Dortmund. Vor 125 Jahren eröffnete Wilhelm II. das Schiffshebewerk Henrichenburg und damit den Dortmund-Ems-Kanal .
Es war das Ereignis des Jahrzehnts, als Kaiser Wilhelm II. am 11. August 1899 das Schiffshebewerk Henrichenburg feierlich einweihte. Von Glanz und Gloria des Wilhelminischen Zeitalters hatte das Ruhrgebiet bis dahin nicht viel abbekommen, trotz des rasanten Wachstums der Städte an Ruhr und Emscher. Der Besuch des Monarchen, der höchstpersönlich das Schlüsselbauwerk des Dortmund-Ems-Kanals in Betrieb nahm, wühlte die Menschen deshalb in mehrfacher Hinsicht auf.
Da war die Eröffnung des Kanals, dessen Bau schon 1856 vom Dortmunder-Kanal-Komitee angeregt worden war, um die Frachtkosten für die heimische Kohle zu senken. Aber erst 30 Jahre später wurde der Kanalbau beschlossen. Sieben Jahre lang schufteten fortan 4500 Arbeiter, unter ihnen viele Polen, Niederländer und Italiener, um das Prestigeprojekt mit seinen 484 Bauwerken und Gesamtkosten von 80 Millionen Reichsmark zu vollenden.
Zehntausende beim Kaiser
Hinzu kam der Stolz einer ganzen Nation auf das Wunderwerk der Ingenieurskunst in Henrichenburg, das Schiffe mit einem Gesamtgewicht von bis zu 800 Tonnen auf eine andere Ebene hieven konnte. Plötzlich war die Nordsee über den Seehafen der Stadt Emden an der Emsmündung für die prosperierende Industrie im östlichen Ruhrgebiet schneller und kostengünstiger erreichbar, wurden die Eisenbahnstrecken entlastet.
Zudem strebte die allgemeine Kaiserverehrung ihrem Höhepunkt entgegen. Weite Teile der Presse und der Bevölkerung überschlugen sich schon lange vorher vor Begeisterung. So kam es, dass sich an jenem Freitagmorgen Zehntausende auf den Weg nach Waltrop machten, um an dem denkwürdigen Ereignis teilzuhaben.
25.000 Kinder auf den Straßen
Dabei machte es Wilhelm II. seinen Untertanen nicht leicht. Wer ihn feiern wollte, musste sehr früh aufstehen. Schon kurz vor sieben Uhr lief der kaiserliche Sonderzug in den Bahnhof Rauxel ein. Kurz darauf ging der Monarch an Bord des am Kanal liegenden Dampfers Strewe, der um 7.15 Uhr am Schiffshebewerk Henrichenburg eintraf. Unter dem Jubel der Menschen wurde das Kaiserschiff von dem gigantischen Schiffslift zum 14 Meter höher gelegenen Oberwasser gehievt und schipperte schon um acht Uhr auf diesem Kanalabschnitt weiter nach Dortmund, wo Wilhelm II. dann ab 9.30 Uhr ein noch größerer Bahnhof bereitet wurde.
Der Empfang im alten Rathaus, die feierliche Eröffnung des Hafens und der Besuch beim Schwerindustrie-Konzern Dortmunder Union, damals mit über 5500 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Stadt, gehörten zum Programm. Zigtausende säumten die Feststraßen, sorgfältig angeordnet von der Obrigkeit. Allein an der Mallinckrottstraße seien 25.000 Schulkinder aufgereiht gewesen, heißt es in der Chronik des Ruhrgebiets. Die zweite Reihe bildeten patriotische Vereine. Erst dahinter durften sich Schaulustige positionieren. Sehr viel werden sie nicht vom Kaiser gesehen haben, der schon um 12.45 Uhr vom Südbahnhof aus die Westfalenmetropole wieder verließ.
Für die Zechen, Hütten- und Stahlwerke im östlichen Revier war die bessere Verbindung zur Nordsee ein Segen. Der Standortnachteil gegenüber Duisburg konnte dadurch etwas reduziert werden. Zusätzliche Transportwege ergaben sich später durch den Rhein-Herne-Kanal, der 1914 in Betrieb ging. Ein wesentliches Motiv waren zudem die Großmacht-Fantasien von Wilhelm II. „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“, hatte der Kaiser seinem Volk vorgegeben und einen abstrusen Rüstungswettlauf mit Großbritannien verordnet, der für Deutschland in einer Katastrophe enden sollte.
