London. .
Christian – wie war seine Nachname? So provokant könnten sich Sportfunktionäre oder Politiker hinstellen, wenn sie auf die Äußerungen von Christian Dünnes angesprochen werden. Jene Äußerungen, die dem gebürtigen Siegener nach dem Aus der deutschen Volleyballer im Viertelfinale der Olympischen Spiele über die Lippen kommen. Sie sind – eine Anklage und ein Plädoyer zugleich.
0:3 verloren die deutschen Volleyballer gegen Bulgarien. Sie beenden das Turnier auf Platz fünf. Doch weil sie ausgerechnet in der Stunde des größten olympischen Erfolges einer deutschen Mannschaft seit 40 Jahren – 1972 holte die Auswahl der DDR in München mit Silber das bislang einzige Edelmetall für Deutschland - so chancenlos waren, gelingt es Dünnes und Co. im ersten Augenblick nicht, diesen Moment gebührend zu genießen, zu feiern.
Vielmehr drehen sich ihre Gedanken um die Zukunft. Und Christian Dünnes, dieser Zwei-Meter-Riese, zeichnet eine düstere Vision. Zu hören bekommt diese allerdings nur der, der ihn anspricht. Von sich aus würde sich der Unterhachinger Bundesliga-Spieler nie hinstellen und nach Öffentlichkeit haschen.
Denn er ahnt, wie die spontan reagieren, die er mit seinen Worten attackiert. Dünnes? Das ist doch dieser Ersatzspieler in der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft - gegen Bulgarien ohne Einsatzminute. Kein Robert Harting, Maximilian Levy oder Sebastian Brendel.
Schattendasein aller deutschen Sportarten - außer Fußball
Doch Dünnes redet sich nicht von Emotionen geleitet in Rage. Der studierte Wirtschaftswissenschafter spricht ruhig und formuliert punktgenau. Seine Argumente belegt der 28-Jährige mit Beispielen. Das Schicksal aller deutschen Sportarten, die neben dem übermächtigen Fußball ein Schattendasein fristen, umtreibt ihn seit langem.
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Mehr Geld für die Förderung des Leistungssports in so genannten Randsportarten („Drittliga-Fußball ist kein Leistungssport“) fordert der Siegener von Verbänden und Politik, mehr Aufmerksamkeit des von Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehens. „Ich kann jeden Sportler verstehen, der sich mit Mitte 20 verabschiedet, weil er mit einem Bürojob das drei- bis vierfache verdient“, sagt Dünnes, „deshalb darf man sich in Deutschland nicht wundern, wenn die Medaillen ausbleiben.“
Selbst ein Olympiasieg sorge nur in den seltensten Fällen für persönlichen Wohlstand oder einen anhaltenden Aufwärtstrend der Sportart. „Die Basketballer leben heute nur noch vom Hype um Dirk Nowitzki, der Handball-Boom nach der Weltmeisterschaft 2007 geht auch zurück – und bei den Hockeyspielern hat ein Boom trotz ihrer Erfolge nie eingesetzt“, sagt Dünnes. Es müssten sich grundlegende Dinge ändern, „denn das dicke Ende kommt noch“, sagt er mit Blick auf den schwindenden Nachwuchs auch im Volleyball. „Wer jetzt überhaupt mit einer Sportart anfängt und nicht vor dem Computer sitzt oder neuntklassiger Fußballer wird, holt frühestens 2024 vielleicht eine Medaille. Vorher holen wir nichts mehr.“
Bundestrainer Vitali Heynen sieht eine Perspektive
Damit kommt Dünnes allerdings an einem Punkt an, den sein Bundestrainer Vitali Heynen nur bedingt teilt. Natürlich kann er nicht versprechen, in vier Jahren die Qualifikation für die Spiele in Rio de Janeiro zu schaffen. Natürlich weiß auch er, dass seine Mannschaft als Weltliga-Fünfter und Olympia-Fünfter über ihrem Niveau spielte.
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Aber Heynen sieht eine Perspektive. „Ich habe 100 Ideen und sehe so viele Sachen, die wir ändern können“, sagt er optimistisch. „Aber das kostet Zeit.“ Seien es individuelle Maßnahmen oder allgemeine wie die Einrichtung einer B-Nationalmannschaft. Heynen hat einen dicken Fragen- und Aufgabenkatalog, den er mit dem Deutschen Volleyball-Verband abarbeiten will.
Ein Punkt darin wird auch der Rücktritt oder Nicht-Rücktritt des deutschen Angriff-Asses Gregor Grozer sein, der nicht krankenversichert ist und vom Verband verlangt, ihn zu versichern.
Aber das, das ist wieder eine ganz andere Geschichte.