Genf. Der Radsport-Weltverband UCI hat Lance Armstrong seine sieben Tour-de-France-Titel aberkannt und den Radsportler lebenslang gesperrt. Der Verband folgte in seinem am Montag verkündeten Urteil den Empfehlungen der US-Anti-Doping-Behörde USADA.

Ein Radsport-Denkmal ist endgültig eingestürzt. Lance Armstrong verliert seine sieben Tour-de-France-Siege. Wie erwartet strich der Radsport-Weltverband UCI sämtliche Ergebnisse des 41 Jahre alten Amerikaners seit dem 1. Januar 1998, darunter die Erfolge bei den Frankreich-Rundfahrten von 1999 bis 2005. Zudem sperrte die UCI den Texaner lebenslang. Der UCI-Präsident Pat McQuaid gab am Montagmittag in Genf bekannt, dass der Verband die Sanktionen der US-Anti-Doping-Agentur USADA übernehme. 2.647 Tage nach seinem siebten und letzten Toursieg hat selbst die UCI keine Zweifel mehr: Das sportliche Lebenswerk des US-Amerikaners basierte ausschließlich auf Lug und Trug.

UCI-Präsident will "eine neue Zukunft aufbauen"

"Lance Armstrong hat keinen Platz mehr im Radsport. Er hat es verdient, vergessen zu werden. Wir müssen uns dem schmerzhaften Prozess der Vergangenheitsbewältigung stellen. Die UCI will diese Reise beginnen, indem wir die Entscheidungen der USADA akzeptieren", sagte UCI-Präsident Pat McQuaid auf einer Pressekonferenz im edlen Starling Hotel in Genf und zeigte sich von den Dopingpraktiken Armstrongs "angewidert". Es habe ihn umgehauen, was er lesen musste, ergänzte McQuaid. Persönliche Konsequenzen lehnte der umstrittene McQuaid ab: "Ich werde nicht als UCI-Präsident zurücktreten."

Die UCI kam angesichts der vorliegenden und auf über 1.000 Seiten zusammengetragenen Beweislage nicht umhin, das Strafmaß der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA zu akzeptieren. Andernfalls hätten UCI-Präsident Pat McQuaid und dessen Vorgänger Hein Verbruggen ihr Gesicht verloren. Bis ins kleinste Detail hatte die USADA bei ihren mehr als zwei Jahre andauernden Ermittlungen Armstrongs dunkle Vergangenheit aufgedeckt. Armstrong hatte mit dem "ausgeklügeltsten, professionellsten und erfolgreichsten Dopingprogramm" gegen alle Regeln des Sports verstoßen.

Scheidepunkt für den Radsport

Diese Entscheidung, dieser Tag markiere einen "wichtigen Scheidepunkt für den Radsport", sagte er in seiner kurzen Erklärung weiter und beteuerte wiederholt: Der UCI wolle "einen sauberen Sport", der Radsport habe "eine Zukunft". Man dürfe nicht vergessen, dass sich die Vorwürfe gegen Armstrong auf die Jahre 1998 bis 2005 beziehen. Seither habe sich "im Radsport viel verändert". Er sei sicher, dass "wir eine neue Zukunft aufbauen werden".

Am Freitag will das Management-Komitee des UCI über weitere Konsequenzen beraten. Dabei geht es insbesondere darum, ob die Erfolge des Texaners neu vergeben werden und in wieweit Armstrong seine Preisgelder zurückzahlen muss. Die Tour-Organisation ASO hat sich bereits dafür ausgesprochen, die Armstrong-Erfolge nicht neu zu vergeben. Es wäre die logische Entscheidung, andernfalls droht dem Radsport der größte Treppenwitz der Tour-Geschichte. So würde sonst Jan Ullrich, der inzwischen selbst als Dopingsünder überführt worden ist, drei weitere Toursiege zugesprochen bekommen. Auch Andreas Klöden, ein Mann mit zweifelhaftem Ruf, könnte sich dann die Tour-Krone aus dem Jahr 2004 aufsetzen. In zwei anderen Fällen hatten die Tourorganisation ASO noch die Titel neu verteilt. 2010 wurde Andy Schleck zum Sieger der Tour 2010 erklärt, nachdem Alberto Contador als Dopingsünder verurteilt worden war. Vier Jahre zuvor war der Spanier Oscar Pereiro nach dem Dopingfall Floyd Landis auf Platz eins gerückt.

Schlussakt "nach vielen schwierigen Wochen" 

Für Armstrong selbst markiert das UCI-Urteil den Schlussakt "nach vielen schwierigen Wochen". Das hatte er unlängst bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit der Veröffentlichung des USADA-Abschlussberichts eingeräumt. Beim Geburtstag seiner Krebsstiftung Livestrong blieben ihm noch viele Schulterklopfer. Doch seine privaten Sponsoren wie der Sportartikelhersteller Nike oder der Radhersteller Trek hatten sich sich größtenteils schon distanziert.

