Dortmund. Sarah Wachter ist Handball-Stammtorhüterin beim BVB und in der Nationalmannschaft. Samstag macht ihr Team gemeinsame Sache mit den Fußballern.
Sarah Wachter erscheint überpünktlich. Obwohl sie nach dem enttäuschenden 29:40-Auswärtsspiel bei Bundesliga-Spitzenreiter HB Ludwigsburg nur eine äußerst kurze Nacht hatte, ist sie hellwach. Sie will auch an ihrem freien Tag im Rhythmus bleiben. Denn an diesem Samstag steht für die Handball-Nationaltorhüterin (25) eine besondere Partie in der European League an. Das letzte Gruppenspiel gegen Sola HK aus Norwegen ist für ihren Verein, den BVB, zwar sportlich bedeutungslos – die Dortmunderinnen sind bereits ausgeschieden. Doch ihr Klub hat zu einer besonderen Aktion aufgerufen. „Alle in die Halle“, lautet das Motto, wenn erst die Handballerinnen in der Westfalenhalle – Spielort der Heim-WM Ende des Jahres – ihren eigenen Zuschauerrekord von 11.112 Zuschauern knacken wollen (15 Uhr) und danach die schwarzgelben Fußballer Union Berlin zum Bundesliga-Topspiel (18.30 Uhr/Sky) empfangen. Zeit für ein Gespräch bei stillem Wasser mit der Olympia-Achten.
Sarah Wachter – mit diesem Namen musste man ja Torhüterin werden.
Sarah Wachter: (lacht) Ja, da fallen einem doch direkt viele schöne Überschriften ein. Dabei war ich zuerst lange Feldspielerin. Als solche war ich auch bei einem Sichtungsturnier des Baden-Württembergischen Verbands. Zum Spaß bin ich dann zum Schluss für fünf Minuten ins Tor gegangen – und wurde für die Position gesichtet.
Fünf Minuten haben gereicht, um zu überzeugen?
Ja, tatsächlich. Ich denke, ich habe das aber auch viel meinem älteren Bruder zu verdanken. Wir haben immer im Garten Fußball gespielt – und wie Brüder halt so sind, musste ich ins Tor. Und so hatte ich nie Angst vor Bällen.
Man sagt Handball-Torhütern ja nach, in gewisser Weise verrückt zu sein – so wie sie sich den Würfen aussetzen…
(lacht) Ja, ich kriege das auch oft zu hören. Ich denke aber: Ein bisschen verrückt sein, das schadet nicht. Das bringt vielleicht auch ein bisschen Leichtigkeit und Spaß ins Leben.
Im Handball ist die Torwartposition meist eine geteilte. Sagt Ihnen das zu?
Ja, absolut. Man ist immer für den anderen da: indem man Leistung bringt, wenn man reinkommt oder mental an der Seite. Mir ist es immer sehr wichtig, eine engere Bindung zu meinen Torwartkolleginnen zu haben, weil man einfach viel Zeit miteinander verbringt. Man steht eigentlich alleine hinten drin, aber man weiß, dass man immer jemanden hat, der es genauso fühlt, der die gleichen Gedanken hat.

Sie kommen aus Süddeutschland – wie sind Sie beim BVB angekommen?
Ich fühle mich hier voll wohl. Ich kannte vorher einige Spielerinnen, dadurch war es etwas leichter. Lena Degenhardt ist eine meiner besten Freundinnen, wir kennen uns seit der Jugend und sind zufällig gemeinsam hierher gewechselt. Auch sportlich ist der BVB für mich mit Clara Woltering als Torwarttrainerin perfekt, da hat man in den letzten eineinhalb Jahren gesehen, dass ich einen großen Schritt nach vorne gemacht habe.
Es ging für Sie zuletzt auch rasant: WM-Platz sechs, erstmalige Olympia-Qualifikation seit 2008…
Als Außenstehender empfindet man das sicher als ein Highlight nach dem anderen – und klar: Von den Olympischen Spielen träumt jeder Sportler. Aber es sind auch viele Dinge, die einen zum Hadern gebracht haben – gerade, wenn es nicht so erfolgreich lief. Wir haben nicht so viel Zeit, das zu verarbeiten. Olympia, EM, European League mit dem BVB – das Tempo ist einfach krass. Ich bin nicht unzufrieden, wenn der Sommer kommt und ein paar Wochen Urlaub anstehen.
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Da belächelt man ja fast die Fußballer, wenn dort von Überbelastung gesprochen wird?
