Kiel. Der BVB will eine Diskussion um Trainer Nuri Sahin vermeiden. Der Druck aber wird immer größer. Eine Grundsatzentscheidung steht bevor.
Alles ist ein wenig muckeliger, enger, einfacher im Kieler Holstein-Stadion. Auch der Pressekonferenz-Raum, in dem Nuri Sahin am Dienstagabend saß, und Marcel Rapp zuhören musste, wie der gebürtige Pforzheimer den 4:2-Erfolg samt sensationellen 3:0-Halbzeitvorsprung über Borussia Dortmund in angeeigneter norddeutscher Nüchternheit analysierte. „Wir sind auf dem richtigen Weg und schauen, was am Ende dabei herausspringt“, meinte der Kieler Trainer.
Der Kontrast zu Sahins Emotionen waren riesig. Der BVB-Coach wirkte konsterniert und fassungslos in seinem schwarzen Rollkragen-Pullover, dessen Farbe zur Stimmung rund um den Verein in diesem Januar passt. Unter Sahin haben die Dortmunder die schwächste Hinrunde seit zehn Jahren gespielt, sie dümpeln im grauen Mittelfeld der Tabelle herum statt um Titel zu kämpfen. Am Dienstag im trüben Kiel kamen sie am vorläufigen Tiefpunkt an. Als Kiels Angreifer Fiete Arp den Ball in der Nachspielzeit von der Mittellinie zum 4:2-Endstand ins leere Dortmunder Tor schoss, war dies die perfekte Illustration des schwarz-gelben Versagens.
BVB-Trainer Nuri Sahin redet sich in Rage
„Eine beschämende Leistung“, sagte Sahin. „Von der ersten bis zur letzten Minute war das eine Leistung, die einem Verein wie dem BVB nicht gerecht wurde.“ Der 36-Jährige redete sich in Rage. „Wir haben überhaupt nicht angenommen, was uns hier erwartet hat. Dass wir ihnen Geschenke machen, indem wir die Bälle ins Zentrum spielen. Das wird Konsequenzen haben. Im Moment ist es beschämend, dass ich hier sitze und wir so eine Nicht-Leistung gebracht haben.“ Die Grippewelle wollte Sahin nicht als Ausrede gelten lassen, selbst elf kranke Spieler hätten diesen Auftritt nicht legitimiert. Für Sahin war klar, dass er für die peinliche Pleite in Kiel die „volle Verantwortung“ übernimmt.
Wie aber geht es nun weiter?
In Frankfurt bereiten sich die Dortmunder auf den Rückrunden-Auftakt am Freitagabend (20.30 Uhr/DAZN) bei der Eintracht vor. Sahin, das stellte Sport-Geschäftsführer Lars Ricken klar, steht nicht zur Disposition. „Wir werden keine Trainerdiskussion führen, sondern die Mannschaft in die Verantwortung und in die Pflicht nehmen“, meinte Ricken. „Peinlich, beschämend, unwürdig“, sei die Partie im hohen Norden gewesen. Über die Qualifikation für die Champions League, selbst über die Europapokal-Teilnahme generell wollte der noch immer recht neue BVB-Sportchef nicht sprechen. „Der Tabellenplatz ist verdient und nicht aufgrund von Verletzungen oder unglücklichen Umständen zustande gekommen“, so Ricken.
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Zweifel an BVB-Trainer Nuri Sahin wachsen
Andererseits gilt keine Job-Garantie ewig, besonders nicht im Profifußball, und erst recht nicht beim BVB, wenn die Saisonziele in Gefahr geraten. Das wissen Ricken und Sahin gleichermaßen. Der Druck auf Sahin ist riesig, die Ergebnisse nach der Winterpause lassen bei vielen wieder die Zweifel wachsen, dass dem Trainer-Frischling die Eignung für einen Klub wie den BVB fehlt. Dem allerdings könnte man entgegenhalten, dass es auch andere, viel erfahrenere Übungsleiter nicht geschafft haben, Ansprung und Realität in Dortmund in Einklang zu bringen.
Problem-Ursache und -Lösung stets auf der Bank zu suchen und zu finden, das sind keine nachhaltigen Ansätze, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Bislang deutet nichts darauf hin, dass Ricken in Panik verfällt. Verfügbar sind Kandidaten wie Erik ten Hag (54) oder Roger Schmidt (57). Ob sie mehr als einen Impuls setzen könnten, erscheint höchstfraglich. Die Komplikationen liegen tiefer. Trainer Sahin fordere „Ehrlichkeit, wenn man in den Spiegel schaut. Ehrlichkeit gegenüber der Mannschaft, Ehrlichkeit im Verein. Wir müssen uns dieser Situation stellen, ich vornweg.“ Es sei Zeit, dass „wir uns in der Mannschaft, aber auch im Verein die Wahrheit sagen.“ Konkret wurde der Trainer nicht.
Frage um den BVB-Trainer: Grundsatzentscheidung steht bevor
Verbrieft ist aber, dass Sahin seinen Klub, der ihm wie kein anderer am Herzen liegt, umkrempeln möchte. Mitreißender Ballbesitz-Fußball soll auf dem Rasen gezeigt werden, er will eine Leistungskultur im Team etablieren, „satte“ Spieler lieber gestern als morgen loswerden, die Außendarstellung des BVB verändern, Siegermentalität schaffen. Dafür müssten die Verantwortlichen ihm mehrere Transferperioden zugestehen, um den Kader, dem Führungsstärke und Tiefe fehlt, umzubauen. Eine Grundsatzentscheidung steht bevor.
Nuri Sahin hätte große Pläne für Borussia Dortmund. Ob er sie umsetzen können wird, ist offen. Weil er Zeit benötigt, die er eigentlich nicht hat.
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