München. Deutschland steht im Achtelfinale der EM. Gegen Ungarn mühte sich das DFB-Team zu einem 2:2 (0:1). Es kommt es zum Duell mit England.
Es lief die 84. Minute, als sich die Münchner Allianz Arena zu einem echten Hexenkessel verwandelte. Der wenige Minuten zuvor eingewechselte Leon Goretzka drosch den Ball ansatzlos ins ungarische Tor – und Fußball-Herz. Als dann knapp zehn Minuten später die Partie beendet wurde, war das Unheil abgewendet. Deutschland hatte sich ein 2:2 gegen Ungarn erkämpft – und ist dem drohenden EM-Aus gerade noch mal davon gekommen. Was für ein Fußball-Abend in München!
Schon vor dem Spiel durfte man ohne Übertreibung von einer ganz besonderen EM-Stimmung in der Münchner Allianz Arena sprechen. Einige der knapp 14.000 Zuschauer wedelten begeistert mit den zuvor vor dem Stadion von Amnesty International verteilten Regenbogenfahnen. Es war ein kreativer Protest gegen die Uefa-Entscheidung, dass die Arena nicht als Zeichen für Toleranz und gegen Diskriminierung bunt illuminiert werden durfte. Lediglich ein Flitzer, der mit seiner Regenbogenflagge während der ungarischen Nationalhymne auf das Spielfeld lief, übertrieb die gut gemeinte Aktion. Dabei hatte auch Bundestrainer Joachim Löw nur wenig Verständnis für das Verbot der Idee: „Ich hätte mich persönlich sehr gefreut, wenn das Stadion in diesen Farben geleichtet hätte“, sagte er am Vorabend. Und weiter: „Wichtig ist aber auch, dass bei uns sportlich nicht die Lichter ausgehen.“
Damit genau das nicht passierte, entschied sich der 61-Jährige ein wenig überraschend, Flügelstürmer Leroy Sané statt des erwarteten Mittelfeldbrechers Leon Goretzka von Beginn an zu bringen. Überraschung Nummer zwei: Anders als die überzähligen Streichkandidaten Jonas Hofmann, Lukas Klostermann und Christian Günter nahm der angeschlagene Thomas Müller (Kapselverletzung im rechten Knie) statt auf der Tribüne doch auf der Bank Platz.
Wirklich zu schaffen machte beiden Mannschaften aber zunächst weder die eine noch die andere Sturmreihe, sondern viel mehr das Gewitter das kurz vor dem Anpfiff über München zog. „Unwetterwarnung“, lautete der wohlmeinende Hinweis, der auf den Mobiltelefonen der Zuschauer aufleuchtete. Es donnerte, blitzte und schüttete aus Eimern, als wenn es kein Morgen geben würde. Doch rechtzeitig zum ersten Pfiff des russischen Schiedsrichters Sergei Karasev beruhigten sich die sturzartigen Regenfälle vorerst und es konnte fürs Erste doch noch Fußball gespielt werden.
Eine eiskalte Dusche musste die DFB-Auswahl dann aber doch über sich ergehen lassen. Dem ersten echten Angriff der Ungarn vollendete der Mainzer Adam Szalai nach gerade einmal zehn gespielten Minute per Kopf zum frühen 0:1 an Keeper Manuel Neuer vorbei ins Tor. Toni Kroos hatte die Flanke des Freiburgers Roland Sallai nicht verhindern können, im Abwehrzentrum passte die Abstimmung zwischen Mats Hummels und Matthias Ginter nicht. Die bittere Quittung: Der dritte frühe Rückstand im dritten Vorrundenspiel.
Deutschland enttäuscht in der Offensive
Wer nun ein deutsches Donnerwetter erwartete, der wurde nicht enttäuscht. Allerdings stürmte es nach dem früheren Rückstand weniger auf als über dem Platz. Das zuvor nachgelassene Unwetter kam mit doppelter Kraft zurück und verwandelte die Allianz Arena in eine ohrenbetäubende Naturgewalt mit Hagel, Blitzen und einem veritablen Sturm.
Vom deutschen Angriff war im ersten Durchgang dagegen nur wenig zu sehen. Lediglich eine aufregende 21. Minute mit einem Lattenkopfball von Hummels und einem gehaltenen Schuss Ginters brachte Löws gehemmt wirkende Mannschaft bis zum Pausenpfiff zustande.
ZDF-Experte Per Mertesacker fand in der Halbzeit deutliche Worte: „Wir brauchen Abschlussaktionen von unseren Stürmern. Unser Spiel war zu rechtslastig, da müssen wir variabler werden.“ Kollege Christoph Kramer stimmte zu und riet: „Ich würde auf Viererkette umstellen, um die Tore zu erzwingen.“
Es gilt als unwahrscheinlich, dass Löw in der Halbzeitpause in der Kabine den Fernseher laufen ließ, um sich Tipps seiner früheren Spieler einzuholen. Kramers Idee nahm der Coach aber auch ohne TV-Studium auf. Ginter wechselte also auf die Position des Rechtsverteidigers und Kimmich rückte ins zentrale Mittelfeld vor. Zudem wechselte Löw nach weiteren zwölf ereignislosen Minuten Goretzka für Gündogan ein.
Am lahmenden Offensivspiel der deutschen Mannschaft änderte sich aber zunächst nichts – im Gegensatz zum Spielstand im Parallelspiel. Frankreich ging in Führung, was die bis dahin einzige gute Nachricht dieses Abends aus deutscher Sicht war.
Doch dann sollte es auch in München auf dem Platz endlich so richtig stürmisch werden. Erst war es Havertz, der einen Hummels-Kopfball ebenfalls per Kopf über die Linie zum heißersehnten Ausgleich drückte (66.). Doch nachdem Löw mit dem blitzgeheilten Müller und Timo Werner sogar noch zwei weitere Offensivkräfte brachte, schlugen die Ungarn mit dem direkten Gegenangriff sofort wieder zurück. Andras Schäfer nutzte ein kurzes Durcheinander in der deutschen Hintermannschaft zum 1:2 (68.). Doch dann schlug Goretzka zu – und der Rest ist Geschichte.
Nach dem Abpfiff musste nur kurz gerechnet werden. Doch schnell wussten alle Protagonisten Bescheid, dass die erste richtige Reise dieser Europameisterschaft die deutsche Mannschaft in der kommenden Woche nach London führen wird. Am Dienstag (18 Uhr) trifft die DFB-Auswahl im Achtelfinale im Wembleystadion auf England. Fast auf den Tag 25 Jahre nach dem Halbfinalsieg gegen die Three Lions ist es die Neuauflage des Klassikers, der vor einem Vierteljahrhundert den Grundstein für den letzten EM-Sieg einer deutschen Mannschaft gelegt hat.
Eine Wiederholung ist erwünscht.