München/Dortmund. Das Verhältnis zwischen Bayerns neuem Trainer Thomas Tuchel und Borussia Dortmund ist geprägt von einem Zerwürfnis. Spielt das heute eine Rolle?
Frostige Gefühle vermitteln sie öffentlich schon eine ganze Weile nicht mehr, wenn es um Thomas Tuchel geht. Fachlich ist man ja immer überzeugt gewesen von „einem der besten und erfolgreichsten Trainer im europäischen Fußball“, wie ihn Edin Terzic, Trainer von Borussia Dortmund, am Freitag nannte. „Wir freuen uns, ihn morgen zu sehen.“ Auch wenn es vor sechs Jahren zum großen Knall kam, als sich tiefe Gräben auftaten zwischen Borussia Dortmund und Tuchel, die schließlich zu einer schmutzigen Trennung führten.
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Es war ein brisantes Kapitel Dortmunder Vereinsgeschichte, das noch um ein paar Seiten ergänzt werden dürfte. Heute (18.30 Uhr/Sky) trifft Tuchel mit seinem neuen Arbeitgeber Bayern München auf seinen alten, den BVB. Es geht um die Tabellenführung, Dortmund hat einen Punkt mehr als der Rekordmeister – die Bundesliga hofft auf einen Zweikampf bis Saisonende. „Das Spiel wird eine Signalwirkung haben“, sagte Tuchel.
Thomas Tuchel war beim BVB ein Versprechen auf eine große Zukunft
Mit einem neuen Hauptprotagonisten, der in der Länderspielpause auf unsägliche Weise auf den geschassten Julian Nagelsmann gefolgt war. Denn Thomas Tuchel war beim BVB ja mal ein Versprechen.
Die Hoffnung auf eine Ära nach einer Ära. Jürgen Klopp war 2015 nach sieben Jahren gegangen, aber doch nicht so richtig, was später noch zum Problem werden sollte. Was Tuchel bei seiner Vorstellung formulierte, klang visionär. Endlich wieder Aufbruchstimmung, nachdem die Mannschaft in vorangegangen Saison zwischenzeitlich ans Tabellenende abgestürzt war.
Und zunächst schien als rosig im schwarz-gelben Klub. Tuchel verpasste dem BVB eine neue Spielidentität. Mats Hummels grätschte in Höchstform, im Mittelfeld passte Julian Weigl, bis dahin ein unbeschriebenes Blatt im deutschen Oberhaus, mit beeindruckender Präzision. Ilkay Gündogan führte Regie, Henrikh Mkhitaryan wirbelte, Pierre-Emerick Aubameyang traf, wie er wollte. Der BVB sammelte meisterschaftswürdige 78 Punkte, die Bayern aber gigantische 88. Im Europa-League-Viertelfinale scheiterte man auf dramatische Weise (3:4) an Klopps FC Liverpool, das Pokalfinale ging später mit einer dicken Portion Bayern-Dusel an die Münchener.
Thomas Tuchel beim BVB im Ruhrpott - ein Widerspruch in sich
Thomas Tuchel beim BVB, das Versprechen wuchs. Zuneigung aber entwickelte sich nie. Tuchel, der eigenwillige wie hoch eloquente Taktiker, der eine asketische Lebensweise predigt, im bodenständigen Pott. Ein vermeintlicher Widerspruch, der sportlich zunächst hervorragend kaschiert worden war.
Aber schon bald wurde das Verhältnis zwischen Trainer und Klub zur Belastungsprobe. Tuchel kritisierte nach der Niederlage von Berlin Hummels öffentlich – zum großen Unverständnis der Mannschaft. Im Sommer verließen der Abwehrchef, Gündogan und Mkhitaryan den Klub – sehr zum Ärger Tuchels. Der nächste Ärger folgte mit Sven Mislintat. Tuchel legte in letzter Sekunde ein Transfer-Veto ein, was den Chefscout und die gesamte sportliche Führung um Michael Zorc erzürnte. Schließlich verbannte Tuchel den hochgeschätzten Mitarbeiter vom Trainingsgelände.
Es brodelte. Tuchel trat vermehrt öffentlich gereizt auf, attackierte die Mannschaft nach einer Niederlage in Frankfurt („technisch, taktisch, mental – ein einziges Defizit“) und die Klubführung nach einer Pleite beim Schlusslicht Darmstadt.
Zum endgültigen Bruch kam es im April 2017 aufgrund des Umgangs mit dem Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke machte einen Dissens zwischen ihm und Tuchel im Interview mit dieser Redaktion öffentlich. Trotz des Pokalsieges 2017 musste Tuchel gehen – die führenden Köpfe in der Kabine wie Marcel Schmelzer hatte der heute 49-Jährige da schon längst verloren gehabt. Da waren die lange ungeklärte Kapitänsfrage (Schmelzer oder Marco Reus) sowie die vielen Freiräume für den extravaganten Aubameyang.
Die BVB-Zeit lässt Thomas Tuchel heute kalt
„Es ist besser, wir lassen das ruhen, vor allem öffentlich“, lächelte Tuchel am Tag vor dem Spiel eine Frage zu seinem BVB-Abschied lässig beiseite. Das Verhältnis mit Watzke habe geruht, die Wogen hätten sich daher nun geglättet. „Mittlerweile ist das ausgeräumt.“
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Seiner Karriere schadete der Zwist nicht. Paris Saint-Germain führte Tuchel ins Finale der Königsklasse und wies nach, dass er auch Charaktere wie Fußball-Diva Neymar zähmen kann. Das Meisterstück gelang Thomas Tuchel mit dem FC Chelsea, den er nur ein halbes Jahr nach Amtsübernahme zum Champions-League-Titel führte. Beide Auslandsstationen allerdings endeten im Streit mit seinen Chefs. Auch an der Säbener Straße tummeln sich die Alphatiere. Seit Donnerstag vergangener Woche noch eins mehr.