Gelsenkirchen. Seit 1898 gibt es Müller’s Mühle in Gelsenkirchen. Der Trend zu veganem und vegetarischem Essen kommt dem Unternehmen zugute.
„Ich bin einer der letzten Müller in Deutschland“, sagt Matthias Tögel. Der 35-Jährige verschränkt die Arme über der Brust und schaut respektvoll hinauf auf die mächtigen Silos, Lagerhallen, Schälwerk- und Mühlengebäude. Und ganz oben wandert Willi, der Müller mit dem Reissack auf dem Rücken, das weithin bekannte Firmenlogo. „Hier habe ich meine Ausbildung absolviert und bin heute immer noch hier.“ Hier, das ist das traditionsreiche Unternehmen Müller’s Mühle in Gelsenkirchen direkt am Stadthafen. Für die Bürger der einstmals reichen Ruhrgebietsstadt ein Markenzeichen, das zu ihrer Geschichte gehört wie der Fußballklub Schalke 04. Für Menschen weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus ist Müller’s Mühle ein Markenzeichen für Hülsenfrüchte und Reis von hoher Qualität.
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Matthias Tögel ist einer, der dafür verantwortlich ist, dass Reis, Erbsen, Linsen, Bohnen und Graupen als saubere und gesunde Nahrungsmittel auf dem Teller landen: im privaten Haushalt wie in der Gastronomie. Er lebt den Beruf des Müllers mit Leidenschaft und Stolz, hat das Handwerk von der Pike auf gelernt und setzt sich mit innovativen Entwicklungen der inzwischen hoch technisierten Aufbereitung von Reis und Hülsenfrüchten auseinander. Deshalb lautet die moderne Berufsbezeichnung der Müller heute: Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Getreidewirtschaft.
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Adolf Müller Senior drückte Gelsenkirchen 1893 den Müller’s-Mühle-Stempel auf, als er die Handelsagentur für Reis- und Hülsenfrüchte mit Sitz an der Industriestraße im Stadtteil Horst gründete. 1898 kam die erste Schälmühle zum Einsatz. 1913 wurde der Firmensitz zum Stadthafen an den Rhein-Herne-Kanal verlegt, der 1914 offiziell in Betrieb ging. Nun war auch die Nordsee vom Ruhrgebiet aus auf dem Wasserweg gut erreichbar.
Fortan konnten die meist aus Übersee stammenden Rohprodukte direkt am eigenen Kai angelandet und gelöscht werden – bis heute ein enormer Standortvorteil für die Müller’s Mühle GmbH, die seit 1989 der österreichischen GoodMills Group gehört, zu der auch die Mehlmarken Aurora und Diamant zählen.
„Ich bin einer der letzten Müller in Deutschland.“
Seit dem Umzug an den Stadthafen wurde die Reismühle ständig modernisiert und ist heute eine der modernsten in Europa. 700 bis 800 Tonnen pro Schiff werden über eine Krananlage gelöscht und direkt in die fast 40 Meter hohen Silos mit 2000 Tonnen Fassungsvermögen befördert – laut Unternehmen dem größten bundesweit. Dort oben beginnt der Prozess der Reis-Veredelung. Nach verschiedenen Reinigungsstufen wird das Reiskorn geschliffen, poliert, der Bruch, der zu Tierfutter und Reismehl gemahlen wird, herausgefiltert. Eine automatisch-optische Kontrolle beendet den Vorgang.
Der veredelte Reis gelangt schließlich durch geschlossene Transportwege in die Verpackungsabteilung. „Je nach Sorte werden mehr oder weniger Prozessschritte benötigt“, erklärt Matthias Tögel. „Wir können es schaffen, das unbehandelte Reiskorn innerhalb zwei Stunden vom Schiff in die Verpackung zu bringen.“ Doch diese Eile ist in der Regel nicht erforderlich. „Vollkorn- und Naturreis sind übrigens die gesündesten Sorten“, erfahren wir vom Müller. „Denn sie durchlaufen die wenigsten Prozessstufen und behalten so die meisten Nährstoffe. Während der hoch verarbeitete Basmati-Reis tot geschliffen ist. Aber was der Markt will, bekommt er.“
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Schon früh in seiner Geschichte folgte Müller’s Mühle den Gesetzen des Marktes und reagierte auf die Wünsche der Verbraucher. In den 60er- und 70er-Jahren erweiterte das Unternehmen sein Sortiment mit Diät- und Fitnessprodukten, setzte auf einfache und schnell zubereitete Produkte. Der berühmte Müller’s-Fünf-Minuten-Reis war eine bahnbrechende Erfindung im Zuge zunehmender Berufstätigkeit von Frauen. Innovative und küchenfertige Gerichte erfüllen heute auch die Bedürfnisse der jungen Generation.
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Ernährungstrends made in Gelsenkirchen lautet der neue Slogan, hinter dem Mahlzeiten mit natürlichen Zutaten zum Weiterkochen stehen. „Wir müssen die Trends mitmachen“, sagt Geschäftsführer Arne Tiemann und präsentiert gleich vier neue Reis-Varianten, die in wenigen Minuten appetitlich auf dem Tisch stehen. „Das können wir, weil wir breit aufgestellt sind und über ein großes Produkt-Portfolio verfügen. Parallel muss natürlich auch die Langzeitentwicklung beobachtet werden. Unserer stärkstes Produkt ist übrigens nach wie vor die Tellerlinse.“ Ein Klassiker.
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Eine weithin sichtbare Landmarke von Müller’s Mühle ist seit 1949 die knapp 40 Meter hohe Siloanlage, eine einzigartige Konstruktion, die aus 76 U-Boot-Teilen besteht. Luftangriffe der Alliierten zerstörten im 2. Weltkrieg in Teilen das Hafengebiet und den Mühlenbetrieb in Gelsenkirchen. Müller’s Mühle – damals Erbsen Müller – begann nach Kriegsende als bedeutender Betrieb für die Herstellung von Grundnahrungsmitteln zügig mit dem Wiederaufbau. Doch es fehlte Material. Findige Ingenieure hatten die geniale Idee, ein Getreidesilo aus stählernen U-Boot-Rumpfteilen zu errichten, die gleich nebenan auf dem Gelände der Kesselfabrik Orange nutzlos lagerten.
Der U-Boot-Bau hatte sich für Jahre erledigt, aber der Stahl erfüllt seitdem einen friedlichen Zweck. Das Silo wurde je nach Bedarf für Getreide, Reis oder Hülsenfrüchte genutzt. Heute ist es dem Reis vorbehalten. Gelsenkirchener Bürger nannten das überragende Bauwerk ironisch den „Schalker Erbsen-Turm“.
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