Seefeld. Leroy Sané ist einer der talentiertesten deutschen Fußballer. Beim Nationalteam wirkt er aber oft lustlos. Um seinen Platz muss er kämpfen.
Mit einem Mal taucht Leroy Sané in unerwarteter Position auf, prompt wird es hektisch. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat eine Medienrunde im Trainingslager in Seefeld, in Corona-Zeiten natürlich digital. Die Spieler laufen von Bildschirm zu Bildschirm, nach festgelegter Reihenfolge. Irgendwann sitzt Sané vor dem falschen Bildschirm und muss wieder weggeführt werden, damit das ausgeklügelte System nicht gesprengt wird.
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Leroy Sané ist eben ein unberechenbarer Spieler mit überraschenden Laufwegen. An guten Tagen kann er damit jede Abwehrreihe der Welt auseinanderhebeln. An weniger guten treibt er damit die eigenen Leute zur Verzweiflung.
Innsbruck, Testspiel der DFB-Auswahl gegen Dänemark (1:1). Nach einer knappen Stunde ein Ballverlust der Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw. Statt sofort nachzusetzen, bleibt Sané stehen. „Leroy, geh drauf!“, brüllt Joshua Kimmich. Der schimpft erst zurück, holt sich Sekunden später für ein ungestümes Einsteigen gegen den Dänen Daniel Wass die Gelbe Karte ab und schimpft dann weiter in Richtung Kimmich. „Hör auf zu jammern, Alter!“, faucht der.
Rüffel von den Mitspielern für Leroy Sané
Es war nicht der erste Rüffel für den Tempodribbler. Zuvor hatte ihn schon Niklas Süle gerügt, in den Tagen zuvor gab es im Training eine Ansage von Emre Can. Denn in den ersten Trainings wirkte Sané teils abwesend, manchmal gar lustlos. Es schien fast, als würde den 25-Jährigen etwas bedrücken. „Nee, da war alles gut“, sagt er, darauf angesprochen. „Ich war voll mit dabei. Ich freue mich, hier zu sein und versuche, vorneweg zu gehen.“
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Noch aber passen Worte und Taten nicht hundertprozentig zusammen, Sané gibt derzeit Rätsel auf. Dass er einer der begabtesten deutschen Fußballer ist, bestreitet niemand. Vollsprints mit Ball eng am Fuß, schnelle Haken, überraschende Finten – das beherrschen so nur ganz wenige. „Was er mit dem Ball anstellen kann, ist unfassbar“, staunt Nationalmannschaftskollege Robin Gosens. „Er ist ein Geschenk für jede Mannschaft.“
Sané galt schon als eines der größten Versprechen im deutschen Fußball, als er 2014 für Schalke in der Bundesliga debütierte. 2016 wechselte er, mit gerade mal 20 Jahren, für über 50 Millionen Euro Ablöse zu Manchester City und war damit der bislang teuerste deutsche Profi. Vor einem Jahr ging es für immerhin 45 Millionen Euro zum FC Bayern.
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Dass die Summe nun niedriger war, lag einerseits an einem Kreuzbandriss samt langer Pause. Es zeigte aber auch, dass der Durchbruch bisher ausgeblieben war. Außerhalb verfestigte sich zudem das Bild des arroganten, selbstverliebten Jungprofis, das dieser durch ein gewaltiges Tattoo auf seinem Rücken noch befeuerte: Es zeigte ihn selbst beim Torjubel. 2018 wurde er vor der WM gar aus dem Kader gestrichen, was gemeinhin als gewaltiger Fehler des Bundestrainers Joachim Löw galt – aber auch zeigte, dass Sané weit weg war davon, unverzichtbar zu sein.
Das Tattoo bereut Sané inzwischen. Hat er auch anderweitig dazugelernt? Ja, findet Marcus Sorg. „Er hat eine wahnsinnige Entwicklung hinter sich, was die Seriosität und die Einstellung zu seinem Beruf angeht“, sagt Löws Co-Trainer. Zielstrebiger sei Sané nun, beim FC Bayern lernte er unter Hansi Flick defensiv dazu, arbeitet mehr mit zurück – auch wenn es da noch Luft nach oben gibt. Sané ist ein Künstler am Ball, da ist Sorg gewillt, über Kleinigkeiten hinwegzusehen. „Nicht alle Spieler sind gleich, man kann nicht von allen das Gleiche erwarten. Jeder hat Stärken und Schwächen, ein bestimmtes Profil mit bestimmten Eigenschaften – da muss man auch mal Dinge in Kauf nehmen.“ Wenn aber der Erfolg in Gefahr gerät, weil einer defensiv nicht mitzieht – dann ist bei einem ehrgeizigen Mitspieler wie Kimmich die Geduld schnell ausgereizt.
Weitere Konkurrenz ist in Seefeld eingetroffen
Sané immerhin weiß, dass er sich steigern muss: „Wenn man meine Leistungen in der vergangenen Saison mit denen davor vergleicht, habe ich keine gute Saison gespielt“, sagt er. Es dauerte, bis Körper und Geist die schwere Verletzung überwunden hatten. „Jetzt fühle ich mich fit und freue mich auf die EM“, sagt Sané. „Ich bin in der bestmöglichen Situation für mich und meinen Körper, ich fühle mich wohl.“
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Er wird es schnell zeigen müssen. Am Freitag sind Kai Havertz und Timo Werner ins Training gestartet, zwei weitere Konkurrenten in der Offensive und frischgekürte Champions-League-Sieger. Da ist es nicht ausgeschlossen, dass einer der begabtesten Fußballer im Kader erneut auf dem falschen Platz zum Sitzen kommt – auf der Ersatzbank.