Gelsenkirchen. Am Samstag tritt Schlusslicht Schalke 04 beim SV Werder Bremen an. Fabian Ernst spielte für beide Klubs. Er sorgt sich vor allem um S04.
Er ist einen Weg gegangen wie einige andere auch, von der Weser an den Rhein-Herne-Kanal – wie einst schon Rudi Assauer, wie etwa Aílton, wie Mladen Krstajić und wie Frank Rost. Fabian Ernst hat von 2000 bis 2005 das Trikot des SV Werder Bremen und von 2005 bis 2009 das des FC Schalke 04 getragen. Es ist nicht verwunderlich: Vor der Partie seiner ehemaligen Klubs am Samstag im Weserstadion (15.30 Uhr/Sky) sorgt sich der 41-jährige, der 24-mal für Deutschland gespielt hat, vor allem um das Schlusslicht in Königsblau.
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Fabian Ernst, wo erwische ich Sie?
Fabian Ernst: Ich komme gerade aus dem Büro und fahre nach Hause.
Was machen Sie dort denn so alles?
Also: In unserem Büro in Hannover laufen so ein paar Sachen zusammen. Wir bauen dort die Fußball-Schule meines ehemaligen Vereins Beşiktaş Istanbul auf. Für Deutschland, Österreich, die Schweiz, Dänemark und die Niederlande. Das machen wir jetzt seit einem halben Jahr, aber wegen Corona ist noch nicht so sehr viel passiert. Dann haben wir die FIA, die Football Innovation Academy, in der wir junge Fußballer ausbilden. Dort haben wir sechs Mannschaften von der U9 bis zur U14, die am Spielbetrieb teilnehmen. Unser Herzstück ist aber die Sport Technology Systems GmbH.
Das heißt?
Wir arbeiten an einem großen Trend dieses Jahrzehnts, der Digitalisierung von Fußbällen, haben inzwischen ein Team von fast 30 Leuten und Großes vor.
Gemeinsam mit Alex Quaye, der in Ghana eine Fußball-Akademie betreibt, haben Sie vor zwei Jahren den Næstved Boldklub gekauft, einen dänischen Drittligisten. Was hat Sie dazu getrieben?
Da muss ich mal eben reingrätschen. Das war nicht von Erfolg gekrönt, und deshalb habe ich zu Beginn des Jahres entschieden, das nicht weiterzuverfolgen, und habe es aufgegeben.
Spielen Sie auch selbst noch ein bisschen, nachdem Sie Ihre Karriere 2015 beim Landesligisten OSV Hannover beendet haben?
Ja. Ich spiele regelmäßig in der Ü32 von 96. Ohne Fußball geht’s nicht.
Hannover 96 ist der Klub, an dem Ihr Herz hängt?
Nee, nicht zwingend. Ich spiele zwar in der Ü32, aber sonst habe ich keine großen Berührungspunkte mit dem Verein. Ab und zu schaue ich mir mal ein Spiel im Stadion an, aber das ist es auch schon.
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Und wie wird Ihr Herz am Samstag schlagen, wenn der SV Werder Bremen, mit dem sie ja 2004 Double-Sieger waren, und der FC Schalke 04 aufeinandertreffen werden?
Och. Schalke braucht die Punkte dringender. Es steht außer Frage, dass die Punkte bei Schalke bleiben sollten.
Mit Gerald Asamoah, der inzwischen Schalkes U-23-Manager ist, haben Sie gemeinsam in mehreren Mannschaften gespielt und in Hannover schon gemeinsam die Schulbank gedrückt.
Ich bin mit Gerald häufig im Austausch. Das ist eine dramatische Entwicklung, die wir da sehen. Kaum vorstellbar. Es ist zu spüren, wie nah ihm das geht. Sein Schalker Herz blutet, und sicherlich das ganz vieler anderen auch. Das ist eine emotionale Achterbahnfahrt. Nein. Eine Achterbahn fährt ja auch nach oben. Es ist eine emotionale Talfahrt.
Eine kurze Prognose zum SV Werder: Wird es für Bremen wie schon 2019/20 eine Zittersaison, in der der Klassenerhalt erst in der Relegation perfekt gemacht wurde?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Werder ist relativ stabil, und ich muss aus der Ferne sagen, dass Trainer Florian Kohfeldt eine super Arbeit macht. Die Bremer waren sonst sehr offensiv, sie haben ihren Spielstil aber angepasst, was den Ergebnissen zugutekommt. Ich denke, dass sie im gesicherten Mittelfeld landen werden.
