Essen. Essener Regionalligist verpflichtet zwei Tage nach Freistellung von Christian Titz den neuen Chefcoach. Ein Mann mit Teamgeist und klarer Kante.
Rot-Weiss Essen hat gut vorgearbeitet, und beide Seiten wollten offenbar nicht länger warten mit dem Vollzug, nachdem der Kandidat bereits am Donnerstag in den Medien als heißer Favorit gehandelt worden ist. Nur zwei Tage nach der Freistellung von Cheftrainer Christian Titz präsentieren die Rot-Weissen den Nachfolger: Christian Neidhart (51) vom SV Meppen soll den Essener Traditionsklub in die 3. Liga führen. Dorthin, wo er selbst herkommt.
„Christian Neidhart war seit unserem ersten Treffen unsere Wunschlösung als neuer Cheftrainer. Er hat in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit beim SV Meppen geleistet und genießt im Markt ein hohes Ansehen. Christian hat uns in intensiven Gesprächen mit seiner offenen, authentischen und überaus ehrgeizigen Art das Gefühl vermittelt, der richtige Trainer zu sein, um unseren eingeschlagenen Weg fortzusetzen und unsere ambitionierten Ziele zu erreichen“, so RWE-Sportdirektor Jörn Nowak.
Mit Klarheit zu den rot-weissen Zielen bekannt
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Vorstand Marcus Uhlig fügt an: „Zunächst einmal möchte ich mich im Namen von RWE ausdrücklich bei Vorstand und Geschäftsführung des SV Meppen bedanken. Gemeinsam haben wir sehr zielorientiert daran gearbeitet und es auch geschafft, eine für beide Vereine absolut vertretbare Lösung zu finden, den Wunsch von Christian Neidhart zu erfüllen, den SVM vor Vertragsende verlassen zu können, um neuer Cheftrainer von RWE zu werden. Insbesondere beeindruckt hat mich, mit welcher Klarheit und Unmissverständlichkeit er sich zu unseren Zielen bekannt hat. Mit ihm bekommen wir einen neuen Chef-Trainer, der ideal zur Hafenstraße passt.“
Der SV Meppen meldet auf der Vereinsseite: „SVM-Cheftrainer Christian Neidhart wird zum Ende der aktuellen Drittligasaison Anfang Juli 2020 den Verein auf eigenen Wunsch verlassen. Der 51-Jährige wird dann neuer Cheftrainer bei Rot-Weiss Essen (Regionalliga West). Vorstand und Geschäftsführung des SV Meppen zeigten sich überrascht und bedauern den Abgang.“
Sieben Jahre lang beim SV Meppen an der Seitenlinie
Seit sieben Jahren führt der Fußballlehrer die Geschicke beim Drittligisten SV Meppen, mit dem er gerade zum Saisonendspurt ansetzt. 2013 begann er dort in der Regionalliga als Sportlicher Leiter und übernahm wenig später auch den Trainerjob. Neidhart führte den Klub 2017 zum Aufstieg und wird nun ein Jahr vor Ablauf seines Vertrages an die Hafenstraße wechseln, um sich dort einer Herausforderung der ganz anderen Art zu stellen.
„Ich danke dem SV Meppen für sieben wirklich herausragende und erfolgreiche Jahre. Trotzdem ist für mich jetzt ein Zeitpunkt gekommen, voller Entschlossenheit und Motivation eine neue Herausforderung anzugehen“, sagt Christian Neidhart. „Wie Jörn Nowak und Marcus Uhlig sich von Beginn an um mich bemüht haben, war bemerkenswert. In unseren Gesprächen hatte ich vom ersten Moment an ein sehr gutes Gefühl und ganz schnell die maximale Überzeugung, dass das passt. Und darüber, welche positiven Emotionen allein der Name Rot-Weiss Essen auslöst, brauchen wir gar nicht weiterzureden. Da ist Vorfreude pur bei mir.
