Essen. Nie allein und trotzdem einsam: Das ist ein Gefühl, das viele Eltern kennen. Vier Mütter über ihre Erfahrungen – und was ihnen geholfen hat.
Nie allein und trotzdem einsam: Das ist ein Gefühl, das viele Eltern kennen. Vor allem Mütter sind in der Anfangszeit mit Baby oft einsam – weil sie das Haus kaum verlassen können, ihre Kolleginnen und Kollegen vermissen oder keinen Anschluss in der Krabbelgruppe finden. Wir haben mit vier Betroffenen aus dem Ruhrgebiet über ihre Erfahrungen gesprochen:
„Aber du bist doch gar nicht alleine, die Kleine ist doch immer da“
Jennifer (28): „Ich habe mich darauf eingestellt, dass mit Baby alles anders sein wird. Aber dass ich mich so allein fühlen werde, damit habe ich nicht gerechnet. Die Einsamkeit hat mich überrollt. Unsere Tochter ist im letzten Sommer geboren. Unsere Familien wohnen weiter weg. Es ist nicht wie früher, man hat nicht dieses ganze Dorf, um ein Kind groß zu ziehen.
Mein Mann war zwei Monate in Elternzeit, länger konnte er auf der Arbeit nicht fehlen. Weil er früh raus musste, wollte ich ihn nachts auch nicht immer wecken. Außerdem habe ich gestillt, da hätte er eh nicht viel tun können. Also saß ich oft um 2 Uhr nachts allein im Zimmer und habe versucht, das schreiende Baby zu beruhigen. Während mein Mann seelenruhig weitergeschlafen hat, habe ich mich wie die einsamste Person der Welt gefühlt.
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Als ich ihm davon erzählt habe, hat er gesagt: ,Aber du bist doch gar nicht alleine, die Kleine ist doch immer da.‘ Er konnte es nicht nachvollziehen. Zum Glück hat meine beste Freundin mich verstanden. Sie wohnt zwar mehrere Hundert Kilometer entfernt, aber wir waren per WhatsApp ständig im Kontakt.
Ihr Sohn kam zwei Monate nach meiner Tochter zur Welt. Bei ihr musste ich keine Angst haben, verurteilt zu werden. ,Wie kannst du nur so über dein Baby und die Situation reden? Du solltest doch gerade der glücklichste Mensch der Welt sein‘: Solche Vorwürfe wollte ich mir nicht anhören müssen, also habe ich ansonsten meine Einsamkeit lieber verschwiegen. Dabei sollte man offen darüber sprechen können, wie man sich fühlt. Und nicht immer mit diesem Friede-Freude-Eierkuchen-Klischee des Babyglücks konfrontiert werden.“
„Zu manchen Freunden habe ich gar keinen Kontakt mehr“
Chiara (26): „Bei der Geburt meiner Tochter war ich gerade 24 Jahre alt – und damit die Erste im Freundeskreis, die Mutter wurde. Gerade in der Anfangszeit besteht der Alltag mit Baby ja nur aus Stillen, Wickeln und dem Versuch, es zum Schlafen zu bringen. Man geht selten raus, trifft wenig Leute. Ich habe oft den ganzen Tag lang nur darauf gewartet, dass mein Mann endlich von der Arbeit nach Hause kommt.
Die Freunde, die ich vorher hatte, hatten einen ganz anderen Tagesrhythmus. Wenn sie sich abends getroffen haben, hatte ich keine Zeit. Und wenn ich sie nach einem Treffen am Vormittag gefragt habe, war es ihnen wichtiger, am Wochenende auszuschlafen. Wir haben uns so selten gesehen, dass wir uns auseinandergelebt haben. Zu manchen Freuden habe ich gar keinen Kontakt mehr.
