibt, ist vor allem der Abstieg der U19 aus der Bundesliga in dieser Saison. In Mustafa Kourouma hat es in den zwei Jahren nur ein Talent in die Nähe der Profi-Startelf geschafft. Keine Bilanz, die nach außen hin überragt. „Man darf nicht vergessen“, bemerkt Flüthmann, „wo das NLZ steht. Wir müssen uns als Gesamtverein etablieren und dann das NLZ mitziehen. Es ist noch nicht realistisch, dass wir jedes Jahr einen Spieler hochziehen.“ Die Jugendabteilung werde er weiter entwickeln, auch als Sportdirektor, „das ist ja klar“.

Hört man sich in der Szene um, verfestigt sich der Eindruck: Flüthmann achtet auf sich, ist extrem ehrgeizig, einmal in der Woche nimmt er morgens, wenn andere gerade in den Tag starten, Tennisunterricht. Auch Marcus Steegmann steht gern mit dem Schläger auf dem Court. Ein Match haben sie noch nicht vereinbart. Es gibt viel zu tun.

Das neue Führungsduo hat bei Rot-Weiss Essen viel zu tun

Der Kader für die Saison 2023/24 muss geplant, Strukturen und Abläufe müssen verbessert werden. Das braucht Zeit und Ruhe, beides gibt es an der notorisch überhitzten Hafenstraße nicht wirklich. Die Sportdirektoren standen bei einem Klub, der solch eine Wucht entfachen kann wie RWE, noch nicht in der ersten Funktionärsreihe.

Lesen Sie hier unseren Kommentar: Jörn Nowak hat bei RWE Vertrauen verspielt.

Marcus Steegmann hat sich bewusst dafür entschieden. Er wollte unbedingt bei einem Traditionsverein arbeiten. In Essen ist alles eine Dimension größer als in Köln. „Dort gab es weniger Zuschauer, die Medienlandschaft war anders, der Kreis der Verantwortlichen um Sportvorstand Franz Wunderlich kleiner. Auch die Fans spielen hier eine größere Rolle. Das muss man berücksichtigen. Hier etwas aufzubauen, treibt mich an“, sagt er, und ja: Für das Duo ist diese Aufgabe eine Riesenchance.

RWE will nicht ewig in der Dritten Liga bleiben, sondern nach oben. Gelingt dies, gewinnen auch die Manager an Ansehen. „Wir haben beide die Ambition, besser zu werden und wollen den Verein gestalten“, sagt Flüthmann.

Brennpunkte bei Rot-Weiss Essen:

Beide Funktionäre dürfen sich keine Ego-Show erlauben

Die Wörter „wir“ und „gemeinsam“ fallen im knapp anderthalbstündigen Gespräch mit dieser Redaktion oft. Keine Ego-Shows, sie sind ein Team, das ist die Botschaft des Tages. Der Eindruck, den sie in den ersten Tagen der Zusammenarbeit voneinander haben, sei super, heißt es unisono. Streitereien und Eitelkeiten können sie sich als Doppelspitze ohnehin nicht erlauben, das wissen sie.

Umso spannender wird es zu beobachten sein, wie die Zusammenarbeit in den nächsten Monaten funktioniert, was passiert, falls die Ergebnisse mal ausbleiben und es im rot-weissen Umfeld brodeln sollte. Behält Flüthmann seine Eloquenz bei, Steegmann seine Ruhe?

„Wir werden uns gut ergänzen“, glaubt der Neue, der von Köln nach Bergeborbeck pendelt, also viel Zeit zum Telefonieren hat. Christian Flüthmanns Nummer wird auf Taste liegen.