Ein Gegenentwurf von Vorgänger Christian Titz
Christian Neidhart hat zwar den gleichen Vornamen, aber er ist offenbar ein Gegenentwurf seines Vorgängers Christian Titz und nähert sich vom Naturell her wohl eher seinem Vorvorgänger Karsten Neitzel an. Wenn die RWE-Fans wissen wollen, was sie erwartet - bitte schön. Hier ein Auszug aus einem Porträt von Neidhart beim Internetportal Liga-Drei.de: „Christian Neidhart, Kind des Nordens durch und durch, verkörpert seine Region punktgenau: Ist herb, derb, kernig und vor allem klar. (...) Mit klarer Linie, klarer Kante, klaren Ansagen agiert er. Sagen alle, die mit ihm arbeiten. Oder ihn kennen.“
Klare Linie, aber gemeinsam, so hört es sich an. Und soll will es RWE. Man sagt Neidhart nach, dass er die Nähe zur Mannschaft sucht. Da findet sich auch schon mal ein Foto, wo er einen abgekämpften Spieler in den Arm nimmt. In Meppen brachte er sich auch beim Jugendleistungszentrum Emsland ein und kümmerte sich um das Scouting. Da kann dieser umtriebige Mann bei RWE ja gleich weitermachen.
Als Fußballer die Offensive lieben gelernt
Als Spieler suchte Neidhart die Offensive, der gebürtige Braunschweiger stürmte in der 2. Bundesliga für Eintracht Braunschweig und den VfL Osnabrück, und heute setzt er als Trainer auf Angriff. „Immer zusammenhalten, unberechenbar sein, ruhig auch mal richtig ekelig, vor allem aber mutig offensiv“, so wünscht er sich sein Team in Meppen. Mit dieser Marschroute passt er präzise ins Essener Anforderungsprofil und könnte sich damit auch schnell Freunde an der neuen Wirkungsstätte machen. Schließlich gilt es, an der Hafenstraße wieder eine bei der Konkurrenz gefürchtete Heimstärke zu entwickeln.
Ohne dem SV Meppen zu nahe zu treten, aber ein strahlender Vertreter seiner Zunft ist dieser Klub aus dem Emsland nicht, da muss sich Neidhart sicherlich umstellen, genau wie bei den Ansprüchen und Erwartungen, die bei RWE naturgemäß hoch sind. Umso bemerkenswerter ist jedoch seine Arbeit im Norden, denn angesichts der relativ bescheidenen Mittel, die ihm dort zur Verfügung stehen, ist das Ergebnis sehr ansehnlich. Der SVM belegt aktuell Rang zehn und ist mit neun Punkten Vorsprung auf einen Abstiegsplatz relativ sicher.
Ein Team aufbauen, das die Fans begeistert
Als er 2013 beim Regionalligisten SV Meppen als Sportlicher Leiter anheuerte, ging es dem Verein nicht besonders gut. Die Zuschauerzahlen sanken stetig, also wollte Neidhart ein Team aufbauen, das die Fans wieder begeistert. Und er betrachtet Meppen sogar als schlafenden Riesen. Nun ja, da war er vielleicht doch etwas zu euphorisch, denn in den 90ern, als der Klub noch in der 2. Bundesliga spielte, war der SVM Inbegriff von grauer Provinz.
Gleichwohl klagte Christian Neidhart bei Amtsantritt nicht, sondern packte an. Die Rahmenbedingungen beim damaligen Regionalligisten fand er gut. Und vor allem: Man habe nur selten die Chancen, bei einem Traditionsverein zu arbeiten, also gebe es auch nichts zu überlegen, sagte er damals. Und vielleicht ist das ja auch mit ein Grund, warum Neidhart in die Ruhrmetropole wechselt, wo er in Rot-Weiss eher einen schlafenden Riesen antrifft und eine starke, ambitionierte Mannschaft. Was aber den Druck für ihn auch nicht geringer macht.