Braunschweig. Das Bundesliga-Derby zwischen Hannover 96 und Eintracht Braunschweig schlägt schon vor dem Anpfiff hohe Wellen. Leider nicht nur Sportliche. Die Polizei befürchtet heftige Ausschreitungen zwischen den Fans der Traditionsvereine. Im Interview mit der Braunschweiger Zeitung sprachen Eintrachts Präsident Sebastian Ebel und 96-Boss Martin Kind über das Derby, das Verhältnis beider Klubs und den Umgang mit Niederlagen.

Vereinbart waren ursprünglich 30 Minuten. Letztendlich nahmen sich Sebastian Ebel und Martin Kind jedoch mehr als eine Stunde lang Zeit, um über das Niedersachsen-Derby am Freitag zu sprechen. Der Chefredakteur der Braunschweiger Zeitung Armin Maus und Sportredakteur Christian Schiebold erlebten im Interview zwei Vereinspräsidenten, deren Verhältnis von gegenseitigem Respekt geprägt ist, wenngleich sie bei vielen Themen unterschiedlicher Meinung sind.

Herr Ebel, Sie haben einmal gesagt, dass Ihnen zwei Spiele der Eintracht-Geschichte besonders in Erinnerung geblieben sind. Das Europapokal-Spiel gegen Kiew 1977 und der Pokalsieg gegen Hannover 2003. Warum hat sich ausgerechnet diese Partie bei Ihnen ins Gedächtnis gebrannt?

Ebel: Wir haben damals in der Regionalliga gespielt, leider nicht besonders erfolgreich. Im Grunde genommen waren wir damals ganz unten. Wenn man dann mit Hannover 96 einen Erstligisten aus der Nachbarschaft zugelost bekommt, dann ist das ohne Frage ein absolutes Highlight. Und dann haben wir dieses Spiel auch noch völlig überraschend 2:0 gewonnen. Ich hatte damals einige Kollegen aus Hannover eingeladen und ausgemacht, dass der Gewinner einen ausgibt. Das wollte ich auch machen, aber die Kollegen waren nach Spielende ganz schnell verschwunden.

Sie, Herr Kind, denken sicherlich nur ungern an besagte Partie zurück, oder?

Kind: Ach, wissen Sie: Es war ein Spiel, und wir haben es verloren. Nicht mehr und nicht weniger.

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Hat also scheinbar keinen bleibenden Schaden hinterlassen?

Kind: Bei mir zumindest nicht. Aber ich weiß natürlich, dass unsere Fans nach so einer Niederlage ganz besonders leiden. Und auch für die seinerzeit verantwortlichen Trainer war es anschließend eine schwere Zeit.

Am heutigen Freitag sind die Rollen eigentlich klar verteilt, wenn auch nicht ganz so klar wie 2003.

Ebel: Hannover ist in meinen Augen der ganz klare Favorit, keine Frage. Mir ist deshalb auch besonders wichtig, dass das Spiel in seinem Ergebnis nicht überbewertet wird.

Für Hannover käme eine Niederlage gegen den Aufsteiger aus der Nachbarschaft einem Weltuntergang gleich, oder Herr Kind?

Spieler bewerten

Wer war gut, wer hat versagt. Die Leistungen der Bundesliga-Spieler können an jedem Spieltag online bewertet werden. Das System orientiert sich an den Schulnoten: Eins heißt „sehr gut“, Sechs bedeutet „ungenügend“. Die Bewertung ist für jede Partie bis zum Beginn des nächsten regulären Spieltags zum Tageswechsel, in der Regel von Donnerstag auf Freitag, möglich. Hier geht es zu dem Player-Voting der Braunschweiger-Zeitung.

Kind: Unter dem Aspekt der Tradition betrachtet sind die Erwartungen unserer Fans aber ohne Frage sehr hoch. Und man muss es offen sagen: 96 ist der Favorit in dieser Partie – trotz unserer aktuellen Schwierigkeiten. Sollten die Erwartungen der Fans nicht erfüllt werden, wird es in Hannover sehr unruhig. Objektiv bewertet aber ist auch die Partie gegen Braunschweig nur eins von siebzehn Heimspielen.

Ebel: Das kaufe ich Ihnen nicht ab, Herr Kind. Hannover hat noch eine Rechnung mit uns offen.

Kind: Nein, haben wir nicht. Wirklich nicht. Die Vergangenheit ist abgeschlossen. Natürlich wollen wir gewinnen, aber das ist doch jede Woche der Fall. Ich bin bei diesem Thema nicht sonderlich emotional.