Schiffshebewerk steht heute unter Denkmalschutz
Um auf den Weltmeeren Stärke und Dominanz zeigen zu können, bauten Werften an der Küste immer größere Kriegsschiffe, für die der Stahl aus dem Revier dringend benötigt wurde. Dass die Flotten-Besessenheit des Kaisers bei der Bevölkerung gut ankam, zeigte sich auch bei der Bekleidung. Immer mehr Jungen trugen damals Matrosenanzüge.
Zurück zum Schiffshebewerk Henrichenburg, das bis 1962 in Betrieb war, 1970 endgültig stillgelegt und 1979 unter Denkmalschutz gestellt wurde. 1989 übernahm dann die nahe Großschleuse die Aufgaben des Schiffshebewerks und seiner Nachfolger. 1992 wurde Henrichenburg als riesiges Industriemuseum an und auf dem Wasser eröffnet und gilt bis heute als eine der Attraktionen der Route der Industriekultur. Die Besucherzahl dürfte inzwischen die Zwei-Millionen-Grenze überschritten haben. Noch immer blitzt beim Rundgang Preußens Gloria auf, zu erkennen am Preußenadler und anderen Herrschaftssymbolen die auf den Stahlkonstruktionen und Sandsteinwänden prangen.
15 Schleusen und 70 Höhenmeter
Auf seinem Weg zur Küste muss der Kanal mit Hilfe von 15 Schleusen rund 70 Höhenmeter bewältigen. Bei Papenburg, Kilometer 225,8, mündet er in die Seeschifffahrtsstraße Unterems, die im Emdener Hafen endet. Auch nach dem Ende des Bergbaus und trotz des Rückgangs der Stahlindustrie herrscht reger Verkehr. So passierten 2022 gut 13.500 Schiffe die Schleuse Münster, darunter knapp 9000 Güter-Motorschiffe und 3500 Tankschiffe.
Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt, unterstreicht deshalb den Stellenwert: „Der Dortmund-Ems-Kanal (DEK) ist wichtiger Bestandteil des westdeutschen Kanalgebietes, welches mit bis zu 40 Millionen Gütertonnen pro Jahr einen der Schwerpunkte der Binnenschifffahrt in Deutschland bildet. Bei seiner Eröffnung im Jahr 1899 für 4,5 Millionen Tonnen ausgelegt, werden heute – nach erfolgten Anpassungen an die modernen Schiffsgrößen – rund 16 Millionen Tonnen Güter pro Jahr durch die umweltfreundliche Binnenschifffahrt transportiert. Der Kanal ist damit die relevante Binnenschifffahrtsstraße für das östliche Ruhrgebiet, das Münsterland sowie das Emsland.“
Zudem würden über den Mittellandkanal, der vom DEK abzweigt, auch das Wesergebiet, das Elbegebiet, die Berliner Wasserstraßen und das Odergebiet erschlossen. Um den Kanal fit für die Zukunft zu machen, sei es wichtig, den Ausbau der DEK-Südstrecke schnellstmöglich abzuschließen. „Besonders die noch nicht ausgebaute Stadtstrecke Münster stellt ein Nadelöhr für die Schifffahrt dar“ , so der Experte.
Der Dortmund-Ems-Kanal ist aber nicht nur für die Wirtschaft von Bedeutung. Die Radwege längst des DEK sind längst kein Geheimtipp für Radtouristen mehr. Sie zählen besonders in den Ems-Auen zu den schönsten in Deutschland. Der gut ausgeschilderte Weg vom Pott zur Küste und zurück hat einen weiteren Vorteil: Er ist weitgehend flach.
Mehr Schweiß fließt dagegen auf dem Teilstück zwischen Henrichenburg und Dortmund. Es gilt wegen seiner windgeschützten Lage als ideales Ruderrevier und ist Teil des Ruderleistungszentrums in Dortmund. Auch der Deutschland-Achter bereitet sich hier stets auf Olympia vor.
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