Ja, das ist schon immer witzig, wenn man dann hört, dass sie hier und da mal Englische Wochen haben. Aber ich finde, man sollte die beiden Sportarten nicht miteinander vergleichen. Sie sind doch sehr unterschiedlich – Fußball ist nochmal eine ganze Ecke größer als Handball. Ich denke, wir Handballer wären froh, wenn man so viel Freizeit wie die Fußballer hätten. Andererseits weiß ich auch nicht, ob ein Fußballerleben eines wäre, das mir gefallen würde. Du hast ja kein Privatleben mehr, kannst nie nach draußen gehen, ohne, dass dich wer erkennt. Da ist Handball schon der perfekte Sport. Klar, wird man auch mal erkannt, aber es wäre niemals so, dass du kaum rausgehen kannst.
Nun machen Sie am Wochenende gemeinsame Sache mit den Fußballern – was halten Sie davon, werden Sie sich das Union-Spiel anschauen?
Ich persönlich nicht, weil meine Mutter zu Besuch ist und ich mit ihr nach unserem Spiel etwas unternehmen möchte. Aber es gibt schon einige Spielerinnen, die sich im Anschluss ins Stadion verirren werden. Die Idee finde ich total gut. Der BVB hat einfach die Möglichkeiten, sowas zu machen. Natürlich nicht jede Woche, aber so als Highlight, vielleicht einmal im Jahr, ist das eine sehr, sehr coole Sache, auf die wir uns sehr freuen. Wir hatten ja vorher auch einige gemeinsame Termine mit den Fußballern. Ich denke, das tut dem ganzen Verein gut, wenn man sich untereinander kennenlernt und merkt, das sind ja auch nur Menschen. Es ist auch toll, dass der Fußball dazu bereit ist. Denn man muss ehrlich sagen: Frauenhandball ist eine kleine Nische und längst nicht so gr0ß wie Männerhandball. Da bin ich sehr dankbar.
Erleben Sie eine Veränderung in der Wahrnehmung des Frauenhandballs?
Auf jeden Fall. Man hat gemerkt, dass gerade durch die Olympiaqualifikation ein Aufschwung kam. Aber für den ganz großen Boom hat es leider nicht gereicht, dafür hätten wir ein positives olympisches Erlebnis gebraucht. Klar, war das Viertelfinale gegen Frankreich für uns alle ein Highlight – aber mit zwei Punkten in ein Viertelfinale zu kommen, ist auch ein bisschen Glück.
Die nächste Chance steht im Dezember mit der Heim-WM an…
Das wird eine ganz, ganz große Möglichkeit für uns sein, auf uns aufmerksam zu machen. Wenn wir da erfolgreich sind, werden auch mehr Menschen kommen. Da müssen wir uns als Sportler, Trainer, als Verband bewusst sein, dass das eine riesige Chance für die Sportart ist. Das, was der BVB jetzt macht, hilft da schon enorm, Frauenhandball mehr ans Licht zu bringen. Jetzt liegt es an uns, das erfolgreich zu machen.
Für Sie als BVB-Spielerin ist es ja sogar ein doppeltes WM-Heimspiel…
… sogar dreifach, vierfach – denn in Stuttgart bin ich auch zu Hause, da spielen wir ja die Vorrunde. Da hat der DHB vielleicht nach meiner Vita geguckt… (lacht)
Sind Sie jemand, der in der seiner jeweiligen Mannschaft vorangeht?
Ich denke, da sind wir viele in der Mannschaft, die Dinge ansprechen und hinterfragen, was nicht so gelaufen ist. Der wichtigste Punkt ist, dass es an der Zeit für uns ist, mal einen Schritt nach vorne zu machen, auch mal gegen eine größere Nation zu gewinnen – und nicht nur gegen vermeintlich leichtere Gegner. Die Qualitäten haben wir.
Woran hakt es?
Das ist eine gute Frage – wenn wir das wüssten, wären wir längst erfolgreich, die Antwort suchen wir noch. Im Team stimmt es, wir verstehen uns alle gut, das ist ein super Fundament. Jetzt heißt es, in den Spielen, in denen es um was geht, da zu sein, sich nicht zu verstecken, keine Angst zu haben, Fehler zu machen.
In der European League ist das leider nicht gelungen – das Spiel am Samstag ist sportlich bedeutungslos.
Umso bitterer, dass wir rausgeflogen sind. Es wäre noch cooler, wenn es um was gehen würde. Das ist beim BVB derzeit ähnlich wie bei der Nationalmannschaft, dass manchmal das letzte Prozent fehlt, das es in diesen Spielen braucht. Eigentlich sind wir Favorit – und kriegen es dann halt irgendwie nicht hin.
Das kennen ja auch die BVB-Fußballer ein stückweit: Gegen vermeintlich kleinere Gegner hakte es zuletzt öfter…
Ja, vielleicht liegt da ein kleiner Fluch auf dem Verein. (lacht)
Wie blicken Sie nun auf den Rekordversuch – waren Sie beim letzten Mal dabei?
