Essen. Viele Mütter und Väter fühlen sich gerade in der Anfangszeit mit Baby einsam. Eine Essener Expertin erklärt, woran das liegt – und was hilft.
Nie allein und trotzdem einsam: Das ist ein Gefühl, das viele Eltern kennen. Vor allem Mütter sind in der Anfangszeit mit Baby oft einsam – weil sie das Haus kaum verlassen können, ihre Kolleginnen und Kollegen vermissen oder keinen Anschluss in der Krabbelgruppe finden. Wie verbreitet ist Einsamkeit unter Eltern und was können sie dagegen tun? Darüber hat Sophie Sommer mit Franziska Borchers von der „Fachstelle für Elternschaft und seelische Erkrankung“ in Essen gesprochen. Die Expertin ist erste Ansprechpartnerin für Betroffene und hilft ihnen dabei, die richtige Unterstützung zu finden.
Wie verbreitet ist Einsamkeit unter Eltern?
Franziska Borchers: Sehr. Die erste Zeit mit Baby ist wahnsinnig anstrengend. Das fängt beim Schlafmangel an und geht bis zur völligen Selbstaufgabe. Viele Eltern trauen sich am Anfang wenig mit dem Baby vor die Tür. Gleichzeitig haben sie kaum noch Zeit, ihre Freunde zu treffen. Das alles lässt sie vereinsamen.
„Die erste Zeit mit Baby ist wahnsinnig anstrengend. Das fängt beim Schlafmangel an und geht bis zur völligen Selbstaufgabe.“
Sind beide Elternteile gleich stark von Einsamkeit betroffen?
Mütter trifft es viel häufiger, weil sie auch viel häufiger in Elternzeit gehen. Das hat verschiedene Gründe, führt aber dazu, dass sich vor allem das Leben der Mütter komplett verändert. Und das nicht nur zum Positiven. Aber darüber redet kaum eine Mutter offen. Schließlich wird ihnen von der Gesellschaft suggeriert: „Du wolltest doch das Kind, also beschwer dich nicht.“ Dabei ist darüber zu reden, der erste und wichtigste Schritt, um etwas gegen die Einsamkeit zu tun.
Was hilft noch?
Neue Routinen zu finden, ist wichtig. Und Kontakt zu anderen Eltern zu suchen, ob in der Nachbarschaft, in Eltern-Cafés, im Bekanntenkreis oder in Baby-Kursen. Sie sind in der selben Situation und können die Probleme und Herausforderungen nachvollziehen. Es gibt auch viele Expertinnen und Experten, an die man sich wenden kann: Schwangerschafts-, Frauen oder Erziehungsberatungsstellen, Mütterpflegerinnen und Selbsthilfegruppen.
Viele Eltern berichten, dass Freundschaften sich nach der Geburt ihres Kindes verändern, im schlimmsten Fall sogar zerbrechen. Wie kann man das verhindern?
Eltern werden mitunter aus bestehenden Freundeskreisen herausgerissen, weil sich ihr Tagesablauf so verändert, dass sie abends keine Zeit mehr haben. Schwierig wird es auch, weil einen auf einmal ganz andere Themen beschäftigen. Das kann eine Freundschaft vor allem dann belasten, wenn die andere Person kein Kind hat. Was hilft, ist, wenn sich die Elternteile gegenseitig babyfreie Zeiten einräumen. Die sollten auch Frauen von ihren Partnern einfordern. Nur, weil sie in Elternzeit sind, heißt das nicht, dass sie allein für das Baby verantwortlich sind. Wenn eine Mutter ihre Freundinnen auch mal ohne Kind treffen kann, kommt man automatisch auf ganz andere Themen und fühlt sich einander wieder näher.
Und was kann ich umgekehrt als Freundin oder Freund tun?
Das A und O ist: Mitfühlen, zuhören und Verständnis aufbringen. Studien zeigen, dass Betroffene sich oft nicht von selbst trauen, über ihre negativen Gefühle zu sprechen.
Ab wann spricht man nicht mehr „nur“ von Einsamkeit, sondern muss etwa von einer Schwangerschaftsdepression ausgehen?
In den ersten ein, zwei Wochen nach der Geburt gehört ein totales Gefühlschaos dazu. Wenn es sich dann nicht stabilisiert, sollte man wachsam sein. Anzeichen für eine Wochenbettdepression können unterschiedlich sein: Manche Betroffene haben große Schuldgefühle, weil sie denken, sie könnten ihr Kind nicht richtig versorgen. Andere haben ein inneres Leeregefühl, wieder andere haben zwiespältige Gefühle gegenüber ihrem Baby: „Ich liebe es, aber ich hasse es auch.“ Dazu kommen körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel. Wer unsicher ist, ob er betroffen ist, kann zum Beispiel den Selbsteinschätzungsbogen „EPDS“ ausfüllen und sollte sich seiner Hebamme oder einer Ärztin anvertrauen. Eine gute Anlaufstelle ist zum Beispiel auch der Verein „Schatten und Licht“.
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