Dortmund. Beim 2:2 des BVB gegen Sevilla sorgte der Video-Assistent für verrückte neun Minuten. In dieser Form macht er sich überflüssig. Ein Kommentar.

Manchmal lässt sich der Wahnsinn am besten beschreiben, indem man ihn in nüchternen Worten nacherzählt. Am Mittwochmorgen tickerten die Agenturen eine sekundengenaue Chronologie des Irrsinns, der sich am Abend zuvor im Champions-League-Achtelfinale zwischen Borussia Dortmund und dem FC Sevilla (2:2) abgespielt hatte.

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Und das machte die ganze Absurdität noch einmal deutlich. 47 Minuten und 22 Sekunden waren gespielt, als sich Erling Haaland wie die Urgewalt, die er nun einmal ist, durch den Strafraum wühlte und das 2:0 schoss. Oder besser: Das vermeintliche 2:0. Denn es meldete sich der italienische Video-Assistent Massimiliano Irrati beim türkischen Schiedsrichter Cüneyt Cakir, er wollte ein Foul Haalands gesehen haben.

BVB: Kein Tor - dafür Elfmeter

Zweieinhalb Minuten dauerte es nun, bis Cakir selbst die Entscheidung am Bildschirm überprüft hatte und zu einem Entschluss kam: Das Tor zählt nicht - und es gibt Elfmeter. Elfmeter? Um das zu erklären, musste man wiederum dreienhalb Minuten zurückspringen, als Haaland im Strafraum nach einem Trikotzupfer von Jules Kounde zu Boden gegangen war.

Haaland trat an, Haaland scheiterte an Torhüter Bono, das Spiel lief weiter - für 22 Sekunden. Dann meldete sich Irrati erneut: Bono hatte sich zu früh von der Linie nach vorne bewegt, der Elfmeter musste wiederholt werden. Also trat Haaland noch einmal an und traf.

Eine Erklärung wurde nicht geliefert

Die Anzeigetafel zeigte 55:05 Minuten an, als Cakir das Spiel mit dem Anstoß für Sevilla fortsetzen ließ. Seit dem Trikotzupfer im Strafraum waren 8:42 Minuten vergangen.

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Haben Sie bis hierhin den Überblick behalten? Wenn nicht, geht es Ihnen nicht besser als den Zuschauern an den Fernsehern und den Journalisten auf der Pressetribüne. Denn eine Erklärung für die verrückten Minuten von Dortmund bekamen sie nicht geliefert, sie mussten es sich anhand des Verhaltens der Akteure auf dem Rasen und einer spärlichen Einblendung auf der Anzeigetafel zusammenreimen.

Das Hilfsmittel Video wird ad absurdum geführt

Und das geht so nicht. Der Videoassistent ist ohnehin umstritten, seit er im Profifußball eingeführt wurde. Und das ist schade, denn die Technik hat schon viele gravierende Fehlentscheidungen verhindert. Nur eines von vielen Beispielen: Im Spitzenspiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund wäre ein glasklarer Elfmeter für die Bayern nicht gegeben worden, hätte der VAR nicht eingegriffen. Aber diese Positivbeispiele werden zunehmend überlagert von Fällen, in denen das Hilfsmittel Video durch absurde, falsche oder viel zu kleinliche Entscheidungen ad absurdum geführt wird.

In Dortmund zeigten sich gleich zwei Dinge, die fundamental schiefliefen. Zunächst die fachliche: Trotz VAR stand am Ende eine falsche Entscheidung. Man musste den Rempler von Haaland vor seinem Tor nicht als Foulspiel werten, und ebenso wenig den Zupfer am Norweger. Schiedsrichter Cakir hatte beide Szenen nachvollziehbar bewertet, der Video-Assistent hätte nicht eingreifen müssen. Warum er es doch tat und warum Cakir seine Meinung nach Ansicht der Bilder änderte, wird für immer ihr Geheimnis bleiben.

Die Kommunikation der Schiedsrichter ist unzureichend

Denn, das ist das zweite Grundproblem, das sich in Dortmund zeigte: Die Kommunikation der Entscheidungen ist absolut unzureichend. In der nordamerikanischen Football-Liga NFL greifen die Schiedsrichter bei Video-Entscheidungen zum Mikrofon und erklären erst in knappen, präzisen Sätzen, was überprüft wird - und anschließend, welche Entscheidung dabei herausgekommen ist. Warum sollte das mit Fußball-Schiedsrichtern nicht auch gehen.

Wollen die Verbände eine Grundsatzdiskussion über die Technik vermeiden, wollen sie die Akzeptanz des VAR wieder erhöhen - dann werden sie gar nicht anders können, als die Akzeptanz deutlich zu erhöhen.