Das war vor meiner Zeit. Ich meine, es war sogar an dem Tag, als veröffentlicht wurde, dass ich zum BVB wechsle. Aber ich erwarte natürlich eine geile Stimmung, alles in schwarzgelb – darauf freue ich mich. Wir wollen das zu einem Event machen, alles genießen und den Fans die Dankbarkeit zurückgeben, dass sie gekommen sind. Es ist einfach wichtig, dass wir zeigen, dass wir coole Mädels sind – und natürlich am Ende gewinnen.
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Kann das ein Vorgeschmack auf Heim-WM sein?
Ich denke schon, der DHB ist auch schon gut dabei mit dem Ticketverkauf, da werden die Hallen auch voll sein. Da ist viel drin, wenn du die Fans in deinem Rücken hast. Egal, wo die Turniere sonst stattfinden: Da verirren sich ja höchstens unsere Eltern in die Halle. Deswegen bin ich auch froh, dass der DHB auch gut Werbung für andere Spiele macht. Aber das funktioniert in Deutschland ja auch wirklich gut. Das hat man vergangenes Jahr bei den Männern gesehen: Da war die Stimmung überall da, die Hallen voll; jetzt in Dänemark und Norwegen bei der WM war nur dann was los, wenn auch die Heimmannschaft gespielt hat. Das ist dann natürlich schade. Da macht Deutschland einen guten Job.
Dabei ist es perspektivisch doch extrem wichtig, den Sport in anderen Ländern populär zu machen.
Ja, absolut. Der Handball hat leider den Sprung verpasst, international noch größer zu werden. Was im Basketball zum Beispiel besser gelungen ist. Vielleicht liegt das auch daran, dass die Turniere immer in den gleichen Ländern – vor allem in Europa – stattfinden. Das ist ja auch noch ein Punkt: Es ist ein europäischer Sport, der leider nicht so in die Welt geht wie Fußball. Da müssen sich die Verantwortlichen hinterfragen, was man besser machen könnte.
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Das Horror-Szenario ist sicherlich, dass Handball genau wegen dieser Probleme irgendwann nicht mehr olympisch ist…
Genau, das wäre katastrophal. Es ist aber möglich – gerade wenn die Spiele in Ländern stattfinden, die sich lieber andere Sportarten im Programm wünschen. Da kannst du als kleiner Handball leider nicht viel dagegen tun.
Es ist schon eine Schieflage: In Deutschland ist Handball riesig, in der Welt ganz klein.
Ja, in Skandinavien ist es auch noch sehr groß. Aber ich habe zum Beispiel Familie in den USA, die wussten gar nicht, was Handball ist. Denen musste ich erstmal Videos schicken und erklären, wie es gespielt wird.
Und wenn es der Handball schon schwer hat, hat es der Frauenhandball im Speziellen erst recht. Was kann man tun?
Es ist noch nichts verloren. Wir müssen einfach solche Events wie jetzt vom BVB nutzen. Auch wenn es erstmal nur in Deutschland ist – aber es tut dem Frauenhandball ja auch gut, hier zu wachsen und medial anders wahrgenommen zu werden. Mit der Nationalmannschaft kann man sicherlich nochmal mehr machen – die geht einem ja immer ans Herz. Egal, was man da schaut, wenn man sieht, wie jemand für Deutschland kämpft, ist man ja sofort dabei – zumindest geht mir das so. Sowas müssen wir nutzen und probieren, unseren Sport voranzutreiben.
Ist die Marke BVB da nicht ein riesiger Faktor? Wenn nur die Hälfte der Fans auf der Südtribüne zum Handball käme, wäre die Halle mehr als voll…
Ja, absolut. Deshalb ist es so wichtig, dass wir eine eigene Halle bekommen. Unsere Bundesligaspiele bestreiten wir sehr abgelegen in Wellinghofen. Weil die Halle aber nicht zeitgemäß ist, weichen wir bei internationalen Spielen nach Hamm aus, weil dort die geforderten Bedingungen gegeben sind. Das ist keine Dauerlösung. Der BVB ist so eine große Institution und natürlich wissen wir, dass unser Anliegen nicht ganz oben auf der Liste steht, aber trotzdem denke ich, dass sie das hinkriegen könnten. Wir wollen in Dortmund spielen, wir wollen, dass die Dortmunder vorbeikommen, dass Werbung gemacht wird. Am besten wäre eine Halle in der Nähe des Signal Iduna Parks, damit die Leute sehen: Da spielt der BVB, da gehe ich hin.
Sind die Bedingungen in anderen Vereinen in Deutschland besser?
