Essen. Bertelsmann-Studie: Immer mehr Jobs mit Heimarbeits-Option. Das kostet Büroflächen im Ruhrgebiet, glaubt ein Immobilienexperte. Die Städte-Daten.

Weil viele Menschen inzwischen bevorzugt von zu Hause aus arbeiten und weil gute Leute händeringend gesucht werden, bieten das auch immer mehr Arbeitgeber an. Obwohl die Corona-Pandemie lange vorbei ist und viele zumindest für zwei, drei Tage wieder ins Büro fahren, zeigt der Homeoffice-Trend in neu ausgeschriebenen Stellen weiter nach oben, wie eine Bertelsmann-Studie ergab. Und zwar in NRW und den Ruhrbietsstädten ganz besonders. Das verstärkt zugleich den Druck auf den schwächelnden Markt für Büroimmobilien zwischen Duisburg und Dortmund, der mit hohen Leerstandsqoten zu kämpfen hat.

Bundesweit enthielt 2023 fast jedes fünfte Jobangebot (17,6 Prozent) zumindest die Option, auch daheim arbeiten zu können. Das waren laut Bertelsmann noch einmal mehr als im bisherigen Rekordjahr 2022. Vor Beginn der Corona-Pandemie, im Jahr 2019, wurde Homeoffice nur in 3,7 Prozent der Stellen angeboten. In der Studie wurden sämtlich Stellenausschreibungen berücksichtigt, also auch für Tätigkeiten, die zu Hause gar nicht möglich sind. Je spezialisierter der Job, desto verbreiteter ist das Homeoffice-Angebot, für IT-Tätigkeiten mit 62 Prozent inzwischen fast Standard.

„Wer geglaubt hat, dass nach Corona alle wieder ins Büro zurückkehren, muss erkennen: Homeoffice hat sich in vielen Branchen nicht nur etabliert. Es wird zum wichtigen Argument im Kampf um die Fachkräfte“, erklärt Bertelsmann-Arbeitsmarktexperte Gunvald Herdin. Dies gilt für Ballungsräume mit ihren großen Bürokomplexen ganz besonders. So ist Düsseldorf Deutschlands Homeoffice-Hauptstadt – mehr als jede dritte Stelle wird in der Rheinmetropole mit der Option der Heimarbeit ausgeschrieben.

Auch das Ruhrgebiet liegt teils weit über dem Bundesdurchschnitt (17,6 Prozent), das sind die Revierstädte mit den höchsten Homeoffice-Quoten im Stellenmarkt:

  • Essen 27,3 Prozent der Stellen haben eine Homeoffice-Option
  • Dortmund 26,1 Prozent
  • Gelsenkirchen: 23,3 Prozent
  • Bochum 22,4 Prozent
  • Duisburg 22,2 Prozent
  • Mülheim an der Ruhr 19,4 Prozent
  • Oberhausen 15,9 Prozent

Warum gerade im Ruhrgebiet die Arbeitgeber Bewerbern immer häufiger die Option fürs Homeoffice anbieten, erklärt sich der Immobilienmarktexperte Andreas Schulten auch mit dem unbefriedigenden Öffentlichen Nahverkehr und den gleichzeitig verstopften Straßen im Berufsverkehr: „Der Verkehr ist das Nadelöhr in NRW und besonders im Ruhrgebiet“, sagt er.

Und zwar aus eigener Erfahrung: Schulten hat viele Jahre beim Immobilien-Analysten Bulwiengesa in Essen gearbeitet, zuletzt als Generalbevollmächtigter. Das Unternehmen hat auch Standorte in Hamburg, Berlin, Frankfurt und München. „In den anderen vier Städten sind die meisten mit dem ÖPNV ins Büro gekommen, im Ruhrgebiet ist das schwierig. Wir haben tatsächlich Leute verloren, weil ihnen der Weg zur Arbeit zu viel Zeit gekostet hat“, sagt Schulten. Die mangelnde Dichte im Nahverkehr verstärke im Ruhrgebiet den Trend zum Homeoffice. Die Folge: „Es wird künftig weniger Büroflächen geben.“ Dies, obwohl im Jahrzehnt vor der Pandemie die Bürobeschäftigung noch einmal um 20 Prozent zugenommen hatte.

Der Öffentliche Nahverkehr im Ruhrgebiet lässt vieles zu wünschen übrig. Die langen Fahrzeiten zum Arbeitsplatz verstärken im Zusammenspiel mit verstopften Straßen den Trend zum Homeoffice.
Der Öffentliche Nahverkehr im Ruhrgebiet lässt vieles zu wünschen übrig. Die langen Fahrzeiten zum Arbeitsplatz verstärken im Zusammenspiel mit verstopften Straßen den Trend zum Homeoffice. © IMAGO/Panama Pictures | IMAGO/Christoph Hardt

Das belaste die Büroimmobilien seit Beginn der Corona-Pandemie. Dass anders als etwa in Asien oder den USA der Trend zum Homeoffice hierzulande anhalte, verhindere auch eine Trendwende für Bürogebäude. Waren sie vor der Pandemie die mit Abstand beliebteste Immobilienart für langfristige Anleger wie Investmentfonds und Versicherungen, sei das „komplett ins Gegenteil umgeschlagen“, so Schulten. „Wenn Sie heute bei einem Investor nur das Wort ,Büroimmobilien‘ in den Mund nehmen, wird Ihnen die Tür vor der Nase zugeschlagen.“

Immobilienexperte: Die Giganten von gestern sind angezählt

Das gelte nicht für alle Gebäudearten, allerdings ganz besonders für die vielen sehr großen und sehr hohen Prestigegebäude, wie sie etwa in Essen in den vergangenen Jahrzehnten hochgezogen wurden. „Wir haben hier immer größer und auch an merkwürdigen Orten gebaut. Die Giganten von gestern sind angezählt, Riesen aus Stahl und Glas an Ausfallstraßen nicht mehr zeitgemäß.“

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Entsprechend verlieren Gebäude dieser Art an Wert und Attraktivität. Die Nachfrage nach Büroflächen ist zuletzt deutlich gesunken, das geht aus den Bulwiengesa-Analysen für die Immobilienmärkte der 53 Ruhrgebietskommunen hervor, die das Beratungshaus regelmäßig für die Wirtschaftsförderer der Business Metropole Ruhr (BMR) erstellt. „Das wird so bald auch nicht wieder nach oben gehen, frühestens 2027“, sagt Andreas Schulten.

Auch für Innenstadt-Belebung ist die Krise der Büroimmobilien ein Problem

Das sei auch ein Problem für die im Ruhrgebiet besonders angeschlagenen Innenstädte, befürchtet der Immobilienexperte. Denn wenn der Einzelhandel sich in der Fläche zurückzieht, spielten hochwertige Büros neben mehr Wohnraum und Gastronomie eine wichtige Rolle zur Belebung der Innenstädte. Doch danach sieht es aktuell so gar nicht aus.

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Intelligente Büroplaner von heute würden kleiner bauen und in der Nähe von Universitäten, Wohnvierteln oder Szenevierteln, damit die Wege zur Arbeit kürzer werden. Auch dadurch könnten sich Unternehmen, die Fach- und Spitzenkräfte suchen, attraktiver werden. Schulten glaubt fest daran, dass Büros in vielen Branchen immer gebraucht würden, vieles im Büro besser funktioniere als im Homeoffice.

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