Ebel: Dann haben Sie die Gnade der größeren Gelassenheit. Ich bin da schon eine Spur emotionaler. Was aber vielleicht auch damit zu tun hat, dass wir in Braunschweig aufgrund der historischen Dimension eine besondere Situation vorfinden. Das Land Braunschweig gibt es schließlich nicht mehr, es ist seinerzeit in dem Land Niedersachsen aufgegangen. Das ist so eine Art Asterix-Obelix-Gallier-Syndrom, das bei uns in Braunschweig sehr stark ausgeprägt ist.

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Kind: Ich bin jemand, der sehr zukunftsorientiert denkt. Die Historie, die Gründung des Landes Niedersachsen, ist für mich Vergangenheit. Dieses Thema ist für mich so fremd, dass ich damit gar nicht umgehen kann. Und ich behaupte mal: Viele Fans, egal ob in Hannover oder in Braunschweig, können mit dieser Geschichte gar nichts mehr anfangen. Die meisten von denen sind doch erst 20. Ich verstehe gar nicht, wie man so etwas pflegen kann. Wir pflegen mit Braunschweig eine sportliche Rivalität, mehr aber auch nicht.

Hannovers Präsident hofft auf "tolles Spiel, ohne Gewalt, ohne Pyrotechnik" 

Unser Leser Olaf Klein fragt, wie man verhindern kann, dass einige „Hirnlose“ gerade solch ein Derby nutzen, um ihre Gewaltexzesse auszuleben und so dem deutschen Fußball noch mehr schaden?

Ebel: Eine hohe sportliche Rivalität geht zwangsläufig mit einer großen Emotionalität einher, das ist ja auch völlig okay. Es ist allerdings völlig inakzeptabel, dass Menschen ihren Lebenssinn darin sehen, andere zu verunglimpfen oder Gewalttaten auszuüben. Aber das ist auch nur ein ganz kleiner Teil der Zuschauer. Ich hoffe, dass die Vernunft bei den restlichen 99,9 Prozent so groß ist, dass sie nicht auf den Zug mit aufspringen. In den letzten Monaten hatte ich immer den Eindruck, dass unsere Fans uns auf diesem Weg unterstützen und anerkennen, was uns wichtig ist: Dazu gehört, dass man in Hannover, genau wie unlängst in Wolfsburg, ordentlich auftritt, nicht provoziert und sich auch nicht jede Provokation anzieht, die kommen mag.

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Von Stefan Reinke und Anton Kurenbach

Kind: Ich freue mich auf das Spiel, bedauere aber, dass es kritische Umstände geben könnte. Ich hoffe einfach, dass die Fans mal auf die Idee kommen und allen beweisen: Es wird ein tolles Spiel, ohne Gewalt, ohne Pyrotechnik. Es wäre toll, wenn die Fans mal das Gegenteil dessen tun würden, was alle von ihnen erwarten – und sich einfach mal darauf beschränken, ihre Mannschaft zu unterstützen.

Herr Kind, der VfL Wolfsburg musste nach der Niederlage gegen Eintracht Hohn und Spott der eigenen Fans über sich ergehen lassen. Haben Sie die Befürchtung, dass Ihrer Mannschaft im Falle einer Derby-Niederlage ähnliches blüht?

Kind: Ja, das würde schon zu gewissen Reaktionen führen. Deshalb empfehle ich der Mannschaft ja auch, nicht zu verlieren (lacht).

Haben Sie die Hoffnung, dass Ihre Mannschaft durch die Wolfsburger Niederlage womöglich für das Derby gegen Braunschweig sensibilisiert wurde?

Kind: Meine Befürchtung ist, dass diese ganze Situation die Mannschaft paralysiert. Weil sie glaubt, sie müsse unbedingt gewinnen. Da laufen im Unterbewusstsein Dinge ab, die am Ende zu einer Niederlage führen könnten. Mir scheint diese ganze Diskussion überhöht, das kann kontraproduktiv auf die Mannschaft wirken. Fakt ist: Wir brauchen Erfolgserlebnisse, mir ist es egal, wo die herkommen.

Braunschweig zeichnet sich durch Ruhe in der Führung aus 

Herr Ebel, Sie sind gebürtiger Braunschweiger – und arbeiten in Hannover. Es gibt sicherlich Angenehmeres für einen Eintracht-Präsidenten, oder?