In Ludwigsburg jetzt zum Beispiel spielen sie in einer sehr coolen Arena. Trainieren werden sie dort auch nicht, sondern in einer Schulhalle. Das ist in Deutschland leider generell so, dass du dann um 7 Uhr trainieren musst, weil um 9 Uhr die Schulkinder kommen. Das sind so kleine Dinge. Und wenn du dann hörst wie es im Ausland – in Ungarn, Rumänien oder Skandinavien – ist, wo jede Mannschaft ihre Kabine hat, kannst du schon verstehen, warum viele dahin wechseln. Auch die Wertschätzung soll anders sein. Da muss Deutschland schon noch ein bisschen nachholen.
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Ist der Weg für Sie eine Option?
Ich kann es mir auf jeden Fall irgendwann vorstellen. Aktuell noch nicht. Aber ich denke, wenn du als Sportler die Chance hast, auch eine andere Kultur kennenzulernen, über den Tellerrand hinauszuschauen, dann ist das eine super Erfahrung und bringt einem auch persönlich unglaublich viel. Ich sehe mich da schon in den nächsten Jahren in einem – hoffentlich – Topklub in Europa. Gerade um international Titel zu gewinnen.
Kann man als Handball-Nationaltorhüterin vom Sport leben?
Während der aktiven Karriere ja, aber nicht in jedem Klub und definitiv nicht danach. Ich studiere daher nebenbei BWL – natürlich nicht in dem Tempo, in dem es normale Studenten tun. Das ist mir schon wichtig, was zu haben.
Sie sind noch jung, haben aber schon viel Entwicklung erlebt…
Das stimmt. Ich denke, es könnte noch viel, viel mehr sein, wenn wir richtig erfolgreich wären mit der Nationalmannschaft. Bestes Beispiel sind ja die Fußballerinnen. Die sind ja 2022 bei der EM in England von ganz unten nach ganz oben durchgeschossen, jeder hat sie geliebt. Die waren so sympathisch. Ich denke, das ist ein Ding, das wir Frauen schaffen können: über Sympathie und Nahbarkeit die Leute zu gewinnen. Da ist noch viel Potenzial.
Beim Thema Gleichberechtigung ist der Handball vorbildlich. Der Deutsche Handball-Bund (DHB) zahlt nicht nur gleiche Prämien, sondern nun auch Tagegelder für Männer und Frauen. Das fühlt sich doch sicher gut an?
Ja, total. Am Tag des Handballs kommen wir ja regelmäßig mit den Männern zusammen, man versteht sich super, ist einfach ein Team. Der DHB an sich gibt einem da auch ein gutes Gefühl: Da fühlt man sich einfach wertgeschätzt. Es ist schön zu sehen, dass sich da Mühe gegeben wird. Ich habe auch das Gefühl, dass es den Verantwortlichen wichtig ist, weil sie viel mit uns darüber sprechen. Dieser Austausch ist sehr gut.
Und wie ist es beim BVB? Großen Fußballklubs wird oft nachgesagt, sie würden andere Teams – gerade weibliche – nur aus Imagegründen fördern.
Das erlebe ich gar nicht so. Man spürt die Wertschätzung – wenn die Halle voll ist von den Fans, aber auch von den Verantwortlichen. Das Schöne ist: Dass sie es annehmen und sich kümmern, wenn wir Dinge ansprechen, die vielleicht nicht ideal laufen. Da sind wir in einem guten Austausch. Natürlich wissen wir, dass auch beim BVB nicht alles geht, dass das Geld mit dem Fußball gemacht wird, aber es wird schon viel für uns getan. Gerade wenn es man es mit anderen Vereinen vergleicht. Das ist nicht selbstverständlich.
Wie würden Sie Ihre eigene Rolle beschreiben?
Früher hätte ich gesagt: Ich bin für den Spaß zuständig und mache gerne Witze. (lacht) Das mache ich auch immer noch. Aber ich würde auch sagen, dass ich persönlich sehr gewachsen bin, auch mal was Unangenehmes anspreche, mich mit den Mädels darüber austausche. Da habe ich einen Schritt nach vorne gemacht und will diese Rolle als Führungsspielerin nicht nur sportlich, sondern auch neben dem Feld ausfüllen. Das ist der größte Schritt, den ich neben dem Handballerischen bei Dortmund gemacht habe.
Was sind Ihre Ziele für diese Saison?
Ich würde gerne einen Titel gewinnen – ich habe leider noch keinen. Und mein Ziel ist es, Deutschland nicht zu verlassen, so lange ich keinen Titel gewonnen habe. Das Final Four um den DHB-Pokal steht an und auch in den Play-offs zur Meisterschaft können wir auf eine gute Position hoffen. Von daher: Ein Titel wäre super – ob Pokal oder Deutscher Meister wäre mir am Ende egal.
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Und dann noch ein WM-Titel im Dezember zu Hause?
(lacht) Das wäre natürlich das Beste – oder überhaupt eine Medaille.