Essen/Herzogenaurach. Leroy Sané hat beim 2:2 gegen Ungarn nicht überzeugt. Die Kritik am Stürmer der Bayern wächst. Kann er bei der EM noch helfen?
Die EM sollte Leroy Sanés (25) endgültiger Durchbruch werden. Doch die Zweifel am Offensivspieler vom FC Bayern München werden immer größer. Er bringt Deutschland nicht weiter“, behauptete Lothar Matthäus. „Er ruft sein Potenzial viel zu selten ab“, sagte Michael Ballack. Kann der ehemalige Schalker der deutschen Mannschaft bei dieser Europameisterschaft noch entscheidende Impulse verleihen? Darüber haben wir diskutiert.
Pro: Leroy Sané bleibt auch als Joker wichtig für das DFB-Team
Von Sebastian Weßling
Leroy Sané hat gegen Ungarn nicht sein bestes Spiel gemacht, das weiß er selbst und das wissen auch alle anderen. Er war aber auch nicht der schlechteste deutsche Spieler, er war immerhin sehr präsent und engagiert, er mühte sich redlich, seiner Mannschaft zu helfen, obwohl vieles misslang. Aber immerhin hatte er viele Aktionen, das konnte man gegen Ungarn nicht von allen deutschen Spielern sagen.
Leroy Sané ist ein außergewöhnlich hochbegabter Fußballer, das ist an guten Tagen ein Segen und an schlechten ein Fluch. Denn von ihm wird mehr erwartet als von vielen Kollegen. Er soll Spiele im Alleingang entscheiden, nicht nur hin und wieder, sondern regelmäßig. Das ist viel verlangt bei einer EM. Schlechte Spiele darf sich so einer erst recht nicht leisten.
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Wenn gegen England Thomas Müller in die Startelf zurückkehrt und auch Leon Goretzka mit Vehemenz hineindrängt, wird Sané wohl wieder auf der Bank sitzen. Dennoch bleibt er wichtig. Denn der frühere Schalker ist ein Spieler, wie es ihn sonst kaum gibt im deutschen Kader: Er ist schnell, dribbelstark, er kann mit einem Antritt, einer Finte ganze Abwehrreihen auseinanderhebeln oder zumindest so in Unruhe versetzen, dass sich Räume für die Kollegen öffnen. Solche Spieler braucht man, wenn sonst wenig geht, wenn der Gegner dichtgestaffelt steht und man mit seinen Pässen nicht durchkommt. Dann können sie, von der Bank kommend, das Spiel verändern.
Bei einem Turnier kann eine einzige Situation entscheiden zwischen Triumph und Tragödie – siehe Mario Götze, der 2014 kein gutes Turnier spielte, aber das entscheidende Tor zum Titel schoss. Sané ist ein Spieler für solche Aktionen – und deswegen weiter ein wichtiger Bestandteil dieses Kaders.
Contra: Leistungen von Leroy Sané sind aktuell nicht gut genug
Von Martin Herms
Es ist keine Frage von Qualität, wenn es darum geht, die Situation von Leroy Sané bei der deutschen Nationalmannschaft zu analysieren. Das Schalker Eigengewächs hat herausragende fußballerische Fähigkeiten. Kein deutscher Spieler vereint Tempo, Technik und Kreativität so gekonnt wie Sané. 2018 wurde er zum besten Nachwuchsspieler der Premier League gewählt, der besten Liga der Welt. Anschließend hätte er für Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Russland spielen müssen. Er wurde von Bundestrainer Joachim Löw nicht eingeladen. Ein fataler Fehler.
Ob die Nichtnominierung noch eine Rolle spielt, darüber lässt sich nur spekulieren. Dem Selbstbewusstsein Sanés hat es sicher nicht geholfen. Seit der Nichtberücksichtigung geben seine Leistungen in der Nationalmannschaft Rätsel auf. Er ruft sein Potenzial nicht ab. Vor allem seine Körpersprache treibt viele Fans vor den TV-Bildschirmen zur Weißglut.
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Leory Sané scheint aktuell ein Kopfproblem zu haben, anders lassen sich Spiele wie gegen Ungarn nicht erklären. Sané war bemüht, arbeitete fleißig nach hinten. Doch für einen Spieler, der einst als größtes Talent des deutschen Fußballs galt, ist das zu wenig.
Sanés Blockade im Kopf wird sich nicht bis zum EM-Achtelfinale lösen lassen. Löw wäre gut beraten, ihn nach Thomas Müllers Genesung wieder auf der Bank zu lassen. Der junge Jamal Musiala hat gegen die Ungarn bewiesen, dass er als Einwechselspieler aktuell die bessere Alternative ist.
Es war Sanés erste Saison nach einer längeren Verletzungspause. Er sollte die Sommerpause nutzen, um neue Motivation für einen erneuten Anlauf bei den Bayern zu schöpfen. Möglicherweise wird es dem neuen Trainer Julian Nagelsmann gelingen, den 25-Jährigen wieder in die Spur zu bekommen. Überzeugt Sané wieder regelmäßig im Verein, wird er auch bei der Nationalmannschaft den Durchbruch schaffen. Bei dieser EM wird das nicht mehr der Fall sein.