Köln. Würde eine Fliegerstaffel so geführt, wie viele Firmen, sagt die Ex-Kampfpilotin Nicola Winter, es käme jede Woche zu einem Absturz.
Sie war Kampfjetpilotin und Rettungssanitäterin, ist Reserve-Astronautin und Keynote-Sprecherin für Krisenmanagement und jetzt auch noch Buch-Autorin. Aber wäre sie nur fünf Zentimeter größer, wäre sie wahrscheinlich nichts davon. „Eigentlich wollte ich vor 20 Jahren Pilotin bei der Lufthansa werden“, bestätigt Nicola Winter. Schon weil die Linie mit dem Kranich damals die einzige ist, die den Piloten die Ausbildung bezahlt. Zumindest wenn sie – und das gilt bis heute – mindestens 165 Zentimeter lang sind. Was Nicola nicht ist. Aus der Traum?
Nicola Winter wird zweite Frau in einem Kampfjet der Luftwaffe
Nicht für Winter. Sie hört sich um, macht sich schlau und stellt fest. Für die Luftwaffe der Bundeswehr reicht es. „Keine Passagiere, Überschallgeschwindigkeit“, also: „Eigentlich viel cooler. Da habe ich mich dann beworben.“ Obwohl sie sich anfangs sorgt, man könne sie „als laufenden Meter mit Hut“ nicht ganz ernst nehmen beim Bund. Passiert aber nicht. Einer fragt sie mal, ob sie auch rückwärts einparken könne mit dem Flugzeug. Aber der ist nicht mal Pilot. Außerdem haben Flugzeuge gar keinen Rückwärtsgang. Jedenfalls besteht Winter alle Prüfungen und wird die zweite Frau in der Geschichte der Bundeswehr, die Eurofighter und Tornado fliegen darf. Bis heute ist es nur eine mehr geworden.
14 Jahre lang bleibt sie dabei – erst als Lernende, dann als Lehrende, als Ausbilderin. In Texas, später in Nörvenich bei Köln. Nebenbei studiert sie Maschinenbau sowie Luft- und Raumfahrttechnik. Mit 33 kehrt sie dem Militär den Rücken. Weil sie weiß, dass sie aus Altersgründen mit 41 Jahren nicht mehr abheben darf, es in diesem Alter aber schwierig wird, dann einen neuen Job zu finden. Und auch, weil sie glaubt, „egal, wie hoch ich komme bei der Luftwaffe: Ich werde nie große Veränderungen für die Bundeswehr anstoßen können, weil die im Parlament und von den Wählern entschieden werden“.
Für zwölf Monate geht die gebürtige Oberbayerin mit Wohnsitz in Köln als Unternehmensberaterin zu McKinsey – und arbeitet in der Domstadt an den Wochenenden parallel als Rettungssanitäterin. Mittlerweile ist sie „Keynote-Sprecherin“. Aber sie sagt lieber: „Ich halte Vorträge. Das klingt bodenständiger.“ In den Vorträgen geht es darum, wie man Menschen anleitet und Krisen bewältigt. Sie sei da „irgendwie so reingestolpert“, erinnert sie sich: „,Erzähl doch mal‘, haben die Leute immer wieder gesagt.“ Und Nicola hat erzählt. Weil sie gut erzählen kann. Unterhaltsam und anschaulich, zugleich überaus kompetent.
„The Sky is No limit“
Denn sie weiß, wovon sie spricht. Führung, Teambildung und Krisenmanagement, das alles hat die Mutter einer kleinen Tochter beim Militär gelernt: „Sehr früh und sehr schnell.“ Und so viel, dass sie gerade auch ein Buch darüber veröffentlicht hat: „The Sky is No Limit: Eine Jetpilotin über Krisenkompetenz, schnelle Entscheidungen und neue Horizonte“ (Ariston Verlag, 256 Seiten, 24 Euro) heißt es.
Winter nennt keine Namen, aber viele Unternehmen kommen nicht gut weg bei ihr:. „Das Führungsniveau in vielen deutschen Firmen ist so niedrig, das ist schon krass“, hat sie festgestellt. Und eindringlicher noch: „Wenn eine Fliegerstaffel so geführt würde wie viele Firmen, würde sie jede Woche eine Maschine verlieren.“
Ein großes Problem sei, dass Führung nicht richtig gelehrt werde. „Da ist ein junger Mensch, der fachlich richtig gut ist und dem man deshalb die Verantwortung für andere Menschen überträgt. Aber das hat er nie gelernt!“ Dabei ist das gar nicht so schwierig: „Vorbild sein, von vorne führen, die Menschen in seinem Team kennen“, das sind nur einige der Tipps, die Winter in ihrem Buch aufzeigt. Gerade in einer Fliegerstaffel sei das unumgänglich: „Es ist sehr wichtig zu wissen, was die Stärken und Schwächen der anderen sind. Was interessiert den? Worauf hat er keinen Bock? Dafür braucht man Empathie.“
Sympathie ist nicht so wichtig - es zählt das gleiche Ziel
Sympathie dagegen sei nicht ganz so wichtig. „Man muss nicht jeden mögen, nicht mit jedem gleich ein Bier trinken wollen. Man muss nur sicher sein, dass man gemeinsam das gleiche Ziel hat.“ Winter vergleicht das gerne mit einer Fußballmannschaft. Da müssen für sie keine elf Freunde auf dem Platz stehen. Aber man müsse gemeinsam daran glauben, die Meisterschaft zu gewinnen: „Dann kann ich darauf vertrauen, dass wir uns gemeinsam reinhängen und alle aufs gleiche Tor schießen.“
Überhaupt Vertrauen. Da weiß Winter, wovon sie spricht. „Beim Fliegen ist dein Leben von sehr vielen Menschen abhängig. Und 99 Prozent der Zeit werden sie diesem Vertrauen gerecht. Manchmal aber haben sie sich geirrt, was ja bekanntlich menschlich ist. Da habe ich dann nur mit Glück überlebt.“ Bringt aber nichts, den Verantwortlichen anzuschreien, findet sie: „Wir reden darüber und es passiert nicht noch mal.“ Fertig. Deshalb hält sie auch nichts davon, diese Person auszuwechseln: „Wer dann dafür kommt, macht vielleicht den gleichen Fehler noch einmal.“
„Debriefing“, also eine Nachbesprechung, ist für Winter extrem wichtig. Das findet bei Fliegern nach jedem Flug statt, in vielen deutschen Unternehmen dagegen so gut wie gar nicht. Und wenn, dann nur, wenn es völlig schiefgelaufen ist: „Da wird dann jemand gesucht, dem man die Schuld dafür geben kann.“ Völlig falscher Ansatz findet Winter. „Debriefing kostet nicht viel Zeit.“ Man müsse allerdings ganz ehrlich analysieren, auch Fehler zugeben und kritikfähig sein: „Wer sagt, was ich schlecht gemacht habe, möchte ja, dass es besser wird.“
Sie selbst wird solche Nachbesprechungen schon bald wieder öfter erleben. Denn Winter hat sich einen langgehegten Traum erfüllt und auf eigene Kosten eine Ausbildung zur Hubschrauberpilotin gemacht. „Viele Menschen denken, dass das ein Klacks für mich war.“ War es nicht. So ein Hubschrauber fliegt sich völlig anders: „Ich bin noch einmal bei null angefangen.“
In Zukunft fliegt Nicole, auch einen Rettungshubschrauber
Natürlich hat sie die Prüfung bestanden. Und so wird sie in wenigen Wochen regelmäßig einen Rettungshubschrauber des ADAC steuern. Nicht zu wissen, welcher Einsatz kommt, wo sie landen muss – auf der gesperrten Autobahn, vielleicht in einem kleinen Garten – „ich liebe die Herausforderungen des Alltags!“
Trotzdem sei sie kein Adrenalinjunkie. „Das war ich nie. Auch als Kampfpilotin nicht.“ Irgendwann sei es ganz selbstverständlich gewesen, sich mit Überschall durch den Himmel zu bewegen: „Das hat man gelernt, das macht man jeden Tag in diesem Job.“ 80er-Puls im Cockpit sei eher die Regel als die Ausnahme. „Nach über 1000 Flugstunden habe ich bei Mach 1,5 auch schon mal daran gedacht, was ich mir wohl abends zu essen mache.“
„Fliegen ist auch nicht so schwierig, wie die meisten Menschen denken“, sagt die Frau, die sechs Sprachen fließend spricht. „Körperliche Fitness vorausgesetzt, kann das fast jeder lernen.“ Es sei denn, es kommt zu unvorhergesehenen Ereignissen. Schlechtes Wetter, Vogeleinschlag im Triebwerk – „das sind die Augenblicke“, weiß Winter, „in denen sich die Spreu vom Weizen trennt.“