Essen. Millionen Erwerbstätige pendeln innerhalb des Ruhrgebiets täglich zur Arbeit. Um ein Verkehrsmittel kommt dabei kaum jemand herum.

Mit insgesamt mindestens 1,5 Millionen Berufspendlern innerhalb der Grenzen des Reviers ist das Ruhrgebiet die mit Abstand größte Pendlerregion in NRW und hält selbst boomende Millionenstädte wie München, Hamburg und Köln auf Abstand. Einzig Berlin liegt mit rund 2,24 Millionen Ein- und Auspendlern sowie innerörtlichen Berufspendlern bundesweit noch vor dem Revier.

Analyse der Pendlerströme

Das ergibt eine Analyse der Pendlerströme durch die WAZ auf Grundlage der jüngsten Pendler-Daten vom Landesbetrieb IT.NRW. Revierbürger sind in Sachen Arbeitsplatz demnach besonders viel unterwegs – aber in erster Linie innerhalb der Grenzen des Ruhrgebiets.

Mehr als eine halbe Million Erwerbstätige (rund 540.000) verlassen für ihre Arbeit zwar täglich ihre Heimatstadt, nicht aber das Ruhrgebiet. Sie pendeln in eine andere Revierkommune, meist in die Nachbarstadt, oft aber auch darüber hinaus. Das zeigen Berechnungen dieser Redaktion. Berücksichtigt wurden dabei nicht einmal alle Pendlerströme, sondern nur die jeweils zehn größten Auspendler-Destinationen der Ruhrgebietsstädte.

Ruhrgebiet ist ein eher geschlossener Raum

Weitere rund eine Million Berufstätige pendeln im Revier innerhalb der eigenen Stadtgrenzen. Auspendler über die Grenzen des Ruhrgebiets hinaus gibt es dagegen deutlich weniger. Die Top-Destinationen dabei sind Düsseldorf (59.000), mit großem Abstand gefolgt von Krefeld (12.300), Wuppertal (8600) und Köln (3200). Mit Blick auf die Berufswege ist das Ruhrgebiet also ein eher geschlossener Raum. Lässt man die Möglichkeiten von Homeoffice-Arbeitsplätzen außer Acht, sind also täglich mehr als 1,5 Millionen Revierbürger für ihren Job im Pkw, in Bussen und Bahnen, mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs. Wer noch Fragen hat, warum es im Ruhrgebiet so oft zum Verkehrschaos kommt, findet auch in diesen Zahlen eine Antwort.

Gigantischer Austausch der Erwerbstätigen

Das Pendlerverhalten zwischen Ruhr, Rhein und Emscher unterscheidet sich auch noch aus einem anderen Grund von dem in anderen großen deutschen Ballungsräumen. Während die Pendlerströme in Hamburg (insgesamt 1,42 Millionen Pendler täglich), München (1,33 Millionen) und Frankfurt (850.000) überwiegend nur eine Richtung kennen – morgens ins Zentrum, abends zurück ins Umland -, findet zwischen den Revierstädten tagtäglich ein gigantischer Austausch der Erwerbstätigen statt.

Beispiel: Von Duisburg nach Essen pendeln täglich fast genauso viele Menschen wie in umgekehrte Richtung, gleiches gilt für Duisburg und Mülheim. Zwischen Dortmund und Bochum kommt es so zu einem direkten Austausch von täglich knapp 12.000 Erwerbstätigen. Selbst zwischen Dortmund und Essen pendeln pro Tag insgesamt 11.000 Menschen hin und her.

Tagesbevölkerung Essens wächst durch die Berufspendler auf über 630.000 Menschen

Für sich allein genommen erreicht freilich keine der großen Ruhrmetropolen Pendler-Zahlen wie etwa Düsseldorf, Köln oder Frankfurt. Die Tagesbevölkerung Essens wächst durch die Berufspendler zwar um 51.000 auf über 630.000 Menschen – der höchste Wert im Ruhrgebiet. Das ist jedoch wenig im Vergleich zu Düsseldorf. Die Tagesbevölkerung der Landeshauptstadt wächst durch den Pendler-Überschuss von 210.000 Berufstätigen auf 828.000 Menschen. Frankfurt (755.000 Einwohner) wird durch Hunderttausende Berufspendler aus dem Umland tagsüber sogar zur Millionenstadt.

Das Auto bleibt Verkehrsmittel Nummer eins

Interessant ist der Vergleich mit Berlin, das täglich „nur“ knapp 200.000 Berufspendler aus dem Umland aufnimmt. Der Löwenanteil der Pendlerströme an der Spree bewegt sich innerörtlich, was die Nahverkehrsplanung in der deutschen Hauptstadt vereinfachen dürfte.

Bemerkenswert auch: Trotz breiter Zustimmung zum Klimaschutz in der Bevölkerung und den Debatten um eine dringend nötige Verkehrswende bleibt für Berufstätige nach wie vor das Auto das Fortbewegungsmittel der Wahl. Der eigene Pkw schlägt Busse, Bahnen und Fahrräder dabei um Längen.

Nur das Fahrrad konnte hinzugewinnen

Zwar gibt es keine Daten darüber speziell fürs Ruhrgebiet. Doch die Mikrozensus-Auswertung von IT.NRW fürs ganze Land spricht Bände: Danach nutzen rund 70 Prozent der Berufspendler in NRW das eigene Auto. 12,5 Prozent fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zehn Prozent mit dem Rad, knapp sechs Prozent gehen zu Fuß. An der Verteilung hat sich seit der Jahrtausendwende so gut wie nichts geändert, lediglich das Fahrrad konnte bis zur letzten Befragung 2020 rund 2,5 Prozentpunkte hinzugewinnen.

Dilemma ohne Ausweg?

„Dass viele Menschen lieber den täglichen Stau in Kauf nehmen, zeigt, dass der ÖPNV für sie noch keine attraktive Alternative ist“, sagt dazu Prof. Roman Suthold. NRW sei auch deshalb Stauland Nummer eins, weil das Ruhrgebiet derartige Pendlermengen bewältigen müsse und viele Menschen weiterhin lieber mit dem eigenen Auto zur Arbeit führen, meint der Verkehrsexperte des ADAC. Die Autobahnen mit den meisten und längsten Staus in NRW führten allesamt durch das Ruhrgebiet.

Gibt es aus dem Dilemma einen Ausweg? Hoffnungen setzt Suthold zumindest auf das Deutschlandticket, das am 1. Mai startet: „Das 49-Euro-Ticket kann Berufspendler dazu bewegen, mindestens für einen Teil des Arbeitsweges auf den öffentlichen Verkehr umzusteigen.“