Ebel: Wir haben einige Braunschweiger hier in der Firma, aber 95 Prozent drücken natürlich Hannover die Daumen. Bei einer Eintracht-Niederlage muss man den Montag mal durchstehen, und den Dienstag auch noch. Aber da gibt es keine Häme, ganz im Gegenteil: Da wird man eher wieder aufgebaut.

Unser Facebook-User Oliver Rangosch möchte wissen, ob Sie der Eintracht überhaupt den Klassenerhalt wünschen oder den Klub lieber wieder in Liga 2 sähen?

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Kind: Ich freue mich, dass Eintracht wieder da ist. Wirklich. Deshalb habe ich im Frühjahr zum Aufstieg auch eine Anzeige geschaltet, für die ich hier in Hannover durchaus kritisiert wurde. Aber das war meine tiefste Überzeugung. Fußballmärkte kann man nur gemeinsam entwickeln, das schafft einer alleine nicht.

Ebel: Das sehe ich genau wie Herr Kind. Deshalb habe ich mich auch gefreut, welche Entwicklung Hannover 96 in den vergangenen Jahren genommen hat. Es ist gut für Norddeutschland, wenn wir der Süd- oder Westdominanz im deutschen Fußball entgegentreten können. Zumal ich auch genug Eintracht-Fans kenne, die in der Vergangenheit zum Nachbarn nach Westen oder Osten gefahren sind, um Europa-League-Spiele zu gucken.

Im Sommer haben Sie, Herr Kind, Ihrem Kollegen Ebel in einem Interview geraten, etwas mehr in die Mannschaft zu investieren.

Kind: Das war ja nur ein Gedanke, der aus eigener Erfahrung entstanden ist. Weil ich weiß, welche Probleme Aufsteiger haben. Ich war – und bin immer noch – der Auffassung, dass ein paar extensivere Entscheidungen hilfreich gewesen wären. Aber die Braunschweiger Strategie ist zu akzeptieren. Und ich finde es gut, dass die Fans dahinter stehen, dass Ruhe in der Führung und im Umfeld ist, weil alle wissen, dass das Delta zwischen der 1. und 2. Liga groß ist. Und zwar um einiges größer als vor 13 Jahren, als wir aufgestiegen sind. Damals war es schon schwer, aber noch leichter als heute, die Klasse zu halten. Im ersten Jahr war unser Haushalt noch geringer als der derzeitige in Braunschweig. Aber wenn die Eintracht einige Jahre in der 1. Liga ist, dann wird sie auf unserer Augenhöhe sein.

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Ebel: Ich kann mich noch gut erinnern, dass Herr Kind gesagt hat, wir müssten stärker investieren. Die aktuelle Tabellensituation mag ihn in dem, was er gesagt hat, bestätigen. Aber wir haben immer gesagt, dass wir uns wirtschaftlich nicht in Schwierigkeiten bringen werden. Die Möglichkeiten, die wir haben, haben wir weitestgehend genutzt. Und die Spiele gegen Schalke und Leverkusen haben gezeigt, wie sehr unsere Mannschaft mit Top-Teams der Liga mithalten kann.

So groß ist die Rivalität zwischen Braunschweig und Hannover 

Facebook-User Florian Bosse möchte gerne wissen, wie es um die Rivalität beider Vereine auf der Führungsebene bestellt ist.

Ebel: Herr Kind hatte mich zu Drittliga-Zeiten mal in sein Hotel nach Großburgwedel eingeladen. Das fand ich eine menschliche Geste, wenn der vermeintlich Kleinere mal Unterstützung vom vermeintlich Größeren bekommt, und sei es nur durch einen Anruf. Meine Erfahrung ist: Du siehst die Menschen auf der Rolltreppe nach oben, und auf dem Weg nach unten begegnen sie dir wieder. Ich würde nie zögern, mich bei Herrn Kind zu melden, wenn ich mal ein Thema hätte. Das war unlängst sogar mal der Fall – und da habe ich eine sehr vertrauensvolle Antwort bekommen.

Herr Ebel, wenn man an Hannover 96 denkt, denkt man automatisch auch an Herrn Kind. Beneiden Sie Ihren Amtskollegen manchmal eigentlich um dessen Popularität?

Ebel: Ich weiß nicht, ob Herr Kind so froh drüber ist, dass er so bekannt ist. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich es nicht bin. Mir ist es manchmal lieber, wenn ich nicht erkannt werde. Das ist auch der Grund, warum ich bei unseren Heimspielen ab und an mal im Familienblock sitze.

