Gelsenkirchen. Raffael Tonello, Sportlicher Leiter der Knappenschmiede, hat klare Ziele. Im WAZ-Interview spricht er über Druck, Verbesserungen und wahre Erfolge.
Die ersten 100 Tage beim FC Schalke 04 hat Raffael Tonello im Juli hinter sich gebracht. Der 49-Jährige ist als Sportlicher Leiter der Knappenschmiede und als Top-Talente-Scout ein wichtiger Stratege bei den Königsblauen. In enger Zusammenarbeit mit Sportdirektor Marc Wilmots und Kaderplaner Ben Manga versucht der ehemalige Bundesligaprofi, spannende Spieler für Schalke zu finden. Im WAZ-Interview spricht Raffael Tonello über Druck, effizientes Arbeiten und Verbesserungspotenzial.
Herr Tonello, als Sie im Frühjahr als neuer Sportlicher Leiter der Knappenschmiede nach Schalke kamen, war die Gesamtsituation angespannt. Die Profi-Mannschaft kämpfte noch um den Klassenerhalt in der 2. Liga. Wie haben Sie die Zeit auf Schalke bisher erlebt?
Raffael Tonello (49): Ich bin unbelastet zum FC Schalke 04 gekommen und wollte erst einmal alles kennenlernen, alles sehen, alles verstehen. Ich kann mich an das Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg im März erinnern. Wenn man sich die Nürnberger Spieler, wie etwa Can Uzun, angesehen hat: Das ging alles locker und unbeschwert. Bei unseren Spielern war eine gewisse Anspannung spürbar. Von der Tribüne aus war zu erkennen, dass die Trikots schwer waren. Objektiv analysiert, habe ich schon gemerkt, welch immenser Druck auf den Jungs gelastet hat.
Hätte ein Abstieg der Profis Auswirkungen auf Ihr Engagement auf Schalke gehabt?
Nein, mein Vertrag in Watford war aufgelöst und der neue Vertrag bei Schalke 04 war schon unterschrieben. Das Szenario 3. Liga ist uns zum Glück erspart geblieben.
Wie hat Ihre Arbeit ab dem ersten Tag auf Schalke ausgesehen?
Das ist umfangreich. Wenn man neu irgendwo hinkommt – das war in Frankfurt oder in Watford genauso – dann schaut man sich alles an. Ich kannte unseren Arbeitsauftrag, aber ich wollte auch die Menschen im Verein kennenlernen und die Situation aus ihrer Perspektive verstehen. Wir haben eine besondere Ausgangslage, in der gewisse Ressourcen knapper sind als in den sehr erfolgreichen Jahren. Dann ist es wichtig, dass wir schauen, wie wir Effizienz reinbekommen.
Wie funktioniert das genau?
Effizienz entsteht in einer großen Struktur immer, wenn die Verzahnung zwischen den Abteilungen verbessert wird. Ich glaube, das war auch das Hauptanliegen des Aufsichtsrats und des Vorstands, dass wir die Knappenschmiede und den Profibereich noch enger zusammenführen. Es ist eine normale Reaktion, wenn die Gesamtentwicklung negativ ist: Dann baut sich jeder seine Insel. Das Problem ist, dass sich diese Inseln immer weiter voneinander entfernen. Der Arbeitsauftrag ist, diese Inseln wieder zusammenzuführen und in eine Richtung zu denken. Das gilt für den gesamten Bereich Fußball.
Was genau umfasst Ihren Arbeitsbereich in der Knappenschmiede?
Wir sind de facto ab der U17 bis zu den Profis für die Kaderplanung und die Trainerentwicklung zuständig. Der Auftrag lautet, dass wir Spieler für die Lizenzmannschaft ausbilden und Marktwerte generieren müssen. Was die internen Prozesse angeht, müssen wir verbessern, was gut ist. Da, wo wir in den letzten Jahren vielleicht nicht so gut waren, müssen wir uns deutlich steigern. Da geht es in die Zusammenarbeit mit Ben Manga und Marc Wilmots darum, mittel- und langfristig eine Kaderstrategie zu entwickeln, bei der wir das Ziel verfolgen vermehrt jüngere Spieler zu holen, die in diesem Moment noch nicht bereit sind, sich aber in den nächsten Jahren entwickeln werden. Dabei spielt die Knappenschmiede eine zentrale Rolle.
Schalkes Vorstandsvorsitzender Matthias Tillmann bemängelte vor einigen Wochen in einem Interview, dass Aufwand und Ertrag in der Knappenschmiede zuletzt nicht im Einklang gestanden hätten.
Ja, auch in der Knappenschmiede müssen wir über Effizienz und Ertrag diskutieren. Dass wir den Ertrag steigern müssen, ist klar. Dennoch: Eine gewisse Durchlässigkeit hat es in den vergangenen Jahren immer gegeben. Grundsätzlich ist die Arbeit, die in der Knappenschmiede verrichtet worden ist, positiv zu bewerten.
Aber auch hier werden Sie vermutlich an gewissen Stellschrauben drehen, oder?
Natürlich muss optimiert werden. Wir können die Knappenschmiede nicht gänzlich von den Profis separieren. Wenn es bei den Profis schlecht läuft, entwickelt sich eine Dynamik, die dann nur schwierig zu stoppen ist. Es hängt letztlich alles an der Lizenzmannschaft. Deswegen ist es wichtig, den Profibereich zu stabilisieren. Die Knappenschmiede hat immer geliefert und eine gewisse Durchlässigkeit gehabt. Diese wollen wir wieder steigern. Dadurch, dass wir mit der engeren Verzahnung auf ganz anderem Niveau arbeiten können, wird uns das gelingen.
Wie wichtig sind Ihnen sportliche Erfolge der Knappenschmiede-Teams?
Die Deutschen Meisterschaften und Pokalsiege in der U17 und U19 sind super, sind gute Werbung für den Verein. Aber die wahren Titel sind die, wenn ein Absolvent der Knappenschmiede Stammspieler bei den Profis wird. Wenn wir das schaffen, dass wir zwei, drei Jungs aus der Knappenschmiede wirklich zum festen Bestandteil bei den Profis machen können, dann ist das viel, viel mehr wert als eine Deutsche Meisterschaft. Titel sind auf keinen Fall verboten (lacht), aber wenn junge Spieler es bei uns nach oben schaffen und dann drei, vier, fünf Jahre bei den Profis spielen, dann sind das die wahren Erfolge. Dann macht es richtig Spaß.
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