Leipzig. Laut Bundestrainer Joachim Löw gibt es in jeder Vorbereitung auf ein großes Turnier eine Handbremse, die kurz vorher gelöst werden muss. Getragen von der Hochspannung ihrer Fans will die deutsche Nationalmannschaft dann zum ersten EM-Titel seit 1996 durchstarten. Ihr großer Trumpf: der Teamgeist.

Um Mitternacht war die Stunde von Wolfgang Niersbach gekommen. Das 2:0 (1:0) gegen Israel war nicht berauschend gewesen, aber dennoch herrschte eine gelassene Zufriedenheit im Hotel "The Westin" im Herzen von Leipzig. Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) begleitet die Nationalmannschaft, seitdem sie 1972 den ersten von drei EM-Titeln gewonnen hat. Erstmals nach seiner Wahl im März zum Präsidenten sprach Niersbach zu den Nationalspielern in einem der Salons beim Nachtessen.

Er bedankte sich zunächst für die "großartigen Leistungen" der letzten Jahre. "Es macht uns stolz, wie Ihr Euch präsentiert habt", sagte er und blickte anschließend auf das Ereignis, das in einer Woche Millionen von Sportfans in Deutschland in seinen Bann ziehen wird. "Wir werden nur dann eine erfolgreiche EM spielen, wenn Ihr Euch als verschworene Gemeinschaft präsentiert", sagte Niersbach zum Ende seiner Zehn-Minuten-Rede.

Bayern-Angreifer Gomez muss offenbar für Miroslav Klose weichen

Über den Korpsgeist der Truppe, die Kameradschaft der hochbezahlten Profis, die auch oft in scharfer Konkurrenz zueinander stehen, muss sich Niersbach keine Sorgen machen. Sein erster leitender Angestellter für den Bereich Sport, Joachim Löw, seines Zeichens Fußball-Bundestrainer, hat wieder das normale, friedliche, kooperative Arbeitsklima unter den 23 Nationalspielern hergestellt. Die Bereitschaft zur Unterordnung ist außerordentlich stark ausgeprägt. Aber wichtiger war Löw, dass es am Donnerstagabend in Leipzig auch sportlich voran ging nach dem ernüchternden 3:5 in der Schweiz fünf Tage zuvor. "Das war eine gute, ordentliche Abschlussprüfung. Wir können mit Rückenwind, einem guten Gefühl und einer gewissen Sicherheit in die letzte Woche vor der EM gehen", sagte Löw.

Der Badener zeigte beim ersten Sieg im Jahr 2012 seine EM-Formation, jedenfalls zu 80 Prozent. Lediglich zwei Positionen würde der 52-Jährige im ersten EM-Gruppenspiel am Samstag nächster Woche in Lwiw gegen Portugal noch umbesetzen. Bastian Schweinsteiger, der angeblich seine hartnäckige Wadenverletzung überstanden hat und nächste Woche in Danzig ins Training einsteigen soll, und Miroslav Klose, der in Leipzig wegen einer Knöchelverletzung nicht von Beginn an spielte, werden dann wohl Toni Kroos und Mario Gomez ersetzen. Trotz des Tores zum 1:0, seinem achten Treffer in einem der zehn letzten Länderspiele, muss Gomez am 9. Juni wohl wieder auf die Bank.

BVB-Verteidiger Hummels spielt im System Löw nur eine Nebenrolle

Der Münchner und der Dortmunder Mats Hummels gingen kommentarlos durch die Mixed Zone, vorbei an den zahlreichen Journalisten, die viele Fragen hatten. Aber die zwei, die sonst gerne Rede und Antwort stehen, schwiegen. Gomez weiß, dass Löw eigentlich seinen Konkurrenten Klose als spielerisch veranlagten Stürmer bevorzugt und es wenig bedeutete, dass er immerhin 67 Minuten für ihn spielen durfte. Und Hummels saß die gesamte Spielzeit auf der Ersatzbank, weil Löw weiterhin am liebsten Per Mertesacker neben Holger Badstuber in der Innenverteidigung als Stammkraft halten will, obwohl der Ex-Bremer wegen einer Sprunggelenksverletzung seit Februar außer Gefecht gesetzt war.

Aber niemand murrt, jeder hält sich an Löws Anweisungen und Niersbachs Wunsch, eine "verschworene Gemeinschaft" zu bilden. Klose formuliert es mit der Gewissheit, der Idealstürmer seines Trainers zu sein, sogar so: "Mich freut es, dass der Trainer die Qual der Wahl hat." Jeder scheint bereit zu sein, sich unterzuordnen auf dem Weg zum großen Ziel. Die Spieler wollen unbedingt den vierten EM-Titel nach 1972, 1980 und 1996. "Wir wollen am Ende sagen, da ist das Ding", sagte Lukas Podolski und meinte die hübsche, silberne Henkelvase, die die UEFA dem Europameister überreicht. Podolski muss aber noch höllisch aufpassen, dass er seinen Platz in der Stammelf wirklich bekommt. Der Leverkusener Andre Schürrle sitzt dem Noch-Kölner im Nacken und erzielte wieder ein Tor nach seiner Einwechslung in der 67. Minute.

Bundestrainer Löw freut sich auf die Hochspannung im Land

Am 22. Tag der EM-Vorbereitung wurde am Freitag noch einmal bei Regen in Leipzig trainiert. Nur Podolski, Klose und Philipp Lahm machten sich auf den Weg. Sie fuhren mit einigen DFB-Offiziellen zum früheren Konzentrationslager Auschwitz zu einer Gedenkveranstaltung im polnischen Niederschlesien. Damit soll die Mannschaft ab Montag, wenn sie gegen 15.00 Uhr aus Frankfurt kommend in Danzig eintrifft, befreit sein von allen Verpflichtungen dieser Art. Dort soll die Konzentration auf den letzten Trainingseinheiten liegen.

"In der Vorbereitung gibt es auch eine Handbremse, die dann gelöst wird. Dann herrscht auch die Hochspannung im Land", sagte Löw zur weiter wachsenden Anspannung vor dem großen kontinentalen Turnier, bei dem die DFB-Auswahl in der Gruppe B noch auf die Niederlande und auf Dänemark trifft. Löw selbst war recht entspannt nach dem Erfolg gegen Israel, der gelungenen Generalprobe. "Ich bin weder in Sorge, noch kann ich mich völlig zurücklehnen", sagte er. Bei seinem dritten Turnier als Cheftrainer will auch er nach Platz zwei bei der EM 2008 und Rang drei bei der WM 2010 endlich ganz nach oben.