Kind: Es ist auch nicht so, dass ich mich um diese Popularität gerissen hätte. Aber wenn sie in der 3. Liga ein Unternehmen von Null aufbauen, dann wird das stark mit ihrer Person verbunden. Damals gab es zum Teil wirklich nur einen Ansprechpartner im Klub – und was war nun einmal ich. Der nächste Schritt ist jetzt die Entkopplung.

Herr Kind, gibt es etwas, um das Sie den Emporkömmling aus Braunschweig beneiden?

Kind: Ich bin ehrlich: Derzeit können wir uns von Braunschweig nicht so viel abschauen. Wir sind in unserer Entwicklung in vielen Bereichen einfach zehn Jahre weiter. Wir sollten uns an denen orientieren, die vor uns stehen. Was machen die anders? Was können wir von denen lernen? Für mich ist der Vorbildverein Bayern München. Das ist das Ergebnis jahrzehntelanger professioneller Arbeit, sowohl im sportlichen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Da kann man unglaublich viel lernen. Herr Ebel hat den großen Vorteil, dass er mit Eintracht auf einen Fundus zurückgreifen kann, den andere Klubs erarbeitet haben. Das ist ja auch völlig okay.

Fans dürfen nicht pauschal "kriminalisiert" werden 

Wie sehr haben Sie die Bilder vom Revier-Derby vor zwei Wochen beunruhigt?

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Kind: Genau das sind die Bilder, die wir nicht wollen. Diese Menschen missbrauchen die Plattform Bundesliga-Fußball und schaden dem Produkt. Es sind Anonyme, die erwarten, dass der Dritte für ihr Fehlverhalten bezahlt. Pyrotechnik und Gewalt haben im Stadion nichts zu tun, genau so wenig wie Rassismus und Rechtsradikalismus.

Ebel: Wir kriegen das Problem mit Einzelnen nur dann in den Griff, wenn die breite Masse Position bezieht. Für extrem falsch halte ich es allerdings, wenn man anfängt, die restlichen 99,9 Prozent zu kriminalisieren. Wir müssen aufzeigen, wer Opfer und wer Täter ist. Es darf keine Pauschalverurteilung geben. Es gibt nicht d i e Fans oder d i e Ultras. Gerade die letzten Jahre haben hier in Braunschweig gezeigt, wie sehr uns die Fans aus der Südkurve unterstützt haben. Sie waren und sind mit Grundlage für unseren Erfolg.

Wie kann man diese Probleme denn in den Griff bekommen?

Kind: Diese Probleme wird die Fan-Szene irgendwann untereinander lösen müssen, von außen ist das sehr schwierig. Bei uns in Hannover hat zuletzt ein Teil der Fans gepfiffen, als schlimme Aussagen skandiert wurden, zum Beispiel gegen Braunschweig. Das sind Kleinigkeiten, das geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein langer Prozess, auf den wir nur bedingt Einfluss haben.

Das gilt auch für das Geschehen auf dem Rasen. Da haben Sie als Präsidenten heute auf der Tribüne sitzend auch nur bedingt Einfluss.

Ebel: Was mich so wahnsinnig macht ist, dass man da so hilflos sitzt, und dann wird – so wie gegen Schalke – in der Schlussminute der Spielverlauf auf den Kopf gestellt. Im unternehmerischen Alltag ist das anders. Da wird man eher bestraft, wenn man langfristig etwas nicht gut gemacht hat.

Kind: Mein lieber Herr Ebel, jetzt haben Sie doch zweimal innerhalb kurzer Zeit Spiele gewonnen. Gratulation. Sie sammeln Erfahrungen.

Ebel: Sie haben gut reden. Aber das Spiel gegen Leverkusen hat in der Tat gezeigt, dass wir immer wieder aufstehen und die nötigen Punkte für den Klassenerhalt holen werden.

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Kind: Ich habe gelernt, mit Niederlagen umzugehen. Aber das ist ein Prozess, Herr Ebel, das lernen Sie auch noch.

Ebel: Also besteht noch Hoffnung bei mir?

Kind: Ja, aber dafür müssen Sie jetzt in der Bundesliga bleiben.

Haben Sie sich schon drauf geeinigt, wer wen nach dem Derby zum Essen einladen muss? Der Gewinner oder der Verlierer?

Kind: Ich mache da einen ganz pragmatischen Vorschlag: Ich lade Herrn Ebel ein – egal, ob er gewinnt oder verliert.

Ebel: Da sage ich nicht nein.