Ruhrgebiet. Für den Job fahren Millionen Revierbürger von einem Ort in den anderen. Pendleratlas rechnet vor, warum Städte tagsüber massiv wachsen.

Für den Job von Gladbeck nach Essen, von Bochum nach Dortmund, von Oberhausen nach Duisburg: Das ist im Ruhrgebiet, wo die Städte dicht an dicht liegen, völlig normal. Deutlich mehr als drei Millionen Menschen allein im Revier haben ihren Arbeitsplatz nicht dort, wo sie auch wohnen. Die aktuelle Analyse der Pendlerströme durch die Statistiker von IT.NRW zeigt: In der Arbeitswelt des Ruhrgebiets spielen Stadtgrenzen kaum eine Rolle.

Die Zahlen der Pendler steigen in Nordrhein-Westfalen seit Jahren, auch 2023 errechneten die Experten wieder einen Anstieg um 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2022 lag die Steigerungsquote ebenfalls bei 1,5 Prozent. Bundesweit weist die Statistik einen Anstieg von 1,8 Prozent aus, in absoluten Zahlen sind das 24,4 Millionen Pendler. Damit entfällt ein Fünftel der Gesamtzahl auf NRW: Fünf Millionen Menschen überwinden hier auf dem Weg zum Job mindestens eine Ortsgrenze. Das sind mehr als die 4,4 Millionen, die in derselben Gemeinde wohnen, in der sie auch arbeiten.

Köln wächst täglich um ein Drittel

In 85 der 396 nordrhein-westfälischen Städte und Gemeinden war die Zahl Personen, die kamen, höher als die Personen, die den Ort für ihre Arbeit verließen. Die größte Einpendler-Stadt im Land ist dabei auch die ohnehin einwohnerstärkste: Nach Köln kommen täglich 362.259 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, damit wächst die Domstadt tagsüber um fast genau ein Drittel. Danach folgt die Landeshauptstadt Düsseldorf, in die jeden Tag 335.754 zusätzliche Menschen kommen – was zumindest annähernd der Hälfte der Stadtbevölkerung entspricht. Summiert man die Zahl der Einpendler nur in den Großstädten des Ruhrgebiets, sind das bereits ebenso viele wie in Köln und Düsseldorf zusammen.

Auf Platz 3 liegt mit Essen bereits die erste Stadt im Ruhrgebiet, die im bundesweiten Ranking der Einpendler-Knoten als einziger Ort im Revier unter den ersten Zehn landet: 167.761 Menschen reisen hier täglich ein, ein Zuwachs gegenüber 2022 von 1,5 Prozent. Die Reiseströme bewegen sich dabei laut NRW-Statistik auf zwei Hauptverkehrsachsen: von Nord nach Süd zwischen Duisburg und Bonn, von Ost nach West zwischen Bielefeld und Dortmund über das Ruhrgebiet bis Mönchengladbach.

Die Besonderheit in Essen und dem Ruhrgebiet: Verkehrstechnisch ist das Revier so etwas wie ein geschlossener Raum. Anders als in großen Pendlermetropolen wie München, Berlin, Hamburg oder Frankfurt, aber auch Köln und Düsseldorf, pendeln Arbeitnehmer eher nicht aus kleineren Orten und ländlichen Gebieten im Umland in die Großstadt, sondern von einer Stadt in die andere. Es wird also kreuz und quer gefahren. Etwa 1,3 Millionen Menschen bewegen sich innerhalb des Reviers, ganz Stadtteile tauschen sich gewissermaßen zwischen Dienstbeginn und Dienstschluss aus. Einzig aus Essen oder Duisburg strebt eine größere Gruppe (etwa 35.000) nach Düsseldorf. Bochumer fahren zur Arbeit häufig nach Essen und Dortmund, Oberhausener nach Duisburg, Bottroper und Mülheimer nach Essen, Gladbecker nach Gelsenkirchen...

12.000 Menschen pendeln von Dortmund nach Bochum und zurück

Beispiel: Von Dortmund nach Bochum pendeln täglich fast genauso viele Menschen wie in umgekehrte Richtung (gut 12.000). Duisburg und Essen „tauschen“ zwischen 8500 und 10.300 Personen aus. Zwischen Essen und Mülheim fahren jeden Tag insgesamt mehr als 23.000 Leute hin und her, zwischen Oberhausen und Mülheim, die sich sogar eine Telefonvorwahl teilen, knapp 11.500.

Stau auf der A59: Zwischen Duisburg, Essen und auch Düsseldorf herrscht reger Pendelverkehr.
Stau auf der A59: Zwischen Duisburg, Essen und auch Düsseldorf herrscht reger Pendelverkehr. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Aber auch im Ruhrgebiet ist das Ziel nicht zwangsläufig die Nachbarstadt: Immerhin mehr als 1000 Personen fahren täglich von Duisburg nach Dortmund, was über die staubelasteten Autobahnen 40 oder A42 immerhin mehr als 65 Kilometer sind, bei freien Straßen bedeutet das rund eine Stunde Fahrzeit pro Weg. Zum Vergleich: Die Hälfte der Einpendler nach Köln hat lediglich einen Arbeitsweg von weniger als 28 Kilometern, ein weiteres Viertel fährt das Doppelte. Grundsätzlich aber sind die Wege im Revier natürlich kurze.

Drei Viertel der Befragten fahren jeden Tag

Allerdings ist nicht jeder dieser Pendler auch tatsächlich einer, der jeden Tag in die Firma fährt. Der „Pendleratlas“ wertet die Wohn- und Arbeitsorte aus, unabhängig davon, ob der Arbeitsplatz auch tatsächlich aufgesucht wird. Es geht, erklärt IT.NRW, also nur um eine „potenzielle Mobilität“. Völlig abwegig ist das Szenario indes nicht: Nach ersten Ergebnissen der Volkszählung (Mikrozensus) von 2023, gaben 75,6 Prozent, also drei Viertel, der Erwerbstätigen in NRW und auch bundesweit an, in den vier Wochen vor der Befragung nie von zu Hause gearbeitet zu haben.

Der Pendlerparkplatz an der Nordseite des Oberhausener Hauptbahnhofs ist regelmäßig voll.
Der Pendlerparkplatz an der Nordseite des Oberhausener Hauptbahnhofs ist regelmäßig voll. © FUNKE / Foto Services | Gerd Wallhorn

Drei Viertel der Pendler sind nach wie vor mit dem Auto unterwegs

Auch das jeweilige Verkehrsmittel wird nicht erfasst. Aus den Volkszählungsdaten geht allerdings hervor, dass das Auto alle anderen Möglichkeiten der Fortbewegung immer noch um Längen schlägt: Rund 70 Prozent der Berufspendler in NRW nutzen den eigenen Pkw für den Arbeitsweg. Gut zehn Prozent nehmen das Rad, 12,5 Prozent öffentliche Verkehrsmittel. Sechs Prozent gehen zu Fuß, was beim Pendeln schwierig ist, wenn Wohnung und Arbeitsplatz nicht nahe der Stadtgrenze liegen.

Auch deshalb bleibt NRW wohl auch weiterhin Stauland Nummer 1. Gerade das Ruhrgebiet mit seinen Millionen Pendlern muss besonders viele Menschen von A nach B bringen – die Autobahnen der Region gehören nicht nur wegen der vielen Baustellen und sogar Sperrungen allesamt zu denen mit dem größten Stillstand.