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Nun aber zurück zum FC Schalke 04. Lassen Sie uns zunächst noch einmal zurückblicken. Sie hatten während Ihrer vier Jahre fünf Trainer: Ralf Rangnick, kurz Oliver Reck, Mirko Slomka, Fred Rutten und zweimal Mike Büskens.
Mir war gar nicht mehr bewusst, dass es so viele Trainer waren. In der Türkei waren es aber noch mehr, da hatte ich in dreieinhalb Jahren sechs (lacht). Ich bin damals aus Bremen gekommen und hatte fünf Jahre Thomas Schaaf hinter mir. Dort wurde in Ruhe und mit Besonnenheit gearbeitet – auch, was das Mediale angeht. Da ist Schalke eine ganz andere Nummer.
Die Saison 2006/07 ist vielen Schalker Fans noch bestens in Erinnerung. Königsblau war kurz davor, erstmals nach 1958 wieder Deutscher Meister zu werden, verlor dann aber zwei Revierderbys: erst in Bochum, dann in Dortmund. Und den Titel holte mit zwei Punkten Vorsprung der VfB Stuttgart.
Wir hatten damals hohe Ansprüche und eine Top-Mannschaft. Im Endeffekt steht das Spiel in Dortmund, an das sich jeder erinnert. Aber wir hatten vorher schon eine Phase, Ende Februar und Anfang März war’s, in der wir vier Spiele hintereinander nicht gewonnen und zu Hause gegen Leverkusen und Hamburg verloren haben. Das hätte uns so nicht passieren dürfen.
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Wie war’s danach?
Absolut leer. Schwer zu verdauen. Wir hatten danach ja auch noch ein Spiel gegen Bielefeld, um unsere kleine Chance wahrzunehmen. So etwas wird sicherlich auch noch anderen Mannschaften passieren. Aber eigentlich hätten wir so stabil sein müssen, um Deutscher Meister zu werden.
Lediglich 32 Tore kassierten Sie und Ihre Teamkollegen in der damaligen Saison und hatten die beste Abwehr der Liga. Manuel Neuer stand im Tor, Marcelo Bordon und Mladen Krstajić bildeten die Innenverteidigung. Um nur drei zu nennen. War die Defensive damals das A und O, das prägende Element der Slomka-Taktik?
Ich würde das gar nicht auf eine Säule beschränken, obwohl diese Innenverteidigung – mit Rafinha und Christian Pander daneben – schon eine mit Top-Klasse war. Wir hatten sehr viel Potenzial, auch attraktiven Fußball nach vorne zu spielen: mit Lincoln, Kevin Kuranyi, Gerald Asamoah und dem jungen Mesut Özil. Einen sehr hohen Stellenwert hatte aber auch das vermeintlich zweite Glied: Darío Rodríguez zum Beispiel. Wir hatten ganz viele Möglichkeiten zu variieren, ohne Qualität einbüßen zu müssen. So einen ausgeglichenen Kader von eins bis 16, 17 brauchst du. Wenn du nur eine gute erste Elf hast, kommst du nicht weit.
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Nach 18 Spielen der aktuellen Saison ist der FC Schalke 04 schon bei 48 Gegentreffern gelandet und hat als Schlusslicht nur mickrige sieben Punkte. Glauben Sie, dass diese Mannschaft noch das Wunder von Schalke schaffen kann?
Es gibt nur wenige Anhaltspunkte, das positiv zu sehen. Nehmen wir nur das Spiel gegen den 1. FC Köln: Dann fällt es einem schwer, an den Klassenerhalt zu glauben. Solche Spiele verliert nur ein Absteiger. Der mentale Faktor ist ganz, ganz groß. Du bräuchtest einen Sieg, um Hoffnung knüpfen zu können. Egal, wie. Der müsste auch nicht schön sein.
Frank Rost, mit dem Sie ja sowohl in Bremen als auch in Gelsenkirchen zusammengespielt haben, hat schon mehrere Male gesagt, dass sich Schalke nicht auf das Wesentliche konzentriere, auf den Fußball. Wie sehen Sie das?
Was sich da gerade abspielt, ist ein Produkt der vergangenen zwei, drei Jahre, in denen alles schiefgelaufen ist. Die Kaderzusammenstellung ist eine Katastrophe. Es gibt Charaktere, die nicht zu 100 Prozent dabei sind, und es fehlen Spieler, die für die Attribute der Region stehen. Die Rädchen in der Mannschaft greifen nicht ineinander. Und dafür ist die Sportliche Leitung verantwortlich. Mehr muss man nicht sagen.