Armstrong hatte stets beteuert, niemals gedopt zu haben. Unmittelbar nach dem UCI-Urteil reagierte er noch nicht; auf seinem Twitter-Profil beschreibt er sich am Montagmittag noch immer als "siebenfachen Tour-de-France-Gewinner".

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Die USADA hatte in ihrem erschütternden Bericht die Dopingpraktiken Armstrongs dargestellt und an die UCI geschickt. Darin werden dem Texaner und einiger seiner Weggefährten unter anderem der Missbrauch sowie der Handel mit Dopingmitteln vorgeworfen. Die UCI hatte bis Ende Oktober Zeit, die Unterlagen zu prüfen und über die Aberkennung von Armstrongs Erfolgen bei der Frankreich-Rundfahrt und weiteren Sanktionen zu entscheiden.

UCI selbst stark unter Druck

Bereits Ende August hatte die USADA eine lebenslange Sperre für Armstrong ausgesprochen und beantragt, dass alle Ergebnisse des Texaners seit dem 1. August 1998 inklusive seiner sieben Tour-Siege gestrichen werden sollen. Die Titel konnte allerdings nur die UCI offiziell aberkennen.

Der Weltverband UCI war im Zuge der Ermittlungen der Dopingjäger aus den USA selbst massiv unter Druck geraten. Er soll am skandalösen Doping-System um Armstrong direkt beteiligt gewesen und von positiven Dopingproben des 41-Jährigen gewusst haben. Besonders UCI-Ehrenpräsident Hein Verbruggen stand in der Kritik. Bis zuletzt hatte sich Verbruggen uneinsichtig gezeigt. "Alles was ich sagen kann, ist, dass es viele Geschichten und Verdächtigungen gibt, aber keine Spur von Beweisen. Es gibt keine. Lance Armstrong ist niemals positiv getestet worden, auch nicht durch die USADA", hatte Verbruggen zuletzt in einer Textnachricht an die niederländische Tageszeitung "De Telegraaf" geschrieben. Eine fragwürdige Aussage angesichts von 26 Zeugenaussagen unter Eid und vielen minutiös zusammengetragenen Fakten wie etwa Geldzahlungen Armstrongs an eine von Dopingarzt Michele Ferrari betriebene Schweizer Firma in Höhe von 1.029.754,31 Dollar.

Für Armstrong könnte es noch schlimmer kommen 

Ohnehin sind Pat McQuaid und Verbruggen zuletzt in Erklärungsnot geraten, ist in den letzten Wochen und Monaten doch hinreichend ein Bild der UCI als treuer Helfer Armstrongs bei dessen ausgeklügeltem Doping-System skizziert worden. Der Vorwurf von vertuschten Dopingproben im Zusammenhang mit Geldzahlungen von Armstrong in Höhe von 125.000 Dollar steht im Raum. "Es bestehe kein Zusammenhang", entgegnete McQuaid. Gleichzeitig räumte er ein, dass es ein Fehler gewesen sei, das Geld anzunehmen. Nun rückte die UCI im letzten Moment doch noch von Armstrong ab und folgte dem Urteil der USADA in allen Punkten. Nicht einmal die Verjährungsfrist von acht Jahren wurde ins Auge gefasst.

Für Armstrong könnte es aber noch schlimmer kommen - vor allem in finanzieller Hinsicht. Nachdem sich seine Sponsoren bereits von ihm abgewendet haben, könnten nun Regressforderungen in Millionenhöhe folgen. Nach Armstrongs fünftem Toursieg hatte die Versicherungsfirma SCA fünf Millionen Dollar an Armstrong als Prämie überweisen müssen. Geld, das das Unternehmen nach ersten Dopinganschuldigungen gegen Armstrong zurückforderte. SCA verlor jedoch den Prozess, nachdem Armstrong geschworen hatte, nie leistungssteigernde Substanzen genommen zu haben. Samt der Anwaltskosten könnte SCA nun 7,5 Millionen Dollar zurückfordern. Auch die britische "Sunday Times" musste nach einer Verleumdungsklage eine Million Euro an Armstrong zahlen.

Die Frage, ob nach diesem vorläufig letzten Akt in der Causa Armstrong der Zug für sauberen Radsport abgefahren sei oder Chancen auf baldige Besserung bestünden, beantwortete der langjährige Gerolsteiner Teammanager Hans-Michael Holczer dem Fernsehsender Sky Sport News HD entsprechend pessimistisch: "Dieser Zug ist nie aufs Gleis gekommen. Wir werden nie einen Sport haben, von dem wir wissen, dass er sauber ist." (dpad/sid)