Bochum. Die Bochumerin Judith Knoche coacht Menschen, denen es auf der Arbeit reicht. Vom Scheitern, schlechten Ratschlägen und der Lust am Neuen.
Jeder hatte morgens schon einmal keine Lust, in die Firma zu fahren. Wann steckt dahinter mehr als schlechte Laune? Wie erkennt man, dass es Zeit für etwas Neues ist und wie gut will das geplant sein? Judith Knoche coacht Menschen, die sich beruflich neu orientieren. Im Interview spricht die 47-jährige Bochumerin übers Scheitern und falsche Freunde.
Frau Knoche, Sie helfen Menschen, die etwas Neues wagen wollen. Wie oft klingelt derzeit Ihr Telefon?
Judith Knoche: Nicht häufiger als sonst. Die meisten Menschen melden sich bei mir per Mail und dann eher spätabends. Da kommt man zur Ruhe und merkt am ehesten: Okay, so möchte ich nicht weitermachen.
Wieso ist der Jahreswechsel eine Zeit, in der Menschen so stark über Neuanfänge nachdenken?
Knoche: Das neue Jahr wirkt unberührt und zart. Das verspricht uns mehr Chancen und macht uns freier, Altes abzustreifen. Wir ziehen Bilanz: Was stört mich, was sollte anders sein?
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Jeder von uns hat morgens mal keine Lust auf Arbeit. Woran merkt man, dass es tatsächlich Zeit für etwas Neues ist?
Knoche: Das ist total verschieden. Oft dauert so ein Prozess Jahre, da staut sich vieles auf. Das sind Menschen, die unterfordert und gelangweilt sind oder genau gegenteilig sehr gestresst und überfordert sind. Das hält man nur eine gewisse Zeit durch. Manchmal kommen dann gesundheitliche Probleme dazu oder ein einschneidendes Erlebnis. Zu mir kam mal ein junger Vater, weil sein langjähriger Arbeitgeber keine Teilzeit ermöglichen wollte. Er suchte etwas Familienfreundliches.
Gibt es eine Checkliste, die hilft zu erkennen, wie ernst man es meint?
Knoche: Nein. Im ersten Gespräch geht es um eine einfache Frage: Was stört mich? Das klar für sich zu formulieren, hilft vielen schon mal sehr.
Brechen viele Menschen komplett mit ihrer bisherigen Karriere?
Knoche: Nicht unbedingt. Ich hatte auch schon mal einen Bürokaufmann, der Busfahrer werden wollte, aber nicht jeder wagt so einen Sprung. Manche haben am Ende für sich klarer, was sie stört, und gehen damit gezielt auf ihren Chef zu oder wechseln das Unternehmen. Ausnahmen sind Menschen, die sich wegen gesundheitlicher Probleme oft komplett neu aufstellen müssen. Das ist schwieriger, weil der Weg eindeutiger ist. Und das kann Angst machen.
Welche Frage sollte man sich am Anfang stellen?
Knoche: Nicht eine, sondern vier: Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Was will ich? Und was kann ich gut? Das zu beantworten hört sich einfacher an, als es ist.
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Wieso?
Knoche: Man ist oft ja in einem Trott und macht einfach immer weiter. Wir stecken alle in bestimmten Rollen fest. Da mal die Stopptaste zu drücken und innezuhalten, was man eigentlich will, erfordert Mut.
Wie bekommt man heraus, was man gut kann?
Knoche: Man schaut sich seine Fähigkeiten, Interessen, Leidenschaften an. Welche Themen interessieren mich in der Zeitung, wo werde ich hellhörig im Gespräch, welche Podcasts ich höre, worum geht es in den Filmen, die ich gucke? Das sind Hinweise auf die Antwort, was einen reizt und motiviert.
„Wir stecken alle in bestimmten Rollen fest. Da mal die Stopptaste zu drücken und innezuhalten, was man eigentlich will, erfordert Mut. “
Wie gut muss so ein Neustart geplant sein?
Knoche: Wer Hauptverdiener in seiner Familie ist, geht bedachter vor als jemand, der alleinstehend ist und einen Finanzpuffer hat. Die meisten orientieren sich aber eh aus ihrem Job heraus neu, gehen beispielsweise in Teilzeit, um mehr Zeit dafür zu haben, um Fortbildungen zu machen, den Lebenslauf zu aktualisieren und auf Jobsuche zu gehen.
Man kommt wegen der Firma und geht wegen des Chefs, so lautet ein bekannter Manager-Spruch. Ist da etwas dran?
Knoche: Ja, schon. Ich würde ergänzen: Man bleibt wegen des Teams. Wer gelangweilt im Job ist, aber eine gute Arbeitsatmosphäre erlebt, der überlegt länger, all das aufzugeben.
Wie geht man mit Zweifeln um?
Knoche: Zu jeder Entscheidung gehören Zweifel dazu. Man sollte sie nicht dramatisieren, sie sind völlig okay. Ich rate Menschen, die überlegen sich beruflich zu verändern, sich einen offenen, verständnisvollen Gesprächspartner zu suchen – sei es ein Nachbar, Freund oder Coach. Den meisten hilft diese Frage: Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn es nicht klappt?
Studierendenberaterin und Jobcoach
Judith Knoche (47) hat über 15 Jahre lang Studierende an der Ruhr-Universität Bochum beraten und sich vor dreieinhalb Jahren mit einem Jobcoaching selbstständig gemacht. Die Psychologin und systemische Beraterin berät Menschen aus der Privatwirtschaft, dem öffentlichen Dienst und dem Sozialwesen. Frauen suchten häufiger frühzeitig Hilfe. Systemische Berater berücksichtigen in ihrer Arbeit immer die Lebensumstände eines Ratsuchenden.
Und zwar?
Knoche: Es geht weiter. Ein Neustart ist keine Sackgasse. Ein Lehrer, der im Journalismus arbeiten möchte, kann auch zurück an die Schule, wenn es doch nicht passt.
Wie groß ist die Angst, zu scheitern?
Knoche: Aus meiner Sicht ist das kein Scheitern. Man muss nicht die eine Sache finden, die man bis zur Rente machen will. Wir sollten uns erlauben, Dinge auszuprobieren und wenn es trotz aller Vorbereitung nicht passt, ist man nicht gescheitert.
Sollte man denn überhaupt groß über die eigenen Überlegungen sprechen?
Knoche: Man sollte gezielt entscheiden, bei wem es Sinn ergibt. So eine Überlegung ist ein zartes Pflänzchen, das auch schnell eingeht, wenn zu viel Kritik von außen kommt. Oft sind es ja eigene Ängste, die Menschen dann dazu bringen zu sagen: Meinst du, das ist das Richtige?
Wann weiß man, dass man bereit ist für eine zweite Chance im Beruf?
Knoche: Man hat Lust, eine Entscheidung zu treffen. Das reift, die einen brauchen drei Monate, die anderen ein Jahr. Aber alle kommen irgendwann an den Punkt, da fühlt es sich stimmig an.