Nürnberg. . Nach seinem Patzer im Länderspiel gegen Kasachstan mochte Nationaltorwart Manuel Neuer nicht in seinen 27. Geburstag hineinfeiern - die Lust aufs Bierchen war ihm vergangen. Auch Bundestrainer Joachim Löw ärgerte sich – über die Reaktionen des Nürnberger Publikums gegen Neuer.

Die Folgen seiner Tat sind Heinrich Schmidtgal gar nicht klar geworden. Es handelte sich dabei aber um die schlimmstmöglichen, weil das Ursachengemenge in Nürnberg das schlimmstmögliche war. Schmidtgal hatte in Spiel zwölf für Kasachstan erstmals ins Tor getroffen, und das ausgerechnet nach einem Fehler von Nationaltorhüter Manuel Neuer, der sein Brot bei Bayern München verdient, einem Verein, der am Spielort nicht besonders beliebt ist. Schmidtgal wiederum, der hocherfreut berichtete, wie er „spekuliert“ habe, dass Neuer den Ball zu weit vorlegen würde, ist Angestellter der Spielvereinigung Greuther Fürth. Und Fürth ist Nürnbergs Nachbar und schon deshalb ebenfalls nicht wohlgelitten.

Das Resultat: Nach einem 4:1-Sieg in der WM-Qualifikation, der den Kontostand der Nationalmannschaft in der Tabelle auf eine beachtliche 16-Zähler-Höhe schraubte und den Weg nach Brasilien asphaltierte, ist die Stimmung trotzdem mies, weil das Publikum, das Nürnberger Publikum, Neuer beharrlich ausgepfiffen hat.

"Ich muss mich entschuldigen"

Der Torhüter selbst bestrafte sich mit Bierchen-Entzug, obwohl doch am Mittwoch sein 27. Geburtstag anlag. „Ich muss mich entschuldigen“, sagte er, „bei der ganzen Mannschaft und beim Publikum.“

Der Bundestrainer dagegen wollte „die Ironie und die Häme“ gegenüber seiner Nummer eins nicht im Ordner mit dem Aufdruck „Berufsrisiko“ abheften. „Das finde ich nicht in Ordnung“, grantelte der im Granteln wenig erfahrene Joachim Löw und hielt ein Plädoyer in eigener Sache. Was eigentlich sind die Anforderungen an einen Torhüter, der sich auf der Höhe der Fußballmoderne bewegt? Es gehe „um spielerische Lösungen“: „Manuel spielt einen offensiven Torhüter. Er soll seinen Spielstil auf keinen Fall umstellen.“

Manchmal ist es schwer für den Bundestrainer, schwerer als für einen Manuel Neuer, der mit diesem Selbstbewusstsein ausgestattet ist, das Selbstkritik einschließt, aber verhindert, dass Ironie und Häme sich wie Stachel in sein Fleisch hineinarbeiten können. Löw hat immer das Großeganze zu verteidigen, seinen Fußballansatz, und er verteidigt hoch stehend: „Das finde ich nicht in Ordnung“, geißelte er die Reaktion der Fans auf den Aussetzer seines Keepers, der zum 1:3 direkt nach dem Pausengang führte.

Zweite Drei-Punkte-Ernte

Überhaupt: die Pause. Die Pause scheint bei Nationalspielern weniger beliebt als im regulären Arbeitsleben. Kaum wurde in Astana, in der Hinpartie gegen die Kasachen am vergangenen Freitag, zur Pause gepfiffen, war sie weg, die Konzentration, die Leidenschaft. Kaum war in Nürnberg wieder angepfiffen, tauchte der Kasachstan-Fürther Schmidtgal vor dem Bayern Neuer auf und wagte es, ein Tor zu erzielen. Das Publikum demonstrierte Unwillen gegenüber dem Mann, von dem nicht allein der Bundestrainer weiß: „Er gehört zu den besten Torhütern der Welt.“

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Weil Neuer zu denen gehört, die ebenfalls eine Ahnung davon haben, konnte er auch nicht nur für den statistisch kaum relevanten Gegentreffer die Verantwortung übernehmen. „Verunsicherung“ habe er anschließend bei den Kameraden „gesehen“, erklärte der Ex-Schalker. Philipp Lahm ahnte jedoch, dass trotz dieses umfassenden Schuldeingeständnisses die schlimmstmöglichen Folgen nicht ausbleiben würden. Wie schon nach der abgeklärten Drei-Punkte-Ernte aus kasachischem Boden geriet die zweite Drei-Punkte-Ernte auf fränkischem Boden über die Darbietung in der zweiten Halbzeit in die Wertung. Dabei, meint der Kapitän, sei es doch so: „Diese Mannschaft schafft in der ersten Halbzeit, alles klar zu machen. Darüber müssten wir reden.“ Früher habe man „viel länger gebraucht, um 1:0 in Führung zu gehen“.

Und das liegt daran, dass es sich um ein Ensemble mit einem Stürmer wie Götze, mit Flügelinterpreten wie Reus und Müller und Mittelfeldartisten wie Özil und Gündogan handelt, das Fußball feinster Prägung zelebriert. Joachim Löw versucht sich stets leicht angenervt daran, all die Probleme, die darin auch verborgen sind, zu vermitteln. Diesmal hätte er gut daran getan, den negativen Spielortfaktoren mehr Aufmerksamkeit zu widmen.