Dortmund. Nach dem Aus von Nuri Sahin läuft beim BVB die Suche nach einem neuen Trainer. Kandidat Niko Kovac reagierte bereits auf die Gerüchte.
In manch einem Mitarbeiter von Borussia Dortmund schlummert ein ausgezeichneter Tetris-Spieler. Jeder Koffer, der in den schwarzen Van gehievt wurde, fand seinen Platz. Die großen auf den kleinen und andersherum. Irgendwann am Mittwochnachmittag war er abfahrtbereit, alle Gepäck-Puzzleteile waren an ihrem Platz.
Selten war Koffer-Tetris von einer größeren Medienschar begleitet worden. In den Ankunftsbereich des Dortmunder Flughafens waren diverse Stative gepflanzt worden. Die Kameras leuchteten, die Linsen der Fotografen klickten. Denn vor den Koffern stand Lars Ricken, der noch immer recht neue Sport-Geschäftsführer des BVB.
Der 48-Jährige spricht eigentlich nicht nach gewöhnlichen Champions-League-Spielen. Und so viele Reporterinnen und Reporter wie am Mittwoch nehmen die Mannschaft des Ballspielvereins normalerweise auch nicht Empfang. Aber die Partie am Vorabend in Bologna, die 1:2-Niederlage, die hatte den BVB mächtig durchgeschüttelt – und sie endete mit der Trennung von Trainer Nuri Sahin.
BVB: Trennung von Nuri Sahin trifft Lars Ricken emotional
„Das tut dann schon richtig weh“, sagte Ricken nach der wichtigsten Entscheidung seiner bisherigen Amtszeit. Er hatte die Reißleine gezogen, seinen ehemaligen Mitspieler, der es vom Balljungen zum Profi geschafft hat und sieben Monate auf der Trainerbank saß, freigestellt. Die Verantwortlichen, zu denen neben Ricken auch BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, Sportdirektor Sebastian Kehl und der externe Berater Matthias Sammer zählen, hatten die Entscheidung lange hinausgezögert. Nach der vierten Niederlage im vierten Spiel des neuen Jahres blieb ihnen keine andere Wahl, um den besorgniserregenden Abwärtstrend des Vereins zu stoppen. Ricken berichtete von der emotionalen Verabschiedung von Sahin. Viele Spieler schickten Grüße über ihre Accounts in den sozialen Netzwerken an den 36-Jährigen. Aber: „Bei all dem Frust, den wir heute verspüren“, sagt Ricken, „müssen wir professionell mit der Situation umgehen.“
Und das tat Ricken, indem er schweren Herzens das als Langzeitprojekt angelegte Engagement von Sahin vorzeitig beendete. Die Co-Trainer Lukasz Piszczek, Joao Tralhao und Ertugrul Arslan müssen ebenfalls gehen. An diesem Donnerstag wird Mike Tullberg, Coach der erfolgreichen Dortmunder U19, interimsweise die Einheit in Brackel leiten. Der Däne, der jüngst kurz vor einem Job beim norwegischen Erstligisten Brann Bergen stand, wird auch am Samstag auf der Bank Platz nehmen. Dann hofft der BVB im Bundesliga-Heimspiel gegen Werder Bremen (15.30 Uhr/Sky) auf den ersten Sieg im neuen Jahr. Und dann?
Ricken war schon als NLZ-Direktor der Vorgesetzte von Tullberg, hat eine hohe Meinung vom impulsiven 39-Jährigen. Eine Zukunft allerdings hat dieser als Cheftrainer in Schwarz und Gelb nicht. „Ich bin großer Fan davon, wenn jemand aus dem eigenen Stall gute Leistung bringt, den dann auch zu befördern“, meint Ricken. „Allerdings glaube ich, dass wir in unserer jetzigen Situation oder prinzipiell auch für Entwicklungssprünge auch immer wieder einen externen Input braucht.“ Man habe auch „den einen oder anderen Kandidaten“, so Ricken.
