Leipzig. Mittelstürmer, Außenverteidiger, Schweinsteiger: Bundestrainer Joachim Löw muss nach der erfolgreichen EM-Qualifikation einige Baustellen bearbeiten.
Alles käme dem Bundestrainer nicht so dramatisch vor, gäbe es diesen Robert Lewandowski nicht. Weil der aber am laufenden Band trifft, für den FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga und für sein Heimatland Polen, wird in Deutschland diskutiert, ob Joachim Löw denn nicht auch zwingend so einen Mittelstürmer benötige wie jenen Lewandowski. Derlei Debatten tragen nicht zur Erheiterung des 55-Jährigen bei, schließlich beschäftigen Löw nach dem rumpeligen 2:1-Sieg über Georgien und der damit verbundenen Qualifikation für die EM 2016 noch eine ganze Menge weiterer Fragen.
Wer soll die Tore in Frankreich schießen?
Der Sieg über den 110. der Weltrangliste war einer der qualvollsten der vergangenen Jahre. “Der Schnitt liegt jetzt bei sieben oder acht Chancen, die wir für ein Tor brauchen”, stöhnte der Bundestrainer. Marco Reus muss man im Gegensatz zu André Schürrle zugute halten, dass er sich diese Möglichkeit erspielt hat, sie aber in einem grotesken Maß an Schludrigkeit vergab. “Wir sind im Moment ein Boxer, der viele Treffer landet, aber nicht frühzeitig den K.o. schafft”, analysierte Löw die Kombinationsorgie seiner Spieler. Dass Bundesliga-Knipser wie Alex Meier (Frankfurt) und Daniel Ginczek (Stuttgart), ein in der Türkei nach seiner Form suchender Mario Gomez oder U-21-Talent Davie Selke auf den EM-Zug aufspringen, ist sehr unwahrscheinlich. Der Bundestrainer vertraut voll und ganz auf Thomas Müller und Mario Götze.
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Muss Löw seinen Spielstil ändern?
Das aufgeplusterte Teilnehmerfeld bringt EM-Gegner wie Albanien, Nordirland oder Island, die den Weltmeister wie auch Irland und Georgien mit einem Abwehrbollwerk empfangen werden. Statt nun einen Sturmbrecher “wie Horst Hrubesch” zu suchen, vertraut Löw auf das gepflegte Kurzpassspiel. Allerdings: Dieses verläuft ihm zu sehr durch die Mitte, “wir müssen auch mal auf den Außen entscheidend durchbrechen.” Möglich, dass Löw künftig Julian Draxler und Schalkes Senkrechtstarter Leroy Sané besondere Aufmerksamkeit schenkt.
Können die Bundesligaklubs dem Bundestrainer unter die Arme greifen?
Borussia Dortmund und den 1.FC Köln attackierte der Bundestrainer, weil diese Vereine ihre Außenverteidiger zu wenig offensiv schulen würden. Ein absurder Vorwurf, zumal die sonst so ruhmreiche DFB-Ausbildung selbst nichts Vielversprechendes auf diesem Sektor hervorgebracht hat und Matthias Ginter beim BVB eher im Zentrum als hinten rechts eingeplant ist. “Es ist dann auch etwas anderes, als wenn man gegen eine Wand anspielt”, bekam dieser besonders das lange Zeit destruktive Auftreten der Georgier zu spüren. “Matze und Jonas Hector kann ich keinen großen Vorwurf machen, weil sie es aus ihren Vereinen oder von ihrer Ausbildung her anders gewohnt sind zu spielen”, betonte Löw. Alternativen zu ihnen und Emre Can gibt’s jedoch kaum, auch wenn Bayern Münchens Brasilianer Rafinha seine Dienste angeboten hat.
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Wird Schweinsteiger noch einmal der Anführer sein?
Zweimal fehlte der verletzungsanfällige, aber oft so willensstarke Kapitän nun. Auch wenn Toni Kroos und Ilkay Gündogan in der Mittelfeldzentrale einen guten Job verrichtet haben, sieht Schweinsteiger seinen Weg in der Nationalelf noch nicht beendet: “Wir blicken auf die nächste Herausforderung”, teilte er am Montag mit, “ziemlich schnell nach unserem Triumph in Rio habe ich diese Motivation gespürt, wie sehr es mich reizt, den Erfolg in Europa zu bestätigen.” Das mag ja so sein, heißt aber nicht, dass der Man-United-Star noch einmal diese bedeutsame Rolle wie bei der WM einnehmen kann.
Ist der Weltmeister in dieser Form überhaupt ein EM-Titelkandidat?
Trainer und Team formulieren den vierten EM-Triumph nach 1972, 1980 und 1996 als Ziel. Allerdings: “So brauchen wir nicht nach Frankreich zu fahren”, polterte Jerome Boateng. Manuel Neuer ergänzte: “Wenn man nicht gewusst hätte, dass es Georgien ist, hätte man aufgrund der Chancen annehmen können, wir hätten gegen Italien oder Spanien gespielt.” Diese Gegner werden der Gradmesser für den DFB sein, mit mehr Kaltschnäuzigkeit ist der Titel ein realistisches Ziel. Mats Hummels wird deshalb nicht bange: “Ein Sieger-Team ist im September/Oktober nicht möglich.”