Essen. Helena (39) hat ihren gut bezahlten Job in einem Unternehmen aufgegeben. Über den Mut zu scheitern und in der Mitte des Lebens neu anzufangen.

Helena Mohr stand in ihrem Leben gleich zweimal vor einem Neuanfang. „Das hat eine Menge Mut gebraucht“, sagt die 39-Jährige. Lange Zeit hat sie in einem Großkonzern in Essen gearbeitet – bis sie ihren eigenen kleinen Laden eröffnete. Den musste sie allerdings wieder schließen. Seit einem Jahr sucht sie nach einem neuen Traum. Und steht wieder vor einem Neuanfang. Warum es für sie kein Scheitern ist, ihre Träume zu verwirklichen und auch wieder aufzugeben und was sie anderen in ihrem Alter rät, erzählt sie im Protokoll.

„Es war immer schon mein Traum, einen eigenen Laden zu eröffnen. Während meines BWL-Studiums hatte ich aber nur Schnapsideen, keine richtige Vorstellung davon, wie so etwas überhaupt funktioniert und was ich dort verkaufen könnte. Also habe ich nach dem Studium erstmal zwölf Jahre bei einem großen Logistikunternehmen gearbeitet. Mit Anfang 30 habe ich allerdings gemerkt, dass ich dort nicht mehr glücklich bin. Der Job hat mich nicht mehr erfüllt.

Helena Mohr
Nach zwölf Jahren im Unternehmen hat Helena Mohr eine verpackungsfreie Drogerie in Essen eröffnet. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

In dieser Zeit habe ich mich viel mit Themen rund um Nachhaltigkeit und Umweltschutz auseinandergesetzt – und gemerkt, dass ich das auch beruflich machen möchte. Schließlich bin ich auf die Idee gekommen, eine verpackungsfreie Drogerie zu eröffnen. Ich habe meinen alten Job gekündigt und bin ins kalte Wasser gesprungen.

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Ich wusste nicht einmal, welche Fragen ich mir überhaupt stellen sollte, bei so einem Schritt. Bei der Agentur für Arbeit habe ich dann an Coachings teilgenommen und zum Beispiel gelernt, wie man einen Businessplan schreibt. Das BWL-Studium hat mir außerdem in Sachen Finanzen weitergeholfen. 2018 habe ich dann mit 32 Jahren gegründet. Und es nicht bereut. Der Laden lief gut, mit der Zeit hatte ich eine tolle Stammkundschaft. Für mich war das Geschäft mehr, als nur Ware über die Theke zu reichen. Ich hatte einen Raum für Begegnungen geschaffen.

Start-up als zweite Karrierechance

Wer eine Firma gründet, entscheidet sich dazu immer später im Berufsleben. 2024 waren Gründerinnen und Gründer in Deutschland im Schnitt 37,8 Jahre alt, als sie ihr eigenes Unternehmen an den Start gebracht haben. Vor fünf Jahren lag der Altersdurchschnitt noch bei 35,1 Jahren. Das geht aus dem Start-up-Monitor 2024 hervor.

Gründer haben also oft langjährige berufliche Erfahrung und bereits ein gutes Netzwerk aufgebaut, eh sie sich an ihr Unternehmen wagen. Der Anteil der Gründer unter 35 Jahre ist von 56 auf 44,3 Prozent zurückgegangen. 

Doch dann kam Corona. Es kam kaum noch jemand bei mir vorbei, wenn es nicht gerade darum ging, Toilettenpapier zu kaufen. Für mich war das die schwerste Zeit. Mein Kontostand ist immer weiter gesunken, bald hätte ich nicht mehr die Miete zahlen oder gar selbst davon leben können. Ich musste also vernünftig sein und meinen Traum vom eigenen Geschäft wieder aufgeben.

Obwohl ich wusste, dass ich im kommenden Jahr meinen Mietvertrag für den Laden nicht verlängern würde, habe ich noch niemandem davon erzählt. Das war einfach zu traurig. Als es sich dann doch irgendwann herumgesprochen hatte, waren alle sehr betroffen. Mein kleines Geschäft war im Viertel eine richtige Institution geworden. Die Anteilnahme der Menschen habe ich als große Ehre empfunden.

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Im vergangenen Dezember war dann der Ausverkauf. Mein kleiner Online-Shop, den ich parallel aufgebaut habe, ist noch erhalten geblieben. Davon kann ich aber nicht leben. Ich bin bald 40 und muss mich jetzt fragen: Was möchte ich mit der Zeit machen, die mir noch bleibt? Am Ende des Jahres hat sich nun spontan eine Chance ergeben. Ich werde eine neue berufliche Richtung einschlagen – in einer Naturheilpraxis. Dort übernehme ich erstmal organisatorische Aufgaben, langfristig möchte ich im medizinischen Bereich assistieren. 

Ich möchte anderen Menschen, die gerade in der Hälfte ihres Lebens und unglücklich in ihrem Job sind, Mut machen. Wenn Ihr eine Idee habt, Euch etwas schon lange umtreibt, dann versucht es. In einen sicheren Job kann man immer zurückgehen. Natürlich ist das anstrengend und kostet viel Arbeit. Und es kann sein, dass man am Ende scheitert. Aber zu bedauern, es nicht gemacht zu haben, ist am Ende des Lebens trauriger.

Ich bereue meine Entscheidungen nicht, auch, wenn ich jetzt wieder einen neuen Weg einschlagen muss. Trotzdem konnte ich mit meinem Laden Spuren hinterlassen und Menschen inspirieren. Und diese Kraft nehme ich mit ins neue Jahr. Ich habe große Vorfreude auf das, was da noch kommt.“

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