BVB auf Trainersuche: Es gibt verschiedene Szenarien
Denkbar sind aus Sicht des BVB verschiedene Szenarien. Erstens, man findet jemanden, der in Dortmund etwas aufbauen kann, mit dem man sich langfristig eine gemeinsame Zukunft vorstellen kann. So jemand aber ist derzeit nicht auf dem Markt, müsste also – mit oder ohne Ausstiegsklausel – für viel Geld aus einem anderen Vertrag herausgekauft werden. Zweitens, ein erfahrener Cheftrainer bringt die Saison zu Ende, anschließend trennen sich die Wege. Oder drittens, man stellt jemanden bis zum Sommer ein, hält sich aber die Option offen. Bei den Szenarien zwei und drei würde die Wahl auf einen vereinslosen Trainer fallen.
Diskutiert worden ist beim BVB daher der Name von Erik ten Hag, 54, der mit Ajax Amsterdam fulminanten Fußball spielen ließ, bei Manchester United aber scheiterte. Gesprächsbereit wäre auch der ehemalige Bundesliga-Trainer Roger Schmidt (57). Ebenso zu den Kandidaten zählt Niko Kovac, früher angestellt bei Bayern München und Frankfurt. Nach Informationen dieser Redaktion wäre der 53 Jahre alte frühere kroatische Nationalspieler allerdings nicht die 1A-Lösung der Bosse. Dass ein Sahin-Nachfolger vor Sonntag präsentiert wird, gilt als unwahrscheinlich.
BVB-Kandidat Niko Kovac dementiert Gespräche
Am Mittwochabend äußerte sich Kovac bei Canal+: „Da gibt es nichts zu berichten. Niemand hat mit mir gesprochen, ich habe mit niemandem gesprochen“, so der gebürtige Berliner über die anhaltenden Gerüchte. Nach einer heißen Spur klingen diese Worte erst einmal nicht. Generell ist Kovac aber offen für einen neuen Trainerjob: „Grundsätzlich bin ich ein Typ, der Herausforderungen braucht und sucht. Ich habe jetzt neun Monate lang nichts getan. Aber irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem ich wieder etwas machen werde.“
Als Ricken am Mittwoch zu den Medien sprach, war Sahin schon nicht mehr Teil des Dortmunder Reisetrosses. Er war separat zu der Mannschaft ins Ruhrgebiet zurückgekehrt. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte er am Dienstagabend, kurz vor Mitternacht, im altehrwürdigen Stadio Renato Dall’Ara, in dem der BVB trotz 1:0 Führung durch Serhou Guirassy (15., Foulelfmeter) nach einem Doppelschlag durch Thijs Dallinga (71.) und Samuel Illing-Junior (72.) noch mit 1:2 verlor und den vorzeitigen Sprung ins Königsklassen-Achtelfinale verpasst hatte.
BVB: Nuri Sahin zählt zum Abschied den Klub an
Um seine Person gehe es gar nicht, betonte Sahin, „sondern um den Verein, der durch eine schwierige Zeit geht. Und: „Wenn ein Trainerwechsel all die Probleme, all die Nebenkriegsschauplätze löst, dann ist das kein Problem. Dafür bin ich der Trainer, ich bin in der Verantwortung für die Leistung. Am Ende müssen wir liefern.“ Nebenkriegsschauplätze, dieses Wort ließ tief blicken.
Es dokumentiert nämlich, dass in diesem Verein einiges im Argen liegt. Angefangen bei der Mannschaft, der es an Konzept, Hierarchie und Führung fehlt. Aber auch auf der Ebene der sportlichen Entscheidungsträger, wo es seit dem Sommer große Spannungen gibt. Ein Trainerwechsel allein wird kaum reichen, um den BVB zurück in die Spur zu bringen.
BVB: Mehr News und Hintergründe zu Borussia Dortmund
- BVB: Schon bald soll das Problem Kehl/Mislintat gelöst werden
- BVB: Nuri Sahin ist nicht mehr Trainer von Borussia Dortmund
- BVB am Boden: Warum das Projekt Sahin so schnell gescheitert ist
- BVB: Ablauf zum Sahin-Aus mit Video – Lukas Pisczek zeigt Loyalität
- Er war schon fast weg: Wer ist BVB-Interimslösung Mike Tullberg?
- Nur ein BVB-Trainer seit Klopp schneidet schlechter ab als Sahin