Durch die Baby-Kurse habe ich aber viele andere Mütter kennengelernt habe. Wir gehen zusammen spazieren oder ins Eltern-Café. Diese Routinen sind total wichtig und haben mir aus der Einsamkeit geholfen. Meine beste Freundin hat mittlerweile auch ein Baby bekommen. Wir können uns über alles austauschen. Dadurch geht es mir viel besser. Generell habe ich jetzt, wo die Kleine etwas älter ist, wieder mehr Freiheiten und fühle mich viel seltener einsam. Und wenn es doch mal so ist, rufe ich meine Mutter an. Denn darüber zu reden, ist das Wichtigste.“
„Ich hätte nicht gedacht, dass mir die Arbeit so sehr fehlen wird“
Lisa (38): „Unser Sohn ist im letzten Dezember als Frühchen auf die Welt gekommen. Ich war vorher voll berufstätig, war gerade vier Tage im Mutterschutz und dann war er auf einmal da. Und plötzlich bestand mein Tag daraus, Windeln zu wechseln, das Baby zu füttern und so weiter.
Ich hätte nicht gedacht, dass mir der Job so sehr fehlen würde. Denn ich habe immer gerne gearbeitet. Aber mein Mann verdient mehr und sein Chef hat schon komisch geguckt, als er einen Monat Elternzeit genommen hat. Außerdem wollte ich stillen. Deshalb war für uns klar, dass ich in Elternzeit gehe.
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Mir war damals aber nicht bewusst, dass der Job und die Kollegen so viel Sozialleben für mich sind. Das Baby gibt mir zwar viel zurück. Aber es ist nicht das Gleiche. Mir fehlte der Austausch, den man nur mit Erwachsenen haben kann. Deshalb war es für mich wie ein Wendepunkt, als ich mit dem Baby-Kurs angefangen habe. Es war so schön, andere Mütter kennenzulernen und wieder mit Erwachsenen reden zu können.
Trotzdem stehen bei Kursen wie diesem immer die Kinder im Mittelpunkt. Anders war es letztens bei einer Kunstführung auf Zollverein, die sich speziell an Eltern richtete. Das war interessant, ich konnte was für meinen Kopf tun. Und wenn die Kleine plötzlich angefangen hätte zu schreien und ich hätte weggehen müssen, wäre das kein Problem gewesen. Solche Angebote für Eltern mit Babys sollte es viel öfter geben.“
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„Sprachnachrichten helfen gegen die Einsamkeit“
Michaela (38): „Ich habe mein erstes Kind in der Corona-Zeit bekommen, mitten im Lockdown. Es gab keine Kurse, kein Eltern-Kind-Café, kein Babyschwimmen. Ich habe mich sehr einsam gefühlt. Und war überfordert mit all den Herausforderungen, die ein Baby so mit sich bringt.
Das war bei meinem zweiten Kind zum Glück anders. Wir konnten all die Baby-Kurse besuchen und ich habe auf dem Spielplatz eine tolle Eltern-Community gefunden. Viele von ihnen sind längst zu guten Freunden geworden. Aber trotzdem fühle ich mich sogar auf dem Spielplatz, inmitten all dieser Menschen, manchmal einsam. Das ist ja das Absurde: Ich bin als Mutter nicht eine Sekunde am Tag allein, meine Kinder sind immer bei mir und trotzdem fühle ich mich einsam.
Denn im Mittelpunkt stehen auch auf dem Spielplatz natürlich die Kinder. Das führt dazu, dass man als Erwachsene manchmal nicht einen Satz zu Ende bringen kann, ohne unterbrochen zu werden. So oft habe ich abends gedacht: Das wollte ich doch noch erzählen, dazu hatte ich doch noch eine Frage.
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Was mir hilft: Ich verschicke viele Sprachnachrichten. Das habe ich vorher nie gemacht, aber mittlerweile tausche ich mich mit meinen Freundinnen immer so aus. In einer Art Monolog kann man erzählen, was einen beschäftigt. Und meine Freundinnen können dann antworten, wann immer es ihnen passt. Man ist flexibler und hat die Chance, tiefe Gespräche zu führen, auch wenn der andere nicht sofort antwortet.“
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