Dortmund. Ginczek trifft mit Wolfsburg auf seinen Ex-Klub BVB. Im Interview verrät er, zu wem er von damals noch Kontakt hat und was er von dem Team hält.

Als Kind war Daniel Ginczek (27) Fan von Borussia Dortmund und schlief sogar in BVB-Bettwäsche. Doch den Durchbruch schaffte er bei Schwarz-Gelb nicht. Am Samstag (15.30 Uhr/Sky) trifft er mit dem VfL Wolfsburg auf seinen alten Klub – und kann ihn sogar von der Tabellenspitze schießen.

Herr Ginczek, wir sprechen mit einem Drecksack?

Daniel Ginczek: Das Zitat wurde ein wenig hoch gehängt (lacht).

Nach dem erkämpften Sieg gegen Fortuna Düsseldorf haben Sie gesagt: „Es ist geil, ein Drecksack zu sein.“ Warum?

Ginczek: Wir hatten gegen Bremen und Bayern versucht, viel spielerisch zu lösen, haben aber die Ergebnisse nicht geliefert und speziell die Bayern zu leicht an uns vorbeilaufen lassen. Wir wollten etwas härter auftreten, Zweikämpfe energischer führen.

Die Bad Boys aus Wolfsburg?

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Ginczek: Wir wollen nicht aus jedem Spiel mit fünf, sechs Gelben Karten herausgehen und schon gar niemanden verletzen. Aber wir wollen uns auch nicht vorwerfen lassen müssen, in manchen Momenten nicht die geforderte Aggressivität an den Tag gelegt zu haben. Wir sind keine Mannschaft, die nur über das Spielerische kommen kann. Wir hatten vor dem Düsseldorf-Spiel eine Phase mit sechs Spielen ohne Sieg, die den Druck erhöht hat. Aber wir wussten auch, dass wir die Qualität haben, dass wir wieder Spiele gewinnen werden. Die letzten beiden gewonnenen Partien haben uns gezeigt, wie wir die Spiele angehen müssen. Bis jetzt war es eine gute Woche.

Wie fällt die persönliche Bilanz nach vier Monaten Wolfsburg aus?

Ginczek: Ich bin mit zwei Toren in den ersten beiden Spielen in die Saison gestartet und hätte ehrlicherweise die Erwartung gehabt, dann direkt mehr zu spielen. Aber ich habe offene Gespräche mit dem Trainer geführt, die sehr gut waren. Ich hatte daher nie das Gefühl, hinten dran zu sein. Ich habe ja alle Spiele gemacht, die letzten beiden von Anfang an. Wir haben beide gewonnen, keine Gegentore kassiert, fünf Tore geschossen. Jetzt hoffe ich, dass ich mich in der Startelf festbeißen kann.

Gegen Düsseldorf waren Sie mit 27 Jahren der älteste Wolfsburger auf dem Platz. Fragen Sie sich manchmal, wo die Zeit geblieben ist?

Ginczek: Ich denke, dass jeder gern nochmal 18 sein würde (lacht). Aber ich bin nicht alt, ich bin in einem sehr guten Fußballeralter und hoffe, dass ich noch ein paar gesunde Jahre vor mir habe. Aber mit der Zeit wächst die Erfahrung, man tauscht die Rolle des Talents, das zeigen will, was es kann, mit der Rolle des Führungsspielers, der den jüngeren Spielern versucht zu helfen, der versucht Erfahrungen weiterzugeben und Verantwortung zu übernehmen.

Als Talent verließen Sie einst den BVB. Kann der VfL den Spitzenreiter stoppen?

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Ginczek: Dortmund hat eine sehr, sehr gute Phase und spielt gerade den attraktivsten Fußball der Liga. Diese Mannschaft steckt voller Qualität. Für mich ist der BVB immer ein geiler Gegner, weil ich dort gespielt habe und meine ersten Schritte im Profi-Fußball machen durfte. Ich freue mich darauf, auch wenn es kein einfaches Spiel wird. Aber auch wir haben jetzt Selbstvertrauen getankt.

Mit wem vom BVB haben Sie noch Kontakt?

Ginczek: Den besten Kontakt habe ich zu denen, die schon weg aus Dortmund sind: Mats Hummels, Nuri Sahin, Neven Subotic. Aber mit Marcel Schmelzer, Mario Götze und Lukasz Piszczek habe ich damals zusammengespielt, mit Jacob Bruun Larsen in der vergangenen Saison beim VfB Stuttgart.

Mit Götze spielten Sie schon in der BVB-Jugend zusammen. Wie verfolgen Sie ihn?

Ginczek: Er hatte keine leichte Zeit und es ist viel auf ihn eingeprasselt in den vergangenen Monaten und Jahren. Man darf nicht vergessen: Er ist erst 26 und hat schon so viel erreicht. Es ist wichtig, ihn machen zu lassen und die Ruhe zu bewahren. Man hat zuletzt wieder gesehen, wie gut er sein kann und immer noch ist. Es gibt keinen Grund, an seiner Qualität als Fußballer zu zweifeln. Und wenn er die Ruhe und Zeit bekommt, dann wird er die Liga auch wieder begeistern. Ich habe damals in der A- und B-Jugend gesagt: Wenn der kein Profi wird, dann höre ich auf mit Fußballspielen. Das haben andere auch gesagt. Und jetzt stehen wir uns in der Bundesliga gegenüber. Darauf freue ich mich.

Ist der Umgang mit ihm bisweilen etwas zu rüde oder ist das einfach das Profigeschäft?

Ginczek: Beides. Kritik gehört dazu, weshalb es gut ist, sich ein dickes Fell anzulegen in dem Business. Aber manchmal ist es schon rüde. Auf Mario bezogen heißt das: Nach den Erfolgen lag die Messlatte wahnsinnig hoch. Aber es gelingt nur ganz wenigen Spielern im Weltfußball, solche Top-Leistungen über Jahre konstant abzurufen.

Wie machen Sie sich frei von öffentlichen Meinungen über Sie?

Ginczek: Ich habe mir abgewöhnt, alles über mich lesen zu wollen. Als ich jung war, wollte ich alles über mich wissen. Aber ich bin mittlerweile Familienvater. Wenn ich nach Hause komme, habe ich gute Gründe, mich vom Fußball zu lösen. Ich schaue auch eher wenig Fußball, weil ich Abstand davon brauche, um abschalten zu können. Mittlerweile bin ich alt genug, meine Leistungen gut einschätzen zu können.

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Der BVB suchte im Sommer einen Stürmer. Schaut man da einmal mehr aufs Handy in der Zeit?

Ginczek: Ich habe eine BVB-Historie, klar. Wenn der Jugendverein einen Stürmer sucht und man sich in der Sommerpause gerade in der Heimat befindet, dann verfolgt man das sicher nochmal anders. Aber ich habe nicht darauf gehofft oder darauf gewartet, dass sich jemand vom BVB meldet. Und als dann die Gelegenheit auftauchte, zum VfL zu gehen, war für mich klar, dass ich das machen will – egal, wer noch anruft.

Paco Alcácer ist der Angreifer, der nun nach Dortmund kam und in vier Ligaspielen sieben Tore erzielt hat. Was denken Sie als Berufskollege über ihn?

Ginczek: Am Anfang habe ich gedacht: Okay jetzt macht er mal ein Tor oder zwei. Aber dann habe ich glaube ich irgendwo gelesen, dass seine ersten zehn Torschüsse nach dem Wechsel direkt ein Tor waren – inklusive der Nationalmannschaft. Das ist eine brutale Quote und ein brutaler Lauf. Mich freut es für den Jungen, er kommt von einem großen Verein und hatte einen gewissen Druck, weil sich der BVB etwas von ihm versprach. Und dann so einzuschlagen, ist natürlich richtig geil. Es ist klasse, dass wieder ein guter Stürmer in der Bundesliga angekommen ist. Man will sich ja immer mit und an den Besten messen. Alcácer darf gern so weiter treffen – nur nicht am Samstag.

Die Stürmer der Liga ist ein gutes Stichwort, schließlich gibt es schon lang die Debatte, wo eigentlich die klassischen Stürmer geblieben sind, von denen man vor ein paar Jahren noch glaubte, man bräuchte Sie nicht mehr. Was denken Sie über diese Diskussion?

Ginczek: Wenn man sich in der Bundesliga umschaut, dann spielen gefühlt in 15 Mannschaften vorne drin gelernte Mittelstürmer, die mit dem Rücken zum Tor gut sind. Also kann es so verkehrt nicht sein. Es gibt eben nicht nur Spiele, in denen man fein hinten rauskombiniert, sondern auch solche, in denen man auch mal lange Bälle schlägt. Da braucht man einen großen Mittelstürmer, der den Ball halten kann, der eine Präsenz im Strafraum hat. Für mich gab es diese Diskussion deshalb nicht und ich habe auch nicht verstanden, dass sie geführt wird, nur weil Barcelona mal erfolgreich mit einer falschen Neun gespielt hat.

In der Nationalmannschaft fehlt schon lange ein klassischer Stürmer.

Ginczek: Dass wir nicht die gleiche Anzahl an guten Stürmern wie an guten Torhütern haben, sieht ja jeder. Es fehlt an Qualität, vor allem in der Breite. Das Problem bei Stürmern ist, dass sie extrem an Toren gemessen werden. Oft sieht die breite Öffentlichkeit nicht, was ein Stürmer leisten muss für eine Mannschaft. Er geht viele Wege, muss nach hinten arbeiten, ist der erste Verteidiger und die erste Anspielstation. Deswegen werden Stürmer zu oft nur an Toren gemessen. Andererseits ist das natürlich auch wichtig: Ein Stürmer muss Tore schießen, tut er es fünf, sechs Spiele lang nicht, dann ist er plötzlich ein schlechter Stürmer. Konstanz in Toren ist immer das wichtigste Ziel, auch für mich.

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Zuletzt debütierten Nils Petersen und Mark Uth in der Nationalelf. Petersen ist 29, Mark Uth 27 Jahre alt. Sie sind ebenfalls 27. Schlummert dieser Traum noch in Ihnen?

Ginczek: Natürlich hat jeder den Traum, für sein Vaterland zu spielen. Aber ich muss auch realistisch sein: Nach neun Spieltagen und zwei Pokalspielen habe ich vier Spiele von Beginn an gemacht. Da kann ich nicht von der Nationalmannschaft reden. Ich will versuchen, mich in Wolfsburg durchzusetzen. Für mich ist das Wichtigste, dass ich gesund bleibe, dass ich auf meine Spiele komme. Ich merke jetzt, dass ich fit bin, dass ich marschieren kann auf dem Platz. Wenn dann die Quote irgendwann stimmt, dann kann es nochmal ein Thema werden. Die Nationalmannschaft bleibt ein Ziel – aber sie hat nicht oberste Priorität.

Sie waren in Ihrer Karriere dreimal schwer verletzt: Auf zwei Kreuzbandrisse folgte ein Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule. Sie tragen seitdem ein Stück Titan im Rückgrat. Sie waren damals schon im Dunstkreis der Nationalmannschaft. Erwischen Sie sich manchmal bei dem Gedanken, was ohne diese Verletzungen möglich gewesen wäre.

Ginczek: Natürlich habe ich mich schon mal gefragt, welche Karriere ich gemacht hätte und ob ich Nationalspieler wäre, wenn diese Dinge nicht passiert wären. Wozu es hätte reichen können? Aber man kann es nicht mehr beeinflussen, ich gucke nicht mehr zurück Ich habe mich zweimal zu einem blöden Moment verletzt. Wichtig war aber, wie ich mich da rausgekämpft habe. Das hat meinen Charakter verändert.

Was heißt das?

Ginczek: Dass ich versuche, demütig und dankbar zu sein, für das, was man hat. Und dass manches, über das man sich ärgert, so wichtig nicht ist. Ich hatte wirklich schwere Phasen, in denen ich ein Jahr lang nicht Fußball spielen konnte. Und ich weiß noch genau, wie schlecht es mir in diesen Phasen ging, wie schlecht meine Laune war und wie oft meine Frau mich damit ertragen musste. Man sieht die Welt mit anderen Augen, wenn